Joecks / Miebach (Hrsg.), Bandredakteure: Joecks/Schmitz, Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 7: Nebenstrafrecht II, 2. Auflage, C.H. Beck 2015
Von Rechtsanwalt Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, Frankfurt a.M.
Zum Anspruch der renommierten Großkommentar-Reihe „Münchener Kommentare“ gehört es, wissenschaftliche Tiefe mit lösungsorientierten Praxisbezügen verbinden zu wollen. Aus diesem Grund legen die Herausgeber und der Verlag Wert darauf, das Team des jeweiligen Bandes mit „anerkannten Hochschullehrern“ und „berufserfahrenen Praktikern“ zu besetzen (vgl. Vorwort zur 1. Auflage). Band 7 der Reihe zum materiellen Strafrecht blickt auch in der 2. Auflage im Allgemeinen über das Kernstrafrecht hinaus auf das Nebenstrafrecht, im Besonderen auf das Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht. Mit dieser Auflage ist nun die erstmalige Überarbeitung des Gesamtwerks (Bände 1 bis 8) abgeschlossen.
Das Werk gliedert sich in insgesamt fünf Kapitel, die folgende Kommentierungen umfassen: 1. Gewerblicher Rechtsschutz (MarkenG, UrhG, UWG), 2. Steuerstrafrecht (AO inkl. des neuen Rechts der Selbstanzeige und des Absehens von Verfolgung zum 1.1.2015), 3. Arbeitsrecht (z.B. AÜG/SchwarzArbG), 4. Wirtschaftsstrafrecht (z.B. AktG, AWG, BörsG, GmbHG, HGB, InsO, KWG, WpHG) und 5. Recht der neuen Kommunikationsmedien (TKG, TMG). Der jeweilige Aufbau eines Kapitels folgt grundsätzlich in allen acht Bänden einheitlich (vgl. Vorwort zur 1. Auflage): Die Entstehungsgeschichte einer Norm wird nur dort vertieft dargestellt, wo sie für die Auslegung und das Verständnis der Vorschrift bedeutsam ist. Im Anschluss werden Zweck und Bedeutung sowie, ausgehend vom Wortlaut, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm erörtert. Sind Bezüge zum Allgemeinen Teil des Strafrechts, den Rechtsfolgen und dem Prozessrecht erforderlich, werden diese ebenfalls dargestellt. Hinzu kommen ggf. Aspekte des internationalen, insbesondere europäischen Rechts. Einzelnen Gebieten sind Vorbemerkungen vorangestellt (z.B. im Außenwirtschaftsrecht oder Handelsrecht). Umfangreichere Kommentierungen enthalten zudem ein Literaturverzeichnis und/oder eine Gliederung. Das Werk schließt mit einem umfangreichen Sachverzeichnis (ca. 40 Seiten). Die vorliegende 2. Auflage ist bereits in 2015 mit Rechts- und Literaturstand vom 1. Dezember 2014 erschienen, wobei häufig neuere Rechtsprechung und Literatur, insbesondere aber die Änderung des Rechts der Selbstanzeige und des Absehens von Verfolgung (§§ 371, 398a AO) eingearbeitet wurde.
Als Redakteure und Mitautoren des überarbeiteten 7. Bandes fungieren erneut Prof. Dr. Wolfgang Joecks (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Roland Schmitz (Universität Osnabrück), die – um nur einebedeutende Wegmarke zu nennen – auch als (Mit-)Herausgeber und Redakteure der „Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (wistra)“ bekannt sind. Aus dem Kreis der Bearbeiter ausgeschieden ist Prof. Dr. Markus Jäger (RiBGH, Honorarprofessor an der TU Dresden), neu hinzugekommen ist Prof. Dr. Bernd Heinrich(Humboldt-Universität zu Berlin). Insgesamt versammelt das Werk 18 namhafte Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis.
Ausgewähltes zu einzelnen Kommentierungen: Eines der Herzstücke des 7. Bandes bildet m.E. die Darstellung von Auszügen des materiellen Steuerstrafrechts (§§ 369 ff. AO) einschließlich des reformierten Rechts der Selbstanzeige und des Absehens von Verfolgung (§§ 371, 398a AO). Allein diese Kommentierung umfasst ca. 440 der 1555 Seiten des Werks. Teile des Steuerordnungswidrigkeitenrechts (§§ 378 bis 384 AO) wurden hingegen ausgeklammert. Das 2. Kapitel „Steuerstrafrecht“ wird also nicht als Sammelbegriff verstanden, der auch ordnungswidrigkeitenrechtliche Sanktionen wegen Zuwiderhandlungen gegen Steuergesetze umfasst (Steuerstrafrecht im weitesten Sinne). Die Kommentierung des § 370 AO („Steuerhinterziehung“) zeigt den Ansatz des Werks, „anerkannte Hochschullehrer“ und „berufserfahrene Praktiker“ als Verfasser einzubinden, in besonderer Weise. So stehen dem Verlag auch in der 2. Auflage mit Prof. Dr. Schmitz (siehe oben) und Dr. Martin Wulf (Partner einer überregionalen Steuerboutique und Lehrbeauftragter der Bucerius Law School) zwei namhafte Persönlichkeiten des Steuerstrafrechts zur Verfügung. Exemplarisch sei folgende Darstellung im Rahmen der Steuerhinterziehung durch Unterlassen (Abs. 1 Nr. 2) genannt: Erkennt ein Steuerpflichtiger nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist, dass eine von ihm abgegebene Erklärung unrichtig ist und dass es dadurch zu einer Verkürzung von Steuern gekommen ist, so ist er verpflichtet, dies unverzüglich anzuzeigen und die erforderliche Richtigstellung vorzunehmen (vgl. § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO). Kommt der Steuerpflichtige dieser Korrekturpflicht nicht nach, so stellt dies eine vorsätzliche Steuerhinterziehung durch Unterlassen dar. Schmitz/Wulf weisen eingangs zu Recht auf die große praktische Bedeutung dieser Vorschrift hin (vgl. Rn. 301), legen sodann mit großer Sorgfalt die Entstehungsgeschichte, die einzelnen steuerlichen Voraussetzungen sowie die dogmatischen und praktischen (Sonder-)Probleme dieser Norm frei und beleuchten die erforderliche Abgrenzung der Korrektur nach § 153 AO von einer Selbstanzeige (Rn. 302 bis 322). Besonders interessant ist ihre Auseinandersetzung mit einem stark in der Kritik stehenden Beschluss des BGH (vom 17.3.2009 – 1 StR 479/08, wistra 2009, 312). Demnach soll eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO auch dann entstehen, wenn der Täter zunächst mit Eventualvorsatz gehandelt und die Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung (nur) „billigend in Kauf genommen“ hat. Schmitz/Wulfsetzen sich eingehend mit der Entscheidung – die Aussage des BGH erfolgte mal wieder im Rahmen eines obiter dictums – auseinander, um sie am Ende zu Recht mit Blick auf verfassungsrechtliche Anforderungen abzulehnen. Den Autoren ist darin zuzustimmen, dass „zu hoffen [bleibt], „dass der BGH seine Rechtsauffassung in dieser Frage überprüft, um die ausgelöste erhebliche Unsicherheit zu beseitigen“ (Rn. 309). Spannend ist in diesem Zusammenhang der aktuelle BMF-Diskussionsentwurf AEAO zu § 153 (vom 16.6.2015, hier abrufbar: http://betriebs-berater.ruw.de/news/media/1/dasd-7675.pdf). Das BMF geht in diesem Erlass ebenfalls davon aus, dass eine Berichtigungspflicht nach § 153 AO nicht in Fällen entsteht, in denen eine falsche Erklärung mit Eventualvorsatz abgegeben wurde. Es bleibt abzuwarten, ob das BMF diese (zutreffende) Ansicht auch in die endgültige Fassung des Erlasses übernehmen wird.
Die Kommentierungen von Prof. Dr. Eva Kohler(Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW) zum Recht der Selbstanzeige sowie des Absehens von Verfolgung (§§ 371, 398a AO; im Folgenden: Selbstanzeigerecht) sind m.E. ebenfalls als Referenzwert anzusehen: Kohler ist schon eingangs zuzustimmen, dass die – zuletzt durch das AOÄndG 2015 reformierte – Selbstanzeige auf dem Papier zwar beibehalten wurde, allerdings die mit der Reglung einhergehenden Unsicherheiten und ihre rigiden Konsequenzen in der Rechtsanwendung aber weitgehend das Ende dieses Instituts darstellen dürften (§ 371 AO Rn. 8). In ihrer Kommentierung zeichnet Kohlerim „Allgemeinen Teil“ ausführlich und überaus anschaulich die wesentlichen Züge der Selbstanzeige nach (z.B. den Regelungsgehalt, die Systematik, die Entstehungsgeschichte und den (angeblichen) Ausnahmecharakter der Vorschrift; ca. 15 Seiten), um sich sodann mit den positiven (Rn. 42 bis 167) und negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen (Rn. 168 bis 308) sowie den Wirkungen (Rn. 309 bis 320), Konkurrenzfragen (Rn. 321 bis 337), der Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO (Rn. 338 bis 358) und – in einem eigenen Teil (§ 371 Anh.) – § 398a AO auseinanderzusetzen. Exemplarisch sei hierzu Folgendes genannt: Im Rahmen der positiven Wirksamkeitsvoraussetzungen befasst sich Kohler u.a. mit der praxisrelevanten Frage, wie der neue Terminus „der letzten zehn Kalenderjahre“ (§ 371 Abs. 1 S. 2 formuliert: „Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.“) genau zu verstehen ist (Rn. 61 ff.). Das Gesetz schweigt hierzu. Kohler bietet hier, unter Einbeziehung aktueller Literatur, zielführende Auslegungshilfe und wertvolle Hinweise für die Beratungspraxis (z.B.: „In Zweifelsfällen dürfte es unbedingt sinnvoll sein, vorsorglich alle denkbaren weiteren Veranlagungszeiträume berichtigend anzusetzen und sich dann im Nachgang mit der Finanzbehörde auseinanderzusetzen bzw. das Einspruchsverfahren zu nutzen“; Rn. 62).
Schließlich ist die Kommentierung von Ulrich Sorgenfrei(Rechtsanwalt und Steuerberater in Frankfurt am Main) zu den §§ 331 ff. HGB – gemeinhin als Tatbestände im Bereich des sog. „Bilanzstrafrechts“ bezeichnet – hervorzuheben: Seiner Kommentierung ist zunächst ein eigenes Stichwortverzeichnis vorangestellt, was m.E. sinnvoll ist. Insofern wäre zu überlegen, ob ein solches nicht auch für andere ausführliche Kommentierungen (z.B. bei § 370 AO oder § 371 AO) übernommen werden kann. Die Kommentierung von Sorgenfrei beginnt dann mit Vorbemerkungen zu den §§ 331 HGB (ca. 24 Seiten). Eingangs wird zu Recht darauf hingewiesen, dass „Bilanz“strafrecht nicht nur die Bilanz im formellen Sinne, sondern sich „als „Jahresabschluss“- bzw. „Rechnungslegungs“strafrecht auch auf die Gewinn- und Verlustrechnung, die zusammen mit der Bilanz den Jahresabschluss bildet (bei Kapitalgesellschaften ergänzt um den Anhang), und auf den Lagebericht als ergänzende Darstellung“ erstreckt (Rn. 1). Anschließend grenzt Sorgenfrei das Rechnungslegungsstrafrecht „im engeren Sinn“ vom Rechnungslegungsstrafrecht „im weiteren Sinne“ ab, und leistet damit – verbunden mit weiteren Ausführungen (vgl. beispielsweise Rn. 31 ff.) – einen Beitrag zur Systematisierung dieses Fachgebiets. Im Bereich der Einzelkommentierungen seien exemplarisch die Ausführungen zum Merkmal der „unrichtigen Wiedergabe“ des § 331 Nr. 1 HGB genannt: Sorgenfrei vertritt angesichts der Ausgestaltung der Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt und mit Blick auf das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG) die zutreffende Ansicht, hier sei eine Eingrenzung unter Erheblichkeits- bzw. Wesentlichkeitsaspekten vorzunehmen (vgl. § 331 HGB Rn. 50 ff.).
Fazit: Der Münchener Kommentar zum Nebenstrafrecht II (Band 7) bietet auch in der 2. Auflage exzellente Kommentierungen zentraler Teile des Steuer- und Wirtschaftsstrafrechts. Ebenfalls hervorzuheben ist, dass der Kreis der Autoren nahezu unverändert geblieben ist. Damit verfügt auch diese Auflage über namhafte Persönlichkeiten aus nahezu allen Berufsfeldern der einschlägigen juristischen Fachwelt. Das Werk zeichnet aus, stets einen Übergang zwischen wissenschaftlicher Tiefe und lösungsorientierten Praxisbezügen zu leisten. Der Münchener Kommentar zum Nebenstrafrecht II (Bald 7) ist damit ein bedeutendes Referenzwerk im Bereich des Steuer- und Wirtschaftsstrafrechts.