Franzen / Gallner / Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 1. Auflage, C.H. Beck 2016
Von Ref. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Das Arbeitsrecht unterliegt dem Einfluss des europäischen Rechts so stark wie nur wenige andere Rechtsgebiete. Immer wieder führt dies zu weitreichenden Änderungen im deutschen Arbeitsrecht. Dennoch mangelte es bislang an einer umfassenden Kommentierung zum europäischen Arbeitsrecht. In diese Lücke stößt nun der von Martin Franzen, Inken Gallner und Hartmut Oetker herausgegebene und in der Reihe „Beck’sche Kurz-Kommentare“ erschienene Kommentar. Darin wurden neben den relevanten Vorschriften aus EUV und AEUV auch diejenigen aus Grundrechtecharta, EMRK, ESC, fünf einschlägigen Verordnungen sowie 26 das Arbeitsrecht betreffende europäische Richtlinien bearbeitet. Die Autorinnen und Autoren haben damit wahre Pionierarbeit geleistet. Auffallend systematisch und prägnant sind die jeweiligen Untergliederungen in den einzelnen Kommentierungen. Auch die der Übersichtlichkeit des Werks dienenden Ordnungsnummern tragen zum Gelingen bei. Inhaltlich erscheinen zwar viele Aspekte erwähnenswert, jedoch können im Rahmen einer Rezension stets nur einzelne hervorgehoben werden.
Im Rahmen von AEUV (Nr. 20), Grundrechtecharta (Nr. 30), EMRK (Nr. 40) und ESC (Nr. 50) stellt Schubert die Regelungen des Streikrechts, die seit den EuGH-Urteilen Viking und Laval wohl zu den außerordentlich umstrittenen Themenfeldern innerhalb des europäischen Arbeitsrechts gehören, eingehend dar. So wird der seit einem BAG-Urteilim Jahr 2007 auch in Deutschland grundsätzlich zulässige Sympathiestreik richtigerweise als kollektive Maßnahme i.S.d. Art. 28 GRC eingeordnet (Art. 28 GRC, Rn. 45). Insoweit besteht Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR, wonach Sympathiestreiks vom Schutz des Art. 11 Abs. 1 EMRK mitumfasst sind (Art. 11 EMRK, Rn. 26). Die von der Autorin vorgeschlagene, allerdings wohl mit der EGMR-Auslegung des Art. 11 Abs. 1 EMRK nicht zu vereinbarende Übertragung der in RMT/Vereinigtes Königreich für zulässig erachteten Einschränkungen des Sympathiestreiks aufgrund nationaler Besonderheiten auf die Beschränkung des Streikrechts auf tariflich regelbare Ziele (Art. 11 EMRK, Rn. 69) zeigt, dass im Kommentar nicht nur bisherige Rechtsprechung abgebildet, sondern auch eigene Ansichten vertreten werden.
Einen Schwerpunkt bildet auch die Kommentierung von Gallner zur Arbeitszeitrichtlinie (2003/88/EG). Gerade erst hat der EuGH klargestellt, dass auch die Fahrtzeit von Außendienstmitarbeitern zum ersten und vom letzten Kunden zurück Arbeitszeit darstellt (C-266/14). So ist die Begriffsbestimmung der Arbeitszeit (Art. 2, Rn. 3 ff.) grundlegend für die Anwendung der gesamte Richtlinie. Interessant sind auch die Ausführungen zum Bezugszeitraum für die wöchentliche Ruhezeit. Dieser umfasst nach Art. 16 der Richtlinie „bis zu 14 Tage“. Gallner nimmt diesbezüglich eine unionsrechtskonforme Umsetzung ins deutsche Recht an (Art. 16, Rn. 3), was angesichts der Formulierung in § 11 Abs. 3 ArbZG doch verwundern mag.
Überaus lesenswert und von hoher Aktualität sind auch die Ausführungen zur Massenentlassungsrichtlinie (98/59/EG). Die kürzlich durch den EuGH vorgenommene Einordnung so genannter „abhängiger Geschäftsführer“, d.h. insbesondere Fremdgeschäftsführer einer GmbH, als Arbeitnehmer i.S.d. Richtlinie (C-229/14) lehnt Spelge zwar eigentlich ab (Art. 1, Rn. 47). Allerdings sieht er bereits voraus, dass, sollte der EuGH wie oben dargestellt geurteilt haben, die deutsche Regelung des § 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG fortan teleologisch zu reduzieren sein werde (ibid.; so nun auch ErfK/Kiel, 16. Aufl. 2016, § 17 KSchG, Rn. 7). Dabei problematisiert der Autor zu Recht, dass bei Einbeziehung der „abhängigen Geschäftsführer“ allerdings auch lediglich auf den Schwellenwert der Richtlinie und nicht auf den insofern günstigeren des deutschen Rechts abzustellen sei (Art. 1, Rn. 79).
Auch die weiteren Kommentierungen, so u.a. zur Entsenderichtlinie (Nr. 450), zur Teilzeitarbeitsrichtlinie (Nr. 470) oder zur Leiharbeitsrichtlinie (Nr. 620) verschaffen dem Leser einen gelungenen Einstieg in die jeweiligen Normen und liefern vielfache Verweise auf Rechtsprechung und Literatur.
Insgesamt besteht kein Zweifel daran, dass dieser Kommentar wohl in Kürze zu einem Standardkommentar des europäischen Arbeitsrechts avancieren wird. Wenngleich der Umfang der Ausführungen zu den Auswirkungen auf und der Umsetzung in das deutsche Recht innerhalb der Kommentierung erheblich variiert, so besticht das vorliegende Werk durch seine umfassende und prägnante Abhandlung der das europäische Arbeitsrecht ausmachenden Regelungen. Es bleibt allein zu hoffen, dass das Werk trotz seiner bereits über 2100 Seiten sowie der zunehmenden Regelungsdichte auf europäischer Ebene die durch die Einbändigkeit erreichte Kompaktheit auch in den Folgeauflagen bewahren möge.