Pieroth, Recht und Literatur, 1. Auflage, C.H. Beck 2015
Von RA, FA für Sozialrecht und FA für Bau- und Architektenrecht Thomas Stumpf, Lehrbeauftragter FH Öffentliche Verwaltung Mayen (Rheinland-Pfalz), Pirmasens
Prof. Dr. Bodo Pieroth dürfte den meisten Jurastudierenden ein Begriff sein, denn seine Lehrbücher zum Staatsrecht, sowie Polizei- und Ordnungsrecht sind absolute Standardwerke und gehören zum „Pflichtkanon“. Zumeist werden diese Bücher gemeinsam mit Bernhard Schlink verfasst, dessen bekanntestes literarisches Werk wahrscheinlich „Der Vorleser“ sein dürfte. Pieroths große Leidenschaft gehört der Literatur und mit seinem nun vorgelegten Buch „Recht und Literatur – Von Friedrich Schiller bis Martin Walser“ verknüpft er eben diese beiden durch die Kraft der Worte untrennbar miteinander verbundenen Bereiche auf höchst interessante und informative Weise. Das Buch richtet sich nicht vorrangig an Juristen, sondern an jeden Literaturliebhaber, wenngleich erläutert wird, welch große Anzahl bedeutender und hervorragender Autoren einem juristischen Beruf nachgingen, was dem Umstand geschuldet ist, dass es im 19. Jahrhundert den Beruf des freien Schriftstellers als solchen noch nicht gab. Friedrich Schiller dürfte in Deutschland einer der ersten in diesem Bereich gewesen sein.
Bereits die Einleitung des Buches ist unbedingt lesenswert. Sie schildert ein wenig die Zusammenhänge zwischen Recht und Literatur. Hierzu hatte Pieroth in einem SPIEGEL-Online Interview einmal sehr treffend gesagt: „Recht und Literatur sind aber ohnedies zweieiige Zwillinge, denn beide befassen sich über das Medium Sprache mit der Realität. Recht dient der Steuerung sozialer Prozesse. Literatur spiegelt diese sozialen Prozesse wider.“ (SPIEGEL-Online 04.05.2001). In der Einleitung werden schon erhabene Fragen gestellt und anspruchsvolle Maßstäbe vorgegeben, wenn Pieroth zum nationalen Recht etwa schreibt: „Es ist auf allen Teilgebieten zu speziell und zu komplex, als dass ein Schriftsteller – und sei er auch ausgebildeter Jurist – intensiv eindringen und den jeweiligen Fachleuten etwas beibringen oder konkrete Rechtsfragen lösen könnte.“ (Einleitung, S. XII). Das mag sein, dennoch stellt sich mir an dieser Stelle vielmehr die Frage, ob dies überhaupt das eigentliche Anliegen des jeweiligen Verfassers ist oder ob er mit seiner fiktiven Erzählung nicht einfach auch eine interessante oder spannende Geschichte zu Papier bringen möchte, anhand derer er grundsätzliche Fragen aufwirft. Anderenfalls müsste der Literat wohl Fachbücher verfassen. Fiktive Texte, mögen sie noch so kritisch sein, sollen letzten Endes (auch) unterhalten. Und ich bezweifle, dass der Verfasser fiktiver Texte, selbst wenn diese grundsätzliche rechtliche und/oder gesellschaftliche Fragen in ihrem Kern zugrunde legen, vorrangig „jeweilige Fachleute“ als Zielgruppe vor Augen hat. Aber hierüber lässt sich natürlich vortrefflich diskutieren. Und das ist genau das, was das vorliegende Buch von Pieroth so reizvoll macht, auch für Nichtjuristen.
Nach der Einleitung geht es dann los. Pieroth hat eine Auswahl bedeutender Werke zusammengetragen, anhand derer er die Verstrickung von Recht und Literatur darlegt. Eingeteilt ist das Ganze in zwei Teile. Die ersten 6 Kapitel bewegen sich im Rahmen „Recht und Staat“, die 5 weiteren Kapitel befassen sich mit der Konstellation „Mensch und Gericht“. Dabei werden jeweils grundsätzliche, bedeutende Kernfragen gestellt, die dann mit ausgewählten literarischen Werken unterlegt und in Bezug gesetzt werden.
Im ersten Themenkomplex stellt der Verfasser die folgenden Fragen: Ist der Tyrannenmord gerechtfertigt? (Schiller, Wilhelm Tell) Kann aus Gewalt Recht entstehen? (Büchner, Danton´s Tod; Eichendorff, Schloß Dürande) Kann das Recht die Macht begrenzen? (Kafka, Der Process) Schafft staatliches Recht Gerechtigkeit? (Bergengruen, Der Großtyrann und das Gericht) Wirkt Recht im Krieg? (Zweig, Der Streit um den Seargeanten Grischa) Braucht der Staat Streitkräfte? (Koeppen, Das Treibhaus).
Im zweiten Teil werden folgende Grundsatzfragen vorangestellt: Was hilft gegen Rechtsverweigerung? (Kleist, Michael Kohlhaas; Walser, Finks Krieg) Kann arm gegen reich Recht bekommen? (Hauptmann, Die Weber; Brecht, Der kaukasische Kreidekreis) Wie findet der Richter die Wahrheit? (Hoffmann, Das Fräulein von Scuderi) Wer ist zurechnungsfähig? (Musil, Mann ohne Eigenschaften) Welche Tat ist zurechenbar? (Dürrenmatt, Die Panne).
Von der Gliederung her wird das jeweilige Werk inhaltlich kurz zusammengefasst, teilweise mit Textauszügen. Auch wird der betreffende Autor kurz vorgestellt. Es schließt sich ein Abschnitt zu Entstehung und Wirkung des jeweiligen Textes an. Schließlich wird das konkrete rechtliche Problem des Werkes anhand des aktuell geltenden Rechts erläutert und eine juristische Interpretation der literarischen Vorlage vorgenommen, ein Blickwinkel, den man bisher bei der Lektüre des jeweiligen Stoffes so konkret vielleicht noch nie eingenommen hatte.
Allen Literaturbegeisterten kann ich das Buch nur empfehlen. Es ist höchst interessant und erhellend und macht nebenbei einfach Spaß. Vielleicht hätte ich mir ein weiteres Kapitel zu einem zeitgenössischen Autor gewünscht. Hierbei denke ich vorrangig und ganz konkret an Ferdinand von Schirach, der seinen eigenen Beitrag zu dem Themenkreis Recht und Literatur in beeindruckender Weise leistet.