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Rezension Strafrecht: Die Selbstanzeige

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Rolletschke / Roth, Die Selbstanzeige, 1. Auflage, C.H. Beck 2015

Von Rechtsanwalt Thorsten Franke-Roericht, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, Frankfurt a.M.



„Für viele Steuerpflichtige dürfte der Weg einer vollständigen Selbstanzeige ohne fachkundige (und kostenpflichtige) Unterstützung kaum noch offenstehen“ – diese Diagnose von Kemper (DStR 2014, 928, 933), die von Rolletschke/Roth gleich im Vorwort (V. Fn. 4) zitiert wird, deutet bereits die Brisanz des Themas an. Der Weg zurück in die Steuerehrlichkeit wurde zuletzt durch die beiden letzten Reformen des Selbstanzeigerechts (2011: SchwarzGBekG; 2014: AOÄndG 2015) erschwert. Die Änderungen werfen zahlreiche Fragen auf, die selbst Berater vor große Herausforderungen stellen. Zudem könnten einzelne Regelungen gegen Verfassungs- und Unionsrecht verstoßen. Das Werk von Rolletschke/Roth will nun Steuerberatern wie Rechtsanwälten eine belastbare Selbstanzeigeberatung bzw. Strafverteidigung ermöglichen.

Beide Autoren sind seit Jahren im Markt der steuerstrafrechtlichen Literatur bekannt. Stefan Rolletschke ist Mitherausgeber eines renommierten Kommentars zum Steuerstrafrecht (Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, Luchterhand, Loseblatt), Autor eines Einführungswerks zum Steuerstrafrecht (Steuerstrafrecht, 4. Auflage, Vahlen 2012) und Verfasser zahlreicher einschlägiger Fachaufsätze. Diese „literarische“ Leidenschaft spiegelt auch seine berufliche Profession als (ehem.) Führungskraft in der Steuerfahndung, Lehrbeauftragter für Steuerstrafrecht an einer Universität bzw. Dozent im Bereich der Justiz und Finanzverwaltung wider. David Roth, LL.M. oec., ist ein nicht minder profilierter Autor und Praktiker. Zuletzt legte er eine Monographie zum Thema „Sammelauskunftsersuchen und internationale Gruppenanfragen“ (ESV 2014; Rezension: http://dierezensenten.blogspot.de/2015/02/rezension-offentliches-recht_8.html) vor. Ferner kommentiert er im Rolletschke/Kemper unter anderem das Recht der Steuerfahndung (§§ 404, 208 AO), nimmt über Fachaufsätze zu aktuellen Themen im Bereich Steuerstrafrecht Stellung und ist ebenfalls als Dozent tätig. Ursprünglich war auch er Führungskraft in der Steuerfahndung, gehört nun jedoch – wie Stefan Rolletschke– dem Geschäftsbereich des Landesrechnungshofs NRW an.

Zum Aufbau und Inhalt: Das Werk folgt dem Vierklang des Selbstanzeigerechts: „Selbstanzeige nach § 371 AO“ (A.), „Fremdanzeige nach § 371 Abs. 4 AO“ (B.), „Selbstanzeige nach § 378 Abs.  3 AO“ (C.) sowie „Einstellung des Verfahrens nach § 398a AO“ (D.). Es schließt mit einem „Anhang Verwaltungsanweisungen“. Dieser enthält die aus Sicht der Verwaltung intern anzuwendenden Maßstäbe zur Selbstanzeige und zum Steuerstrafverfahren (AStBV; DA-KG 2014; AEAO). Inzwischen – Stand des Werks ist im Wesentlichen März 2015 – wurden die Anweisungen teilweise aktualisiert (vgl. DA-KG 2015) bzw. stehen vor einer Anpassung (vgl. BMF-Diskussionsentwurf AEAO zu § 153 AO). Auf zwei weitere Anweisungen (FM NRW 26.01.2015 S 0702 – 8f – V A 1; FM NRW 9.2.2015 S 0702 – 8f – V A 1) wird an den jeweils einschlägigen Stellen verwiesen. Dies betrifft beispielsweise die Frage der Anwendbarkeit des mildesten Gesetzes (§  2 Abs. 3 StGB) auf vor dem 1.1.2015 abgegebene Selbstanzeigen, über die erst in 2015 entschieden wird (Seite 61 Fn. 499).

Den einzelnen Kapiteln ist ein allgemeiner Teil (I.) vorangestellt. Im Rahmen der Selbstanzeige nach § 371 AO (A.) werden darin zB „Aktuelle Bezüge“ (1.), „Geschichtliche Hintergründe“ (2.) und „Dogmatische Grundlagen“ (3.) erläutert. Die anschließenden Gliederungspunkte folgen dann den üblichen Prüfungsschritten des zu diskutierenden Instituts. Erneut bezogen auf die Selbstanzeige nach § 371 AO (A.): „II. Anwendungsbereich“, „III. Voraussetzungen nach § 371 Abs. 1“, IV. Sperrtatbestände nach § 371 Abs. 2 AO“ sowie „V. Nachzahlungspflicht nach § 371 Abs. 3 AO“. An ausgewählten Stellen haben die Autoren „Exkurse“ eingeschoben. Diese erläutern (steuer)strafrechtliche Grundlagen, zB den Versuchsbeginn (Rn. 31) oder die Konkurrenzverhältnisse (Rn. 69).

Zur Veranschaulichung einzelner Selbstanzeige-Problemfelder setzen Rolletschke/Roth Fallbeispiele ein. Diese sind durchweg hilfreich. Ein Beispiel: Das ab dem 1.1.2015 anzuwendende Selbstanzeigerecht verlangt nun einen Mindestberichtigungszeitraum von  zehn Jahren, genauer: „Angaben…zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre…“ (§ 371 Abs. 1 Satz 2 AO). Der Gesetzgeber hat – auch – an dieser Stelle unsauber gearbeitet. Denn es bleibt offen, was genau unter „Steuerstraftaten…innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre“ zu verstehen ist. Rolletschke/Roth bilden hierzu einen Fall, greifen dann auf das klassische Auslegungshandwerk zurück, zeigen die unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten auf und beziehen Stellung (Seite 36 f.). Besonders erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang ihr folgerichtiger wie klarer Hinweis für die Beratungspraxis: „Solange die Streitfrage nicht höchstrichterlich für die Praxis geklärt ist, wird man für den Beratungsfall am besten die ungünstigste Lösung…einplanen, im Verteidigungsfall mit der günstigsten…argumentieren“ (Seite 37). Im Kapitel zur Selbstanzeige nach § 371 Abs. 1 AO (A.) diskutieren die Autoren auch Sonderfälle. Hierzu gehören beispielsweise die sog. „Teilselbstanzeige“ (Rn. 139 ff.) oder die sog. „Stufenselbstanzeige“ (Rn. 163 f.). Auch hier navigieren sie den Leser souverän um die Klippen, z.B. indem sie zutreffend auf die zwingenden Konkretisierungen im Rahmen einer „Stufenselbstanzeige“ hinweisen („Erforderlich ist…eine Bezifferung der betreffenden Besteuerungsgrundlagen, ggf. im Wege einer griffweisen…Schätzung“, Rn. 165).

Lobenswert ist auch das Literaturverzeichnis (XVII-XXII), das in puncto Aktualität (zum Stand März 2015) und Ausführlichkeit (es wurden nahezu sämtliche Konkurrenzprodukte einbezogen) nichts zu wünschen übrig lässt.

Fazit: „Die Selbstanzeige“ wird ihrem Anspruch gerecht, Steuerberatern wie Rechtsanwälten eine belastbare Selbstanzeigeberatung bzw. Strafverteidigung zu ermöglichen. Dies ist, angesichts eines Rechts, das durch die beiden letzten Reformen (SchwarzGBekG / AOÄndG 2015) ad absurdum geführt wurde, eine überaus anerkennenswerte Leistung. Insgesamt bietet das Werk auf 204 Seiten eine souveräne Navigation um die Klippen des Selbstanzeigerechts. Ohne Zweifel wird sich „Die Selbstanzeige“ in den kommenden Jahren im stark wachsenden Markt der Selbstanzeigeliteratur behaupten.



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