Westphal, Strafrechtliche Musterklausuren für die Assessorprüfung, 7. Auflage, C.H. Beck 2015
Von Rechtsreferendar Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur., Heidelberg
Das Klausurentraining ist – auch – im Rahmen der Vorbereitung auf die Zweite Staatliche Prüfung unerlässlich und sollte sogar einen ganz großen Raum in der Vorbereitung einnehmen: Denn nicht nur das Umdenken in die praktische Denkstrukturen – nach deren Perspektive die Klausurlösung bewertet wird – kann bisweilen Schwierigkeiten bereiten, sondern auch die knappere Zeit für das Ausformulieren der Lösung bedingt eine routinierte, damit effiziente Arbeitsweise. Daher ist es besonders erfreulich, wenn etablierte Klausurenbücher, die sich an Original-Examensklausuren orientieren, in Neuauflage erscheinen. In diesem Bereich ist das von RiOLG Dr. Karsten Westphal, ehemaliger hauptamtlicher AG-Leiter für Rechtsreferendare, fortgeführte und von RiBayOLG Dr. Günther Schmitz, Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof a.D., begründete Werk einzuordnen. Anhand von 10 Original-Examensklausuren präsentiert – nunmehr als Alleinautor – Westphalauf 158 Seiten die typischsten Klausurkonstellationen im Strafrecht.
Hervorzuheben ist das Werk, weil einerseits die ausgewählten Klausuren den prozessualen Zeitraum zwischen der Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft über das Strafurteil 1. Instanz bis hin zur Revision erfassen, wobei auch vier Klausuren aus der Perspektive des Verteidigers konzipiert sind. Im Grunde kann damit angenommen werden, dass die examensrelevantesten Klausurtypen im Strafrecht erfasst werden.
Daneben ist der Duktus des Verfassers wegen der besonders prüfungsorientierten Herangehensweise lobend hervorzuheben: So hat der Verfasser stets und vor dem Hintergrund der eigenen langjährigen Erfahrungen als Referendarsausbilder die Bedürfnisse von Examenskandidaten im Blick. Insofern verwendet der Verfasser die Fußnoten nicht nur als Raum für Quellennachweise, sondern liefert an entsprechenden Stellen in den Fußnoten fallübergreifende Hinweise (so auch der Verfasser selbst im Vorwort). Beispielsweise werden die unzureichende Umschreibung der Fahrlässigkeit als häufige Fehlerquelle (7. Klausur S. 102 in Fn. 5), die Herangehensweise in der Praxis im Bereich eines Haftbefehls (2. Klausur S. 32 in Fn. 23: in der Klausur erst in der Klageschrift beantragt; in der Praxis Antrag beim Ermittlungsrichter unmittelbar nach dem Ergreifen), zur Bedeutung eines Gutachtens in einer Anwaltsklausur (8. Klausur S. 125 in Fn. 9: Perspektivwechsel: Darstellung gegenteiliger Ansichten oder Schwachstellen der dargestellten Position im Schriftsatz an das Gericht) oder Bedeutung eines (Hilfs-)Gutachtens in Revisionsklausuren (10. Klausur S. 157 in Fn. 30: Eingehen auf im Revisionsurteil nicht erörtere Probleme) in der Fußnote an der jeweils einschlägigen Stelle dargestellt. Ferner werden zahlreiche Examenstipps (vgl. etwa 1. Klausur in Fn. 8: erörterungsbedürftige Fragen vorzugsweise nicht im Hilfsgutachten prüfen) als auch Praxishinweise (vgl. etwa 7. Klausur in Fn. 1: grundsätzlich knappe Darstellung persönlicher Verhältnisse) illustriert. Diese werden zusätzlich mit diversen Aufbauhinweisen flankiert, die gerade für eine stringente Gedankenführung von hoher Bedeutung sind (vgl. etwa 3. Klausur in Fn. 1: zum Aufbau eines Einspruchs gegen einen Strafbefehl aus der Anwaltsperspektive, oder 9. Klausur in Fn. 9: in der anwaltlichen Revisionsrüge Verfahrensrügen stets vor Sachrügen zu prüfen). Fortgesetzt wird dieser Duktus mit zweierlei weiteren Aspekten, die das Werk auszeichnen: Einerseits weist der Verfasser – wie bereits erwähnt – stets auf häufig vorkommende Fehler hin (z.B. 4. Klausur in Fn. 27: im Bereich der Bildung einer Gesamtstrafe würde in Examensklausuren regelmäßig übersehen, dass eine erneute Abwägung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgründe durchzuführen sei), andererseits präsentiert Westphal eine Vielzahl an taktischen Erwägungen für die Lösung von Klausuren (z.B. 2. Klausur in Fn. 2: rechtliche Würdigung als Vermerk in die StA-Abschlussverfügung aufnehmen, wenn im Bearbeiterhinweis „die wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen“ erlassen wird). Abgerundet wird diese examensfreundliche Darstellungsweise damit, dass in Entsprechung der im Werk Elzer/Lemmel/Schiller/Westphal/Zivier, Sicher durch das 2. Staatsexamen, 2010, S. 12 f., aufgeführten, häufig abgeprüften Themenkreise die Klausuren bei Westphal diese Themenbereiche zum Gegenstand haben (vgl. z.B. 3. Klausur: Verwertbarkeit eines BAK-Wertes, wenn Blut zuvor im Krankenhaus ohne richterliche/staatsanwaltliche Anordnung entnommen wurde).
Die Lektüre des Werkes kann das Erarbeiten der systematisch-abstrakten Kenntnisse anhand eines Lehrmediums je nach individueller Präferenz (Lehrbuch, Skript, Übersichten etc.) sicherlich nicht ersetzen, doch wird durch den vorstehend beschriebenen Duktus des Verfassers dem Leser sowohl Weitsicht vermitteln als auch die allgemein übergreifende Bedeutung einzelner Ausführungen verdeutlicht, wodurch die Transferleistung erleichtert wird. Wünschenswert wäre in formaler Hinsicht für die künftigen Auflagen, dass der Verfasser im Inhaltsverzeichnis die jeweiligen Themenschwerpunkte der Klausuren aufführte, um dem Leser ein gezieltes nachlesen bestimmter Themenbereiche im Rahmen einer Klausur zu ermöglichen.
Insgesamt ist also festzuhalten, dass sich die Lektüre der Neuauflage des Werkes von Westphal in jedem Falle aus zweierlei Perspektiven besonders rentiert und daher unbedingt empfohlen wird: Zum einen kann der Leser durch ein gründliches Nacharbeiten der jeweiligen Klausurlösungen unter Berücksichtigung der Zahlreichen Examenstipps ein feinsinniges Gespür für die Besonderheiten der Klausuren in der Zweiten Juristischen Prüfung entwickeln; zum anderen kann das gewissenhafte eigenständige Lösen der Klausuren mit einer anschließenden Überprüfung der eigenen Lösung dazu dienen, im Examen häufig wiederkehrende Fragen des prozessualen und materiellen Strafrechts einzuüben, respektive zu wiederholen.