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Rezension Strafrecht: StPO

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Meyer-Goßner / Schmitt, Beck’scher Kurzkommentar – Strafprozessordnung, 58. Auflage, C.H. Beck 2015

Von Rechtsreferendar Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur., Heidelberg



Die Strafprozessordnung ist eine – bisweilen – komplexe Materie, weil die jeweiligen Eingriffsnormen des Öfteren tiefe Eingriffe in die Grundrechte der Rechtsunterworfenen erlauben. Daher ist vom Rechtsanwender bei der Auslegung und Anwendung der jeweiligen Vorschriften nicht nur besondere Vorsicht und ein methodologisch präzises Vorgehen, sondern zugleich stets ein Blick auf etwaige verfassungsrechtliche Vorgaben abzuverlangen. Nur so kann die richtige Balance zwischen Strafverfolgungsinteresse des Staates einerseits und den (verfassungsrechtlich geschützten) Interessen der Rechtsunterworfenen andererseits erreicht werden. Die Kommentierung von Herrn Prof. Dr. Lutz Meyer-Goßner, Vorsitzender Richter am BGH a.D. und Honorarprofessor an der Philipps-Universität Marburg, und Herrn RiIStGH Dr. Bertram Schmitt, Richter am BGH (zur Wahrnehmung der Tätigkeit bei IStGH beurlaubt [Stand: März 2015]) und Honorarprofessor an der Julius-Maximilians Universität Würzburg, dürfte sich u.a. wegen der eindrucksvollen Herstellung einer Balance im vorstehenden Sinne an den entsprechenden Stellen in der Kommentierung zu einem Standardwerk etabliert haben. Zudem ist die Aktualität des Werkes besonders hervorzuheben, was sich darin zeigt, dass die Verfasser nicht nur eine Reihe an aktueller Rechtsprechung, sondern auch Novellierungen ausgiebig eingearbeitet haben. Es ist also besonders erfreulich, wenn ein solches Standardwerk regelmäßig in der Neuauflage erscheint und aktuelle Rechtsentwicklung nach dem vorstehend beschriebenen Duktus für den Rechtsanwender aufbereitet.

So ist nämlich gerade vor dem Hintergrund des immensen Einflusses der sowohl internationalen und supranationalen als auch nationalen Rechtsprechung auf das Strafprozessrecht auch im letzten Jahr eine dynamische Entwicklung – auch in examensrelevante Bereiche – zu verzeichnen gewesen, die in der Neuauflage eingearbeitet wurde. Aus der Sicht eines Rechtsreferendars sind hierbei zwei Themenkomplexe besonders hervorzuheben: Zum einen ist die populäre Frage nach der Zulässigkeit der Verständigung im Strafverfahren nach § 257c StPO und zum anderen ist die Frage nach der Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung hervorzuheben. So wird beispielsweise bei der Beschreibung des § 257c StPO darauf aufmerksam, dass dessen Absatz 1 mit der neuen Möglichkeit einer „Vereinbarung des Gerichts mit den Verfahrensbeteiligten“ eine „grundlegende Änderung“ der StPO herbeiführt, welche eine Abweichung von im § 244 Abs. 2 StPO niedergelegten Amtsermittlungsgrundsatz herbeiführe (Meyer-Goßner/Schmitt, § 257c Rn. 3). Ferner wird darauf hingewiesen, dass nach § 257c Abs. 2 StPO nunmehr auch die Frage nach der Strafaussetzung zur Bewährung selbst verhandelbar ist, woraus sich zwar keine gänzliche Abkehr von der Rechtsprechung, aber von der in der Praxis bis dato üblichen Aussetzung bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ergäbe (Meyer-Goßner/Schmitt, § 257c Rn. 12). Ähnlich kritisch und normübergreifend sind die Ausführungen von Schmitt zum Thema der Vorratsdatenspeicherung (Meyer-Goßner/Schmitt, § 100g StPO). Ausgehend von der Beschreibung der Ungültigkeit der RL 2006/24 vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 08.04.2014 – C-293/12 u. C-594/12; näher hierzu Nazari-Khanachayi, Zulässigkeit von Zugangserschwerungsverfügungen gegen Access-Provider bei [drohenden] Urheberrechtsverletzungen, 2015, S. 71 f.) zeigt Schmitt eindrucksvoll auf, wie eine unionskonforme Regelung nach den Vorgaben der Rechtsprechung des EuGH ausgestaltet sein müsste: Insbesondere scheint aus supranationaler Sicht (Meyer-Goßner/Schmitt, § 100g Rn. 7a) in Konformität mit den bereits vom BVerfG aufgestellten Grundsätzen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 100g Rn. 7c) die eindeutige Formulierung der Tragweite der Maßnahmen aus der Sicht der Rechtsunterworfenen und das Einsatzziel zur Bekämpfung von schwerer Kriminalität die notwendige Mindestanforderung an eine unions-, grundrechts- und verfassungskonforme Regelung zu sein. Bereits diese zwei Beispiele zeigen die Vorzüge für den Rechtsreferendar insoweit auf, als dieser sich die neuerlichen Entwicklungen in diesen höchst examensrelevanten Bereichen nicht mühsam und zeitaufwändig selbst zusammenstellen muss, sondern aus der Feder zweier erfahrener Bundesrichter präsentiert bekommt und – sollte das Erlernen vor dem Examen versäumt worden sein – in der Ernstsituation nochmals befragen kann.

Daneben besticht das Werk aus der Sicht eines Rechtsreferendars besonders deswegen, weil es an den für die Stationsarbeit und Klausurlösung besonders häufig relevanten Stellen eine immense Hilfestellung darstellt: So sind die Kommentierungen zu §§ 153, 153a, 154, 154a StPO nicht nur besonders ausführlich, sondern erleichtern durch systematische Hinweise das Erstellen von Abschlussverfügungen (z.B. Meyer-Goßner/Schmitt, § 153 Rn. 41 [Hinweis auf Mitteilungspflichten nach MiStra], § 153a Rn. 27 ff. [Ablauf der Vorbereitung der staatsanwaltlichen Entscheidung] oder etwa § 154a Rn. 20 [Hinweispflicht der StA nach Nr. 101a Abs. 3 RiStBV in der Anklageschrift auf angeordnete Beschränkungen]). Auch die Kommentierung des § 267 StPO bedarf aus der Ausbildungsperspektive einer besonders lobenden Hervorhebung, weil einerseits die unterschiedlichen prozessualen Ausgangsmöglichkeiten berücksichtigt werden (z.B. Meyer-Goßner/Schmitt, § 267 Rn. 26 [auf Geldstrafe uä lautende Urteile], Rn. 29 [Einstellungsurteil] oder etwa Rn. 38 [Nebenentscheidungen]). Ebenso lohnt sich eine ausgiebige Lektüre der Kommentierung zum examensträchtigen Bereich der Revision(-surteile), weil Meyer-Goßnerin diesem Bereich erfreulicherweise nicht einzelne Ergebnisse präsentiert, sondern ausgehend von einer Gruppenbildung in Sachrügen und Verfahrensrügen die jeweiligen normativen Vorgaben (auch für die Untergruppen der Verfahrensrüge) präsentiert (Meyer-Goßner/Schmitt, § 344 Rn. 13–26a), womit der aufmerksame Leser in die Lage versetzt wird, eine Vielzahl von Einzelfällen unter Anwendung und Transfer dieser allgemeinen – wenngleich auch bisweilen unter Bezugnahme auf Einzelfälle – Grundsätze vertretbar zu lösen.

Insgesamt zeichnet sich die Neuauflage der Standardkommentierung zur Strafprozessordnung von Meyer-Goßner/Schmitt aus der Perspektive eines Rechtsreferendars aus zwei wesentlichen Gründen aus: Einerseits besticht das Werk durch das systematische Einpflegen der aktuellen Entwicklungen in der Strafprozessordnung, die dem Leser einen immensen Arbeitsaufwand in tatsächlicher und kognitiver Hinsicht erspart. Andererseits lassen die Verfasser einen ganz besonders erfreulichen Duktus im gesamten Werk erkennen, weil sie nicht nur Einzelfälle aus der Rechtsprechung aneinanderreihen, sondern jeweils die systematischen Zusammenhänge der Vorschriften aufdecken, allgemeine normative Vorgaben präsentieren und an geeignete Stellen auf Einzelfallentscheidungen hinweisen, sodass dem Leser sowohl die Transferleistung ermöglicht als auch besondere Ausnahmeentscheidungen illustriert wird. Dem Rechtsreferendar ist daher dringend und ohne Einschränkung zu empfehlen, dieses Werk bereits lernbegleitend während der gesamten Ausbildungszeit zwecks Erlenen der Feinheiten der Strafprozessordnung einzusetzen.



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