Graf, Mustertexte zum Strafprozess, 9. Auflage, C.H. Beck 2015
Von Rechtsreferendar Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur., Heidelberg
Dass die Juristerei geradezu von sprachlicher Präzision und Formulierungsgenauigkeit „lebt“, dürfte wohl kein Geheimnis sein. Hochschulabsolventen werden diese Einsicht spätestens im Zuge ihres juristischen Vorbereitungsdienstes erlangen, da von Ihren Entwürfen und Formulierungsvorschlägen Rechtsfolgen und Konsequenzen von bisweilen großem Ausmaß abhängen. Daher ist es besonders begrüßenswert, dass sich für diesen Bereich Werke etabliert haben, die Mustertexte bereithalten, um dem Rechtsreferendar, aber auch dienstjungen Praktikern eine Hilfestellung zu leisten. In diesem Bereich ist auch das von LOStA Dr. Dietrich Rahn begründete, von GenStA a.D. Dr. Hans Christoph Schaefer neu bearbeitete und nunmehr von RiBGH Dr. Jürgen Peter Graf vollständig neu bearbeitete, fortgeführte und „verjüngte“ traditionsreiche Werk einzuordnen.
Auf 383 Seiten führt Graf den Leser durch das Strafverfahren und den Strafprozess anhand von insgesamt 127 Mustertexten inklusive eines Originalverfahrens mit Revisionsentscheidung (Rn. 612 ff.). In formaler Hinsicht zeichnet sich das Werk einerseits durch die besonders leichte Handhabbarkeit und andererseits durch den instruktiven Fußnotenapparat aus. Die besonders leichte Handhabbarkeit des Werkes wird durch die Aufnahme zahlreicher Intraverweise auf bereits besprochene und/oder noch zu besprechende Einzelaspekte erreicht. Auf diese Weise eignet sich das Werk hervorragend (auch) zum Nachschlagen einzelner Fragen, da sich der Leser eben mittels der Intraverweise die wichtigsten der mit der Einzelfrage zusammenhängenden systematischen Erwägungen erschließen kann. Abgerundet wird das Bild der besonders leichten Handhabbarkeit des Werkes durch ein Verzeichnis der Muster, welches sich am Ende des Werkes befindet und nicht nur die jeweiligen Vorschriften und die Fundstellen aufführt, sondern zugleich einen Hinweis auf die vorgestellten inhaltlichen Verfahrensbesonderheit enthält. Die Hervorhebung des Fußnotenapparates ist zwei Umständen geschuldet: Zum einen setzt der Verfasser sein Fußnotenapparat äußerst sparsam und gerade hierdurch ganz besonders instruktiv ein, weil nur dort, wo ein vertieftes Nachlesen erforderlich zu sein scheint, auch ein Nachweis geliefert wird. Der Leser wird also nicht mit Informationen überladen, sondern gezielt auf wichtige weiterführende Vertiefungsmöglichkeiten aufmerksam gemacht. Zum anderen beschränkt sich der Verfasser – soweit ersichtlich – einerseits auf Nachweise aus der Rechtsprechung und andererseits auf das im Examen zugelassene Werk von Meyer-Goßner/Schmitt zur StPO und den sonst geläufigen (Groß-)Kommentaren. Hierdurch wird ebenfalls einem „information overload“ entgegengewirkt und zugleich – insbesondere dem Rechtsreferendar – das Auffinden der einschlägigen Rechtsprechung immens erleichtert.
Fasst man die vorstehenden Aspekte unter dem gemeinsamen Dach der Leser- und Lernfreundlichkeit zusammen, so lässt sich dieses Bild auch in inhaltlicher Hinsicht als roter Faden im Werk nachzeichnen: So verweist Graf bereits in seinem Vorwort selbst darauf hin, dass die jeweiligen Mustertexte durch einleitende Erläuterungen zu den jeweiligen die Mustertexte inhaltlich bestimmenden Vorschriften das Werk mit einem „fast lehrbuchartigen Charakter“ versehen. Dem kann nicht nur zugestimmt werden, sondern dies ist aus Sicht des Rechtsreferendars ein besonders begrüßenswerter Aspekt. Das Buch wird durch die Kombination zwischen Mustertexten und Erläuterungen von einer reinen Formularsammlung zu einem Werk erhoben, welches dem Leser die Möglichkeit eröffnet, sich nicht nur die wesentlichen Grundlagen der StPO anzueignen, sondern vielmehr gleichzeitig im jeweiligen Zusammenhang zumindest ein Beispiel bereits gelesen zu haben. Dem Rechtsreferendar wird hierdurch sowohl die Möglichkeit eröffnet, ein Gespür für die Feinheiten der StPO-Vorschriften und das Strafverfahren zu entwickeln als auch, das Werk vor der Einzelausbildung durchzuarbeiten, um im Rahmen der Strafrechtsstation nicht gänzlich „ins kalte Wasser“ geworfen zu werden. Denn im Rahmen der einführenden Erläuterungen bleibt es nicht bei der rein formalen Darstellung der jeweiligen Inhalte der Vorschriften. Sondern der Verfasser lässt es sich nicht nehmen, sowohl das Telos der jeweils behandelten Themen als auch die damit verfolgten rechtspolitischen Erwägungen darzubieten: Beispielsweise weist Graf im Rahmen der Einleitung zum Plädoyer des StA darauf hin, das Plädoyer verfolge u.a. auch das Ziel, der breiten Öffentlichkeit – etwa mittels Verbreitung durch die Medien – ein Rechtsbewusstsein im Hinblick auf die von der StA vorgenommene Wertung zu vermitteln und gleichzeitig das Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Gesellschaft zu erzeugen (siehe Rn. 341). Hierdurch kann der Rechtsreferendar sich seiner Rolle als Sitzungsvertreter seines Einzelausbilders bewusst werden, um die StA angemessen repräsentieren zu können. In diesem Bereich sind auch die Hinweise eines amtierenden Richters am BGH hinsichtlich der Wirkungen des Auftretens am Gericht für den zumeist ungeübten Rechtsreferendar und ggf. für dienstjunge Staatsanwälte besonders hilfreich (hierzu z.B. Rn. 351 ff.). Ergänzt werden diese Hilfestellungen einerseits durch bisweilen vorzufindenden Hinweise des Verfassers sowohl auf die sich in der Praxis etablierten Vorgehensweisen (z.B. in Fn. 271) als auch empfehlenswerte Praktiken (z.B. in Fn. 337). Schließlich ist aus der Sicht des Rechtsreferendars, der im Rahmen seiner Einzelausbildung u.a. auch Anklageschriften entwerfen darf, besonders begrüßenswert, dass sich der Verfasser auf der einen Seite zur Ausgestaltung der Anklageschrift ausführlich äußerst und insbesondere Hinweise für die zu wählenden Zeitstufen gibt (Rn. 274 ff.) und auf der anderen Seite sogar unterschiedliche inhaltliche Ausgestaltungen zwischen den Bundesländern, insbesondere Baden-Württemberg und Bayern im Gegensatz zum sonst üblichen Vorgehen, ausgiebig berücksichtigt (Rn. 279 i.V.m. Rn. 281 f. und Rn. 285 f.).
Die Neuauflage des vorstehend besprochenen Werkes von Grafkann ohne Einschränkung jedem Rechtsreferendar empfohlen werden. Dabei kann nach hiesigem Dafürhalten das Buch für zwei unterschiedliche Zwecke eingesetzt werden: Einerseits kann das Werk vor Beginn des Einzelausbildung im Rahmen der Strafrechtsstation komplett durchgearbeitet werden, um hierdurch sowohl einen Gesamtüberblick auf das Strafverfahren und den Strafprozess als auch jeweils einen Erfahrungswert anhand eines Mustertextes erlangt zu haben. Hierdurch kann der Einstieg in die Stationsarbeit erheblich erleichtert und das Bearbeiten von Akten beschleunigt werden. Andererseits kann das Werk aber auch hervorragend als Nachschlagewerk im Hinblick auf die Ausgestaltung einzelner Verfahrensschritte sowohl von Rechtsreferendaren als auch von dienstjungen Praktikern befragt werden. Insgesamt also ein exzellentes Werk.