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Rezension Zivilrecht: Das Rechtfertigungsprinzip

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Rehberg, Das Rechtfertigungsprinzip – Eine Vertragstheorie, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2014

Von stud. iur. Andreas Seidel, Göttingen


Das Vorliegende Werk von Prof. Dr. Markus Rehberg LL. M. beruht zu weiten Teilen auf seiner 2011 erschienenen Habilitationsschrift und befasst sich mit einer umfassend neuen Theorie zur Auslegung von Verträgen. Ergänzt wurde diese Schrift weitestgehend ausschließlich um ein ausführliches Fazit, das für sich bereits ca. 100 Seiten umfasst.

Ausgangspunkt seiner Arbeit waren dabei die bestehenden Vertragstheorien wie die Erklärungs- oder Willenstheorie. Diese Theorien gehen in ihren radikalsten Erscheinungsformen im Kern davon aus, dass sich der Inhalt des Vertrages ausschließlich aus dem Erklärten bzw. dem Willen der beiden Parteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ergibt. Dabei wird eine sowohl in zeitlicher als auch in örtlicher Hinsicht punktuelle Entscheidung fingiert. Wie bereits an dieser kurzen Definition deutlich wird, benötigen diese konventionellen Theorien eine Vielzahl von Ausnahmen und Sondertheorien um gewisse Unzulänglichkeiten beseitigen zu können. Etwa bei der Frage, wie mit vorvertraglichen Pflichten umzugehen ist oder im Fall der Drohung, bei der zwar erklärt wird, jedoch nur unter Anwendung von vis compulsiva, werden mögliche Fragestellungen deutlich, deren Antwort meistens in Sonderkonstruktionen zu finden ist. Auch im Themenfeld des Zwangs oder der Täuschung sind konventionelle Theorien ratlos.

Hier setzt Rehbergan und stellt seine Vertragstheorie, das Rechtfertigungsprinzip, vor. Dabei mag zwar auf den ersten Blick der Name etwas sonderbar anmuten, bei genauer Betrachtung erschließt sie sich jedoch dem geneigten Betrachter. Der Autor geht davon aus, dass das Vertragsrecht jede Partei nur soweit belasten darf, wie dies ihren eigenen Zielen dienlich ist. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass Parteien unterschiedliche Ziele verfolgen und der Staat widerstreitende Interessen ausgleichen soll. Insofern benötigt der Staat in Form von Legislativorganen und der Judikativen stets eine Rechtfertigung, um in die Dispositionsfreiheit der Vertragsparteien eingreifen zu dürfen. Durch die Einbeziehung der Ziele der Parteien wird der Blick von einer punktuellen Entscheidung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses auf ein Motivbündel hin verlagert, das eine vertragliche Beziehung als einen Prozess sieht, an dessen Ende erst die Kontraktion steht. Im Grunde wird daran eine urliberale Haltung des Autors deutlich, der davon ausgeht, dass „unterschiedliche Wertschätzungen verschiedener Seiten für die gleichen Güter“ bestehen, vgl. S. 8.

Das Werk beginnt mit einer Einführung in das Thema, der abstrakten Erklärung des Rechtfertigungsprinzips und mit methodischen Erläuterungen. Anschließend wird anhand verschiedener Themenkomplexe die Fehlerhaftigkeit und Ungenauigkeit der konventionellen Theorien erläutert. Hier wird unter anderem auf die oben genannten vorvertraglichen Schuldverhältnisse (§ 18 C) eingegangen, auf Täuschung, Drohung und Zwang (insg. § 4), auf Leistungsstörungen (§ 6), Stellvertretung (§ 13), konkludentes Verhalten (§ 12) und auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (§ 14, siehe unten). Dabei folgt Rehberg grundsätzlich dem gleichen Aufbau: Zunächst umreißt er den Themenkomplex und führt in das Problem ein, dann schildert er die Lösungsversuche und Missstände innerhalb der konventionellen Theorien und zum Abschluss beschreibt er die Lösung dieser Probleme mit Hilfe seiner Theorie. An diesen zweiten Teil, in dem exemplarisch die einzelnen Problemfelder herausgegriffen werden um das Rechtfertigungsprinzip anzuwenden, findet sich dann das oben angesprochene ausführliche Fazit.

Am Beispiel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) soll an dieser Stelle gezeigt werden, wie Rehbergvorgeht. Im Rahmen der Einführung in das Problem geht er dabei für eine Vertragstheorie recht weit in die Materie hinein und skizziert den Streitstand umfassend. Er setzt sich mit verschiedenen einzelnen Diskussionen auseinander und versucht zuerst das jeweilige Thema darzustellen. Das Problemfeld der AGB dürfte an dieser Stelle hinreichend bekannt sein, weshalb an dieser Stelle ein kurzer Hinweis auf die einzelnen Diskussionsthemen genügen sollte. Insbesondere soll es an dieser Stelle um die Einbeziehung von AGB und die Inhaltskontrolle gehen.

Bei der Einbeziehung der AGB wird deutlich, wie schwierig der Umgang mit den konventionellen Methoden ist. Häufig werden diese vorgefertigten Bedingungen lediglich als solche wahrgenommen, jedoch weder gelesen noch verstanden. Dabei muss die Frage gestattet sein, wie etwas, dass nicht gelesen wurde, erklärt werden kann. Wenn durch eine Unterschrift auch erklärt werden könnte, was nicht bekannt ist, dann würde die Erklärung vollständig an Wert verlieren. Im Rahmen der Willenstheorie stellt sich die gleiche Frage: Wie kann der Vertragspartner etwas wollen, was ihm nicht bekannt ist? Der Autor illustriert dies wie so oft anhand von kleinen Beispielen wie dem Stückkauf eines unerkannt verschimmelten Brotes, vgl. Fall 170. Hier würde der Verkäufer auch nicht auf das Unbekannte rekurrieren dürfen und sich damit entschuldigen können, dass der Käufer genau dieses Stück Brot kaufen wollte, das verschimmelt war, vgl. S. 816.

Dem entgegen wird nun das Rechtfertigungsprinzip gesetzt, das zuallererst fragt, ob der Staat einschreiten dürfe, wie er handeln könnte und ob nicht ein komplettes Verbot von AGB sinnhafter wäre. Danach wird anhand der Inhaltskontrolle die Reichweite des Prinzips deutlich. Jeder Vertragspartner soll sowohl durch Gesetz als auch durch die Rechtsprechung nur soweit gebunden werden, wie es seinen eigenen Zielen dient. Dabei soll sich der jeweilige Einzelfall angeschaut und nicht generalisierend geurteilt werden. Jedoch soll nicht so weit gegangen werden, dass diejenigen AGB, an deren Entstehung auch unabhängige Stellen wie Kundenverbände beteiligt waren, nach einem anderen Maßstab beurteilt werden sollen. Sobald das Rechtfertigungsprinzip verletzt wird, soll, egal, wer es verletzt hat, durch den Staat Abhilfe geschaffen werden können.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die neue Vertragstheorie von Rehberg, die in dem vorliegenden Werk vorgestellt wird, erfrischend neue Impulse gibt, über die es nachzudenken lohnt. Er macht es durch viele kleine Beispiele und Fälle dem Leser leicht, folgen zu können und illustriert an verschiedensten Stellen. Durch seinen Ansatz, seine Vertragstheorie an möglichst vielen Bereichen zu testen, wird ein umfassendes Verständnis und eine kritische Betrachtung ermöglicht. Insofern lohnt sich die Beschäftigung mit diesem neuen Ansatz insbesondere weil versucht wird, ein umfassendes Konzept zu schaffen, das auf keine Hilfskonstruktionen zurückgreifen braucht.

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