Berlit / Conradis / Sartorius (Hrsg.), Existenzsicherungsrecht, 2. Auflage, Nomos 2013
Von RA, FA für Sozialrecht und FA für Bau- und Architektenrecht Thomas Stumpf, Lehrbeauftragter FH Öffentliche Verwaltung Mayen (Rheinland-Pfalz), Pirmasens
Nachdem die Erstauflage zu diesem Werk zeitlich quasi Hand in Hand mit Inkrafttreten der neuen Gesetzesbücher SGB II und SGB XII im Jahre 2005 erschienen ist, kommt nun nach fast 8 Jahren die Neuauflage. In der Zwischenzeit hat sich allerhand getan, es musste viel überarbeitet und eingefügt werden. Seit Inkrafttreten des SGB II („Hartz-IV-Gesetz“) wurde allein dieses über 60 Mal geändert. Der Gesetzgeber hat in diesem Bereich eine Schlagzahl an den Tag gelegt wie bei kaum einem anderen Gesetz. Dem Gesetz merkt man seinen Stückwerkcharakter an, es leidet an zahlreichen handwerklichen Mängeln und enthält eine Vielzahl ungeklärter (Rechts-)fragen, die mit jeder gesetzgeberischen Änderung im Grunde noch erhöht worden ist. In der Praxis hat das Gesetz ein derartiges Konfliktpotential entfaltet, dass die Sozialgerichte an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus gebracht worden sind. Eine Besserung dieser Lage ist vorerst nicht abzusehen.
Das Werk wird mit der zweiten Auflage nun auf den aktuellen Gesetzgebungsstand gebracht (u. a. auch Instrumentengesetz, Pflege-Neu-Ausrichtungsgesetz) und vermittelt eine riesige Fülle an Hintergrundwissen und Detailinformationen zum gesamten Existenzsicherungsrecht. Bearbeitet werden neben dem bereits erwähnten SGB II auch das Leistungssystem des SGB XII und des Asylbewerberleistungsgesetzes. Gegliedert sind die 1.212 Seiten in insgesamt sieben Teile. Der einführende kurze Teil 1 gibt den gesellschaftlichen und rechtlichen Rahmen der Existenzsicherung vor. Teil 2 befasst sich recht umfassend mit den bereits im BSHG geltenden Strukturprinzipien der Existenzsicherung (wie Bedarfsdeckungsgrundsatz, Nachrangprinzip, Gegenwärtigkeitsgrundsatz etc.). Diese sind keine bloßen Programmsätze, sondern haben bei der Auslegung und Anwendung der jeweiligen Norm konkrete Auswirkungen und sind zum grundlegenden Verständnis des Existenzsicherungsrechts unabdingbar. Der nochmals in eigene Unterabschnitte aufgedröselte Teil 3 widmet sich dann konkret dem Leistungsrecht und stellt mit einem Umfang von ca. 700 Seiten das Herzstück des Handbuchs dar. Es werden zunächst die allgemeinen Leistungsgrundsätze und -voraussetzungen dargestellt und sodann die existenzsichernden Sozialleistungen im Einzelnen abgehandelt. Besonderen Personengruppen und Bedarfen ist dann ein weiterer eigenständiger Abschnitt zugeordnet. Das Buch arbeitet dabei jedoch nicht wie ein Kommentar und will dies auch ausdrücklich nicht. Bereits im Vorwort ist dies explizit klargestellt. Der Blick in den Kommentar soll nicht verdrängt werden und kann von diesem Handbuch auch nicht ersetzt werden. Das ist nicht das Anliegen der Verfasser, die mit ihrem Beitrag Grundlagen und Zusammenhänge herausarbeiten wollen. Teil 4 befasst sich mit dem Übergang und der Überleitung von Ansprüchen, Teil 5 mit den Grundsätzen der Leistungserbringung. Teil 6 widmet sich dem Verwaltungsverfahren und Teil 7 schließlich dem Gerichtsverfahren. Dieser Aufbau, etwas missverständlich als „nach Beratungslagen gegliedert“ beworben, folgt eigentlich dem klassischen Aufbau eines Lehrbuchs.
Das Werk bietet mehr als nur einen Überblick über den Stand der Dinge in puncto Gesetzgebung und Rechtsprechung. Es liefert in einem sehr großen Umfang Detailinformationen und setzt sich intensiv mit dem Schrifttum, den gesetzgeberischen und sozialpolitischen Intentionen und den Auswirkungen des gesetzgeberischen Handelns auf die Realität auseinander. Es werden zudem aussagekräftige Zahlen, Statistiken und Übersichten als Belege mitgeliefert. Die Autoren beziehen Position und hinterfragen kritisch, wie man es auch von ihrer Arbeit als Kommentatoren kennt. Die Entwicklungen hin zu den jeweiligen Regelungen werden ebenso erläutert wie deren aktuellen und tendenziellen Auswirkungen für die Zukunft. Inhaltlich und sprachlich bewegt sich das Buch auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Das Ganze bleibt nicht abstrakt im Sinne einer theoretischen Abhandlung, sondern hat die Rechtspraxis im Fokus, jedoch nicht im Sinne eines Praxisleitfadens. Vielmehr kann das Buch als vertiefende Arbeitsgrundlage für den professionellen Berater verstanden werden. Der Leser kann zudem aus einem reichhaltigen Fundus zitierter Rechtsprechung schöpfen. Um einen schnelleren Zugriff auf den komplexen textlichen Inhalt erlangen zu können, werden in der Regel den (insgesamt 63) Kapiteln sowohl die jeweils nachfolgend behandelten einschlägigen Rechtsgrundlagen in Artikel und Paragraf konkret benannt als auch die Quintessenz der Kapitel in Form von Orientierungssätzen in Fettdruck vorangestellt. Eine gute, nutzerfreundliche Idee. Wer sich intensiv und mit Tiefgang mit der Existenzsicherung befassen möchte, wird wohl kaum eine bessere Kompilation finden als das vorliegende Handbuch von Berlit / Conradis / Sartorius.