Bachmeier / Müller / Starkgraff, Fachanwaltskommentar Verkehrsrecht, 2. Auflage, Luchterhand 2014
Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
Die zweite Auflage des vor einigen Jahren erstmals erschienenen „Fachanwaltskommentars Verkehrsrecht“ ist mit Spannung erwartet worden - immerhin verspricht der Name einiges. Über 2800 Seiten und ein Zugriff auf das Werk bei jurion stehen dem Leser nunmehr zur Verfügung. Von der ersten Auflage war ich nicht vollends überzeugt gewesen: damals war meiner Ansicht nach die Gewichtung der einzelnen Abschnitte - bezogen auf den Titel des Werks - nicht stimmig, einige Rechtsgebiete waren völlig unterrepräsentiert, das Werk hatte über weite Strecken eher den Charakter eines Handbuchs und neben einigen herausragenden inhaltlichen Teilen wie z.B. von Bachmeier gab es doch ein oder zwei Stellen, an denen man mit Nachdruck herumkritteln konnte.
In der zweiten Auflage hat sich neben dem Verlag nunmehr auch das Herausgeberteam geändert, leider aber nicht der Schwerpunkt, was schon aus dem Werbetext klar wird: das Verkehrsverwaltungsrecht wird deutlich stärker als in anderen Werken akzentuiert. Darauf ist später noch einzugehen. Das Bearbeiterteam ist bunt durchmischt, dabei mit vielen Autoren aus dem Bereich der (Polizei-)Verwaltung aber auch mit zahlreichen bekannten Namen. Es mutet in diesem Zusammenhang allerdings etwas unglücklich an, wenn die (sicher nicht einzige?) Qualifikation einer Autorin mit „Gemeinderätin“ angegeben wird und diese dann auch noch die Verfallsnormen kommentiert, wo in höchstem Maße Praxiswissen von Nöten ist.
Die Kommentierungen beginnen im „Zivilrecht“, worunter einzig das StVG fällt und ca. 460 Seiten beansprucht. Danach folgt der Abschnitt „Verwaltungsrecht“ mit knapp 2000 Seiten, darunter die EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung, die Fahrerlaubnis-Verordnung, die Fahrzeug-Zulassungsverordnung, die StVO, die StVZO und die VwGO. Der letzte Abschnitt befasst den Leser mit dem Ordnungswidrigkeitenrecht und dem Strafrecht in Auszügen, also Teilen des OWiG, des StGB und der StPO auf ca. 210 Seiten.
Nun zu den Details. Im „zivilrechtlichen“ Teil, also dem StVG, findet man keineswegs nur zivilrechtliche Kommentierungen, weshalb die interne Unterteilung nicht wirklich stimmig ist. Dass man dann wie in der Kommentierung zu § 4 StVG (Punktesystem) durch Kalus kein Wort zur Punktebewertung nach dem neuen Registersystem findet (genauso wenig wie im Vorwort der Herausgeber, das aus dem Herbst 2013 stammt!), erstaunt doch sehr. Nicht, dass das alte Recht unwichtig geworden wäre, aber nachdem in zahlreichen anderen Abschnitten sehr wohl das ab dem 01.05.2014 geltende Recht wenigstens angesprochen wird, hätte man es hier auch erwarten können. Gleiches gilt übrigens für die Kommentierung von Reblerzu § 29 StVG, wo die Rn. 22 noch auf einem sehr alten Stand zu sein scheint und nicht wie das Vorwort behauptet Juli 2013.
Die Kommentierung zu § 7 StVG von Bachmeierbringt dann weit mehr als die Norm selbst, nämlich das gesamte System der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung des Fahrers inklusive Sonderkonstellationen wie dem Sozialversicherungsregress oder dem Kinderunfall - alles kompakt auf engem Raum, aber gut verständlich. In der kombinierten Kommentierung zu §§ 10, 11 StVG wird neben dem Personenschaden auch das Schmerzensgeld umfangreich erläutert. Auch hier kommen Details, etwa des Haushaltsführungsschadens, der HWS-Verletzung oder Verjährungsprobleme in angemessener Kürze, aber in dennoch anregender Darstellungsweise zur Sprache. In der Kommentierung zu § 12 StVG wiederum wird das gesamte Sachschadensregime untergebracht, also inklusive der Dauerbrenner UPE-Aufschläge bei fiktiver Abrechnung, Berechnung der Wertminderung oder Wahl der Schätzgrundlage für Mietwagenkosten samt Unfalltarifaufschlag. Zusätzlich untergebracht wird auch noch ein Unterkapitel zur Kaskoschadensversicherung. Nicht zu finden ist allerdings der Unterpunkt „Sachverständigenkosten“, obwohl es da nicht nur die BGH-Entscheidung zur Quotelung, sondern auch Interessantes zur Bagatellgrenze oder der Höhe der Kosten zu berichten gegeben hätte.
Positiv auffällig ist, dass trotz des gedrängten Platzangebots auch Details zur Sprache kommen, etwa der Zusammenhang zwischen alsbaldiger Zustellung und Verjährung in § 13 StVG oder die (mittlerweile durch den EuGH entschiedene) Frage der Zustellung an den Regulierungsbeauftragten der ausländischen Versicherung (§ 16 StVG, Rn. 54-55). Geradezu opulent fällt dann die wiederum sehr gute Kommentierung von Bachmeier zu § 17 StVG aus: dieser erläutert zuerst das allgemeine System des § 17 StVG und bietet dann alphabetisch sortierte Einzelfälle zu besonderen Straßenverkehrssituationen mit entsprechender Haftungsquotelung. Dabei werden sogar aktuelle Rechtsfragen in gebotenem Umfang aufgegriffen, etwa der Einfluss des Helmtragens auf die Quotenbildung (§ 17 StVG, Rn. 303 ff.). Wünschenswert für Folgeauflagen wäre allerdings ein strikter Abgleich mit den Kommentierungen der StVO, um Doppelungen zu vermeiden und - viel wichtiger - um Querverweise einzufügen.
Im Bereich der straf- und bußgeldrechtlichen Vorschriften des StVG wird § 28a StVG gar nicht mitkommentiert, nicht einmal der Gesetzestext abgedruckt. Was sich die betroffenen Autoren dabei gedacht haben, erschließt sich mir überhaupt nicht, insbesondere da die Norm auch nach der Gesetzesreform nicht wegfällt. Bei § 26 StVG wird die Wechselwirkung der Verjährungsfrist mit § 33 OWiG mit keinem Wort erwähnt. Bei der Kommentierung zu § 24 StVG sind die Erörterungen ebenfalls verbesserungsbedürftig. So wird zuerst zu Vorsatz und Fahrlässigkeit ausgeführt, dann zu Regelfall und Regelsatz des Bußgeldes. Zum einen ist die dort aufgestellte Behauptung, dass bei Verhängung des Regelsatzes unabhängig von der Bußgeldhöhe keine weiteren Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen angezeigt sind, schlicht unrichtig: die obergerichtliche Rechtsprechung ist hierüber gerade uneins. Zudem ist der dort eingefügte Abschnitt zum Rückschluss auf den Vorsatz aus der Geschwindigkeit unglücklich, denn dem Leser wird dort suggeriert, ein solcher Rückschluss sei ohne weitere Indizien möglich. Das ist aber keineswegs der Fall, was die obergerichtliche Rechtsprechung auch ständig betont. Im Rahmen des § 25 StVG bin ich auch nicht glücklich über die Kommentierung zum Absehen vom Fahrverbot. Anstatt das Ganze dogmatisch sauber zu ordnen, d.h. zuerst das Absehen oder den Wegfall des Fahrverbots, danach (!) als zweiten Denkschritt des Verteidigers, für den das Werk ja konzipiert sein soll, die Prüfung des § 4 Abs. 4 BKatV anzusetzen, gehen die Einzelprobleme hier munter durcheinander. Es spricht dabei Bände, dass das Standardwerk von Krumm zum Fahrverbot weder im Gesamtliteraturverzeichnis noch im besonderen Literaturverzeichnis vor der Norm zu finden ist.
Den großen Abschnitt zum Verwaltungsrecht kann ich größtenteils mangels ständiger Befassung in der Praxis weder loben noch kritisieren. Zum schon oben genannten auffällig sparsamen Umgang mit der Verkehrszentralregisterreform gehört auch der Umstand, dass die Anlage 13 zu § 40 FeV verwunderlicherweise weder für das alte Recht noch für das neue Recht enthalten ist.
Zur StVO, deren Kommentierung auch zivil- und bußgeldrechtliche Ausführungen enthält, sollen wiederum ein paar Stichproben genommen werden. In § 1 StVO wird der öffentliche Verkehrsraum mit verschiedenen Problemfeldern durchgesprochen, allerdings ohne die BGH-Entscheidung aus dem Januar 2013 - wo doch der Stand der Rechtsprechung Juli 2013 sein soll. Gut gelungen sind die Abschnitte zu den Sorgfaltsregeln der StVO und zum Vertrauensgrundsatz. In § 2 StVO wären ein oder zwei Sätze zur Staatshaftung passend gewesen, wenn schon auf die Frage, wann vor nicht befahrbaren Seitenstreifen gewarnt werden muss, eingegangen wird. Gut gelungen ist die Zusammenstellung zu den Geschwindigkeitsmessmethoden in § 3 StVO durch Schröder. Einige Aspekte hätte man sich noch gewünscht, etwa zur Frage, welche notwendigen Feststellungen das Gericht zu treffen hat, wenn es sich um ein standardisiertes Messverfahren handelt, dann natürlich zum Streitstand um Akteneinsicht und Bedienungsanleitung oder einige Worte zur Rechtsbeschwerde in Bußgeldsachen. Für die Quotenbildung bei Geschwindigkeitsverstößen wäre auch ein eigener Abschnitt sinnvoll. Ansonsten werden aber im Rahmen der StVO-Normen, z.B. bei §§ 9, 10 und 37 StVO durch Müller, die Details zu Haftungsfragen, Quotenbildung und Ordnungswidrigkeiten gut unterteilt und ausgeführt. Sehr lesenswert sind die Ausführungen von Bachmeierzu § 23 StVO, insbesondere zur Benutzung eines Mobiltelefons. Was hier und bei den sonstigen Normen der StVO an Ausführlichkeit geboten wird, hätte ich mir an späterer Stelle auch beim Ordnungswidrigkeitenrecht insgesamt gewünscht. In ihrer Kompaktheit bietet zudem die Kommentierung zu § 31 StVZO durch Rebler ein Höchstmaß an Genauigkeit, sogar mit aktuellster Rechtsprechung (OLG Bamberg, 12.06.2013, 2 Ss OWi 659/13) zur Frage der Delegation der Halterpflichten.
Nunmehr aber zum „Stiefkind“ des Werks, dem Straf- und Bußgeldrecht. Nur auszugsweise werden die Normen des OWiG kommentiert, wobei wesentliche Eckpfeiler ganz fehlen, u.a. § 17 OWiG, § 47 OWiG (!), alle Normen des gerichtlichen Verfahrens, die Pflichtverteidigung und viele andere. Wozu im Rahmen der Kommentierung des § 46 OWiG die Beweisanträge im Gerichtsverfahren angesprochen werden, wenn der Rest des gerichtlichen Verfahrens außen vor gelassen wird, bleibt ungeklärt. Ebenso, warum eine ganze Seite auf die Frage der Vereidigung von Zeugen verwendet wird. Dass zudem im Rahmen des § 46 OWiG nicht einmal die Akteneinsicht thematisiert wird, die seit Ende 2012 eines der umstrittensten Themen im Bußgeldverfahren ist, bestätigt meine Befürchtung, dass neben dem verwaltungsrechtlichen Bereich die übrigen Rechtsgebiete, abgesehen von punktuellen Ausnahmen, nicht kohärent und konsequent, sondern nur bruchstückhaft ergänzt wurden. Letzten Endes ist die in diesem Werk angebotene Kommentierung des OWiG in der Gesamterscheinung (nicht bezüglich der kommentierten Einzelnormen) untauglich für den Rechtsanwender: es fehlen einfach zu viele Aspekte, die man in einem „Fachanwaltskommentar“ erwarten würde.
Der strafrechtliche Teil bietet solides Kommentierungshandwerk und lässt nur punktuell Auslassungen erkennen. Zum Beispiel vermisse ich bei § 44 StGB gerichtliche Nachweise für die Problematik des Wegfalls der Spezialprävention bei langem Zeitablauf seit der Tat, gerade im Vergleich zur Rechtsprechung zum Bußgeldrecht. Bei § 142 StGB werden aktuelle Rechtsfragen zu Unfällen auf Parkflächen oder zum Abweichen vom Regelfall bei der Folgeprüfung des § 69 StGB sachgerecht aufgegriffen. Die Darstellung der Fallvarianten der verkehrsrechtlichen Nötigung im Rahmen des § 240 StGB gelingt sehr anschaulich (auch wenn man sich hier noch die Entscheidung des BGH vom 19.12.2012, 4 StR 497/12, erwähnt gewünscht hätte). Die Klassiker, §§ 315c und 316 StGB sind lehrreich kommentiert worden. Die Kommentierung zu § 81a StPO verhält sich für meinen Geschmack etwas zu wenig zum vor Gericht sehr virulenten Problem der Frage des Beweisverwertungsverbots, das in den letzten Jahren durch zahlreiche Oberlandesgerichte geprüft wurde und wozu mittlerweile klare Kategorien entwickelt wurden. Dies beschreibt Frommin seiner guten Kommentierung zu § 24a StVG auf engem Raum vorzüglich, nicht aber Starkgraff in § 81a StPO. Hier wäre, wie auch an manch anderer Stelle, für die Folgeauflage ein konsequenter Abgleich der Inhalte der Kommentierungen für Querverweise und zur Vermeidung von Doppelungen angezeigt. Außerdem würde ich eine interne Prüfung begrüßen, ob es der Sache dienlich ist, wenn die Bearbeiterin Starkgraff sachfremde und unpassende Kategorien wie den „unwilligen“ und den „überwilligen“ Richter einführt, um sich an den Problemen des § 81a StPO entlangzuhangeln.
Was bleibt als Fazit? Wie schon bei der Erstauflage halte ich die Bezeichnung „Fachanwaltskommentar“ für nicht angebracht. Die Gewichtung der einzelnen Rechtsgebiete jedenfalls erlaubt eine solche Bezeichnung nicht, werden doch das Zivilrecht und das Versicherungsrecht keineswegs in der gebotenen Ausführlichkeit, das Ordnungswidrigkeitenrecht nur ungenügend und das Strafrecht höchstens im Mindestumfang abgehandelt. Ob das Verkehrsverwaltungsrecht nur mit diesem Werk abgedeckt werden kann, kann ich nicht beurteilen. Der Verteidiger bzw. Anwalt benötigt jedoch definitiv zusätzliche Werke, um das gesamte Beratungsgebiet abzudecken. Das Werk an sich hat eine meiner Ansicht nach unpassende Unterteilung, weil die einzelnen Gesetze eben nicht nur dem Zivilrecht oder dem Verwaltungsrecht zugewiesen sind. Zudem hat das Werk einige mir unerklärliche Lücken aufzuweisen, sowohl was das neue Register, als auch was sonstige Kleinigkeiten angeht. Selbst wenn das Vorwort davon spricht, dass nunmehr ein originäres Kommentarwerk vorgelegt wird, entspricht der Leseeindruck über weite Strecken doch eher einem Handbuch - was nicht schlecht sein muss, aber dann mag man dem Ganzen doch eher den Titel „Handbuch für das Verkehrsverwaltungsrecht“ oder eine andere Bezeichnung geben. Auch wenn einzelne Normen und Komplexe hervorragend ausgearbeitet sind, überwiegt jedenfalls bei mir insgesamt ein Eindruck der Unzufriedenheit mit dem Werk.