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Rezension Zivilrecht: BGB + KI-Anwendung

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Grüneberg, BGB Chat-Book 2025: Buch (84. Auflage) + KI-Anwendung FRAG DEN GRÜNEBERG, 84. Auflage, C.H. Beck 2024

Von Dr. Michael Höhne, Frankfurt am Main

Immer wieder hört und liest man, dass zu konkreten (auch juristischen) Fragestellungen die Literatur „befragt“ wird. Mit und mithilfe der Literatur können die Fragestellungen dann beantwortet werden. Bislang antwortete die Literatur aber nicht unmittelbar und direkt auf die Fragestellungen. Das ändert sich jetzt.

Der Klassiker der Kommentarliteratur im Zivilrecht, der Beck’sche Kurz-Kommentar Grüneberg, erscheint mittlerweile in 84. Auflage auch in altem Gewand: Grauer Buchrücken, grauer Einband. In dieser Version kann die Neuauflage weiterhin erworben werden. Neu ist der zusätzliche digitale Auftritt, der nur mithilfe einer sog. Grüneberg-Karte genutzt werden kann. Die Online-Anwendung setzt in mehrerlei Hinsicht Künstliche Intelligenz (KI) ein, um Nutzern (in der juristischen Literatur) völlig neuartige Möglichkeiten zu eröffnen.

Diese Rezension wird sich nacheinander mit den beiden Bestandteilen der Zusammenstellung „Grüneberg BGB Chat-Book 2025“ und dann mit dem Set an sich auseinandersetzen.

 

„KI-Anwendung FRAG DEN GRÜNEBERG“: Die allein online aufrufbare Anwendung enthält drei spezifische und eine übergeordnete Funktion. Man kann zunächst innerhalb des Grüneberg nach Stichworten suchen oder sich bestimmte Randnummern aus dem Buch anzeigen lassen. Man kommt dabei nicht nur schneller zum Ziel als bei der Nutzung des Buches, sondern man erhält auch bei der Stichwortsuche mehr Ergebnisse als über das im Buch vorhandene Sachverzeichnis. Weiter kann man in sich geschlossene Fragen stellen („Frag den Grüneberg“) und auch in einen Dialog mit dem Grüneberg treten („Sprich mit dem Grüneberg“). In beiden Kategorien stellt man dem Programm rechtliche Fragen bzw. Fragestellungen, die mithilfe einer KI auf Basis der im Grüneberg vorhandenen Informationen beantwortet werden. Wenn man mit dem Grüneberg „spricht“, ist eine sog. „Falllösung im Dialog“ möglich, da die Fragen und Antworten aufeinander aufbauen können. Bei dem Dialog ist es wichtig, selbst den richtigen Fokus zu erkennen und die Fragen danach auszurichten. Die KI stellt keine Rückfragen, um den Prüfungsgegenstand für die Beantwortung der Fragen zu präzisieren. Fragt man etwa „Wann kann man einen Vertrag kündigen?“, antwortet die KI mit allgemeinen sowie spezifischen Ausführungen zu bestimmten Vertragsarten (etwa zu Werkverträgen) und fragt nicht nach, um welche Vertragsart es geht. Generell können die Antworten der KI erfreulicherweise oftmals – aber nicht immer – überzeugen (näher dazu etwa Beurskens unter https://www.lto.de/recht/juristen/b/frag-den-grueneberg-bgb-kommentar-ki-anwendung-beck-verlag-1 und Zenthöfer in FAZ vom 09.12.2024, S. 16, siehe auch https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/mehr-wirtschaft/standardwerk-fuer-zivilrecht-mit-ki-der-grueneberg-chatbot-im-test-110161651.htmlzuletzt abgerufen am 16.12.2024). Immerhin sind die Antworten (allerdings begrenzt auf das Zivilrecht) – jedenfalls in der diesseits durchgeführten vergleichenden Stichprobe – besser und fundierter als die Antworten anderer Large Language Models wie ChatGPT oder Gemini. Gleichwohl gilt – wie auch verlagsseitig immer wieder aufgeführt wird –, dass die Antworten der KI nicht ungeprüft übernommen werden können. Durch die Möglichkeit, (für die KI) relevante Quellen aus dem Grüneberg unmittelbar einzusehen, wird diese Überprüfung deutlich erleichtert.

Die dargestellte Dreiteilung der Benutzeroberfläche ist für Nutzer aus hiesiger Perspektive eher etwas umständlich. Intuitiver wäre es gewesen, wenn nur eine Eingabefläche für alle Arten von Anfragen – oder jedenfalls für die KI-Funktionen – zur Verfügung stünde. Inwieweit dies technisch umsetzbar wäre, vermag hier nicht beurteilt zu werden.

Als weiterer Anwendungsbereich von KI innerhalb der Online-Anwendung findet sich nunmehr die Möglichkeit, die Fundstellen aus dem Grüneberg nicht in der sog. „Grüneberg-Telegrammsprache“ sondern in einer KI-generierten Langversion anzeigen zu lassen. Für langjährige Nutzer des Grüneberg ist der Vorteil beim Lesen als eher gering einzustufen. Gerade für den Fall, dass man Ausführungen kopieren (und etwa in einen Schriftsatz einfügen) möchte, ist die Funktion aber sehr hilfreich.

Laut der Werbung des Beck-Verlages ist der Kommentar gerichtet an Juristinnen und Juristen in sehr unterschiedlichen Arbeitsbereichen, wie etwa Richter, Rechtsanwälte, Studierende und Referendare (https://www.beck-shop.de/grueneberg-buergerliches-gesetzbuch-bgb/product/36900602 , zuletzt abgerufen am 16.12.2024). Vor diesem Hintergrund ist nun kurz aufzuzeigen, welche Besonderheiten für bestimmte Nutzergruppen bestehen:

- In der Praxis von Referendarinnen und Referendaren spielt der Grüneberg eine wichtige Rolle. In allen Bundesländern ist der Kommentar zur Zweiten Juristischen Staatsprüfung zugelassen. Damit wirbt der Beck-Verlag völlig zu Recht. Für Referendarinnen und Referendare birgt der Einsatz der Online-Anwendung durchaus Risiken: Der Umgang mit dem (derzeit noch) allein in der Prüfung zur Verfügung stehenden physischen Buch wird nicht eingeübt. Gerade das Erlernen und Einüben der schnellen Suche im Buch kann in der (zivilrechtlichen) Examensklausur ein Schlüssel zur guten Klausurbearbeitung sein. Zudem darf in der Klausurbearbeitung auch keine Zeit dadurch verloren gehen, dass man die im Buch allein vorhandene „Grüneberg-Telegrammsprache“ nicht hinreichend gut entschlüsseln kann. Probeklausuren sollten deshalb (auch im heimischen Umfeld) immer unter ausschließlicher Nutzung des Buches verfasst werden. Für Referendarinnen und Referendare ist der Einsatz der KI-Anwendung gleichwohl etwa bei der Erstellung von (zivilrechtlichen) Ausarbeitungen im Referendariat sinnvoll und gewinnbringend.

- Für Studierende erfreulich ist etwa, dass man sich mit der KI-Anwendung schnell Prüfungsschemata angeben lassen kann. Über die Funktion „Sprich mit dem Grüneberg“ kann man sogar auch in gewissem Umfang vereinfacht Klausuren oder Hausarbeiten lösen (siehe dazu auch Beurskens a.a.O.). Was für Studierende ein erheblicher Vorteil sein kann, könnte Universitäten (zunächst im Zivilrecht) aber durchaus vor große – bzw. im Hinblick auf KI generell: noch größere – Herausforderungen stellen.

- Die KI-Anwendung ermöglicht manchen Berufsgruppen besonders interessante Optionen. So können etwa Schreiben von Anwälten bzw. Anwältinnen oder entsprechende E-Mails stilsicher entworfen werden. Entscheidungsgründe aus einem Urteil können hingegen nicht ohne weiteres dargestellt werden.

Generell erscheint es aus heutiger Perspektive nicht ohne weiteres abschätzbar, in welchem Umfang man gewinnbringende Funktionen durch ein gezieltes Anfordern in der KI-Anwendung zu Tage fördern kann. Die FAQ führen etwa aus „Fordern Sie die Software-Anwendung auf, erste Entwürfe von E-Mails, Schreiben, Schriftsätzen, Vertragsklauseln o.Ä. unter Berücksichtigung der Antworten entwerfen zu lassen.“ (siehe https://rsw.beck.de/buecher/grueneberg/faq-frag-den-grueneberg zuletzt aufgerufen am 16.12.2024). Bis auf wenige Beispiele sind bislang kaum mehr Informationen auch etwa zum Thema zielführendes Formulieren in der KI-Anwendung (sog. „Prompt Engineering“) vorhanden. Die volle Leistungskraft der Anwendung kann (auch deshalb) diesseits nicht beurteilt werden. Wünschenswert wären weitere Anleitungen des Verlags, etwa auch in Form von Videos oder sogar (Kurz-)Schulungen.

Aber auch ohne spezifisches Wissen und Erfahrung im Umgang mit Chatbots lassen sich über die KI-Anwendung viele Erkenntnisse gewinnen.

Die Verlinkung auf in beck-online vorhandene Quellen ist gerade dann interessant, wenn man über einen entsprechenden Zugang verfügt. Ein weiterer Vorteil der Online-Anwendung liegt darin, dass der im Buch bestehende Platzmangel (naturgemäß) online nicht besteht. Deshalb finden sich auch die aus Platzgründen vom Buch in das (bereits früher existierende) Online-Format „GrünHome“ ausgelagerten Vorschriften (etwa Rom II-VO) unmittelbar in der KI-Anwendung.

Wie auch in anderen Chatbots lassen sich die Antworten per Knopfdruck kopieren, um sie dann leicht an gewünschter Stelle einfügen zu können. Darüberhinausgehende Funktionen des Exports (etwa direkt in E-Mails) stehen nicht zur Verfügung.

 

„Buch“: Das physisch greifbare Buch hält – soweit ersichtlich – den hohen Standard, den die Vorauflagen bereits aufwiesen. Es dürfte außer Frage stehen, dass der Grüneberg ein wichtiges und weiterhin relevantes Standardwerk ist. Vor dem Hintergrund, dass hier ein (Gesamt-)Werk rezensiert wird, in dem Künstliche Intelligenz (KI) eine erhebliche Rolle spielt, darf darauf verwiesen werden, wie eine KI (in Gestalt des Large Language Models „Gemini“) eine Rezension über den Grüneberg ausgestalten würde:

„Der Grüneberg-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) hat sich seit Jahren als das Standardwerk für Zivilrechtler etabliert. In der [Auflage] liegt nun eine weitere aktualisierte und überarbeitete Fassung vor, die den hohen Ansprüchen der juristischen Praxis gerecht wird. […] Besonders hervorzuheben ist die [hier positive Eigenschaft benennen, z.B. klare Struktur, präzise Sprache, umfassende Rechtsprechungsnachweise]. Die Autoren schaffen es, komplexe Rechtsfragen verständlich und prägnant darzustellen, ohne dabei an Tiefe zu verlieren. […]

Fazit: Der Grüneberg-Kommentar ist und bleibt ein unverzichtbares Werkzeug für jeden Juristen, der sich mit dem BGB befasst. Er bietet eine umfassende und aktuelle Darstellung der Rechtsmaterie und ist sowohl für Studierende als auch für Berufstätige gleichermaßen geeignet.“ (Antwort von https://gemini.google.com/app am 16.12.2024 zum Prompt „Bitte erstelle mir eine Rezension zum Buch Grüneberg BGB Kommentar in deutscher Sprache“)

Insoweit zeigt sich anhand der probabilistischen Arbeitsweise von generativer KI schlussendlich auch nur die für Juristen so bedeutsame „herrschende Meinung“: Der Grüneberg ist ein auffällig gutes Buch.

Sicherlich ließe sich nach der Nadel im Heuhaufen suchen, um auch zu zeigen, dass man das Buch tatsächlich (zumindest ansatzweise) gelesen hat. Der Mehrwert für die Rezension dürfte sich aber in Grenzen halten, da sich an der positiven Bewertung des Werkes kaum etwas ändern könnte. Auch soll hier nicht weiter aufgeführt werden, welche Themen im Buch neu eingearbeitet wurden. Einerseits kann man dies ohne weiteres den Informationen im beck-shop oder dem Vorwort im Buch entnehmen. Andererseits kann man sich auch darauf verlassen, dass alle relevanten Gesetzesänderungen umfassend eingepflegt wurden.

 

„Chat Book 2025“: Die für den Online-Zugang erforderliche Grüneberg-Karte kann für sich oder im Set mit dem Buch erworben werden; für die Nutzung der digitalen Anwendung wird aber auch das Buch benötigt, da sich dort einer der zwei erforderlichen Codes zur Freischaltung findet. Diesseits wird vermutet, dass es viele Nutzer geben dürfte, die allein Interesse an einer Nutzung der digitalen Anwendung haben. Gerade wenn die Qualität der Online-Anwendung sich in Zukunft verbessern sollte und die Anwendung damit noch interessanter wird, wäre es sicherlich erfreulich, wenn auch eine (kostengünstigere) Nutzung allein der Online-Anwendung ermöglicht würde.

Die Spielart der zwei Zwei-Faktor-Authentifizierung mit zwei eher langen Codes ist aus hiesiger Perspektive auch verbesserungswürdig. Insbesondere ist aufgefallen, dass sich ein großes i und eine 1 oder auch (wie so häufig) der Buchstabe O und die Zahl 0 sehr ähnlich sehen. Da bei der Authentifizierung auch nicht mitgeteilt wird, bei welchem eingegebenen Code der Eingabefehler liegt, kann die Fehlersuche etwas erschwert sein.

 

Fazit:

Der Grüneberg-Kommentar ist und bleibt ein unverzichtbares Werkzeug für jede Juristin und jeden Juristen, der sich mit dem BGB und weiteren zivilrechtlichen Vorschriften befasst. Ob sich auch die Online-Anwendung FRAG DEN GRÜNEBERG in gleicher Weise etablieren wird, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt regt die KI-Anwendung zum kritischen Ausprobieren an. FRAG DEN GRÜNEBERG ermöglicht bereits in der ersten veröffentlichten Version eine effiziente Recherche. Rechtsfragen aus dem Bereich des Zivilrechts werden in vielen Fällen präzise und gewinnbringend beantwortet. Die Zusatzfunktionen, wie das KI-gestützte Erstellen von anwaltlichen Schreiben, sind bereits ohne weiteres in der Praxis einsetzbar, da nachvollziehbare Ergebnisse in guter Sprachqualität produziert werden. Allerdings bleiben generell Fehler (derzeit noch) nicht aus, weshalb allein ein reflektierter Umgang mit der Software erfolgen sollte.


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