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Rezension: Harry Potter und die Gesetze der Macht

Schäffer, Harry Potter und die Gesetze der Macht, 1. Auflage, Recht und Wirtschaft 2024

Von Rechtsanwältin Jennifer Schäfer-Jasinski, Offenbach am Main

Jannina Schäffers Dissertation „Harry Potter und die Gesetze der Macht“ hebt sich durch die ungewöhnliche Herangehensweise an das Thema Recht hervor. Die Arbeit befasst sich mit der Rechtsordnung, wie sie in den sieben Bänden von J.K. Rowlings Harry-Potter-Reihe dargestellt wird, und vergleicht diese mit der deutschen Rechtsordnung sowie den Rechtsstrukturen des Nationalsozialismus. Dabei legt Schäffer den Schwerpunkt auf das Strafprozessrecht – ein Bereich, der sich in der magischen Welt erstaunlich gut auf reale rechtliche Fragestellungen anwenden lässt. Die Betreuung der Dissertation übernahmen zwei Professorinnen: Prof. Dr. Anja Schiemann und Prof. Dr. Anne Schneider, die sie mit summa cum laude bewerteten.

Von Beginn an ist muss sämtlichen Lesenden klar sein, dass es sich bei dieser Dissertation nicht um eine klassische juristische Arbeit handelt. Vielmehr bewegt sie sich im vergleichsweise selten erforschten Bereich von Law in Literature. Diese interdisziplinäre Disziplin analysiert literarische Werke unter juristischen Gesichtspunkten. Schäffers Dissertation fügt sich in ein bisher eher wenig erforschtes Gebiet ein, das insbesondere im englischsprachigen Raum allmählich an Popularität gewinnt. Bisher gibt es nur wenige Dissertationen auf diesem Gebiet, was Schäffers Arbeit zu einer willkommenen Abwechslung macht.

Die 540 Seiten umfassende Dissertation ist klar strukturiert und in vier Teile gegliedert, wobei der dritte Teil den Schwerpunkt bildet. Schäffer beginnt mit einer Einleitung, die die Lesenden auf das Thema einstimmt. Es folgt ein kürzerer Abschnitt über das Phänomen „Harry Potter“ und dessen Schöpferin J.K. Rowling. Der Hauptteil widmet sich dann dem Thema „Recht und Politik in Harry Potter“. Besonders erfreulich für die Lesenden ist die klare Gliederung der Arbeit. Die angenehme Verwendung von Absätzen und eine gut lesbare Schriftgröße tragen zu einem flüssigen Leseerlebnis bei. Persönlich hätte ich es als hilfreich empfunden, wenn die englischsprachigen Zitate aus der Sekundärliteratur ins Deutsche übersetzt worden wären bzw. die deutsche Übersetzung hilfsweise in den Fußnoten Platz gefunden hätte. Dennoch beeinträchtigt dies nicht die Qualität der Dissertation.

Obwohl Harry Potter ein Werk der Fantasie ist, begegnet Schäffer dem Thema mit der nötigen Ernsthaftigkeit. Ihre Vergleiche zwischen der magischen und der realen Welt sind beeindruckend fundiert und die Rechtssysteme, die sie in der Harry-Potter-Welt untersucht, erscheinen so real, dass man fast glauben könnte, sie seien tatsächlich praktiziert worden. Besonders ergreifend ist, dass Schäffer nicht nur die Unterschiede zwischen dem magischen und realen Rechtssystem herausarbeitet, sondern auch wertvolle Lehren aus ihren Vergleichen zieht. Im Zentrum der Dissertation steht Harry Potters Kampf gegen das Böse und gegen die Unterdrückung von Minderheiten – Themen, die Schäffer mit den Schrecken des Holocaust und der Judenverfolgung im Nationalsozialismus in Verbindung bringt. Dieser Vergleich hat im Internet teils kritische Stimmen hervorgerufen. Einige halten es für unangemessen, die fiktionalen Ereignisse aus der Harry-Potter-Reihe mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust zu vergleichen. Schäffer geht jedoch mit großer Sorgfalt und Sensibilität an das Thema heran. Ihre Arbeit verschmäht den Holocaust keineswegs, sondern nutzt die Parallelen, um eine moderne Form der Aufklärung zu bieten. So könnte ihre Dissertation insbesondere jüngeren Generationen helfen, das Ausmaß der Gräueltaten des Holocausts besser zu verstehen, indem sie die Themen mit populären kulturellen Erzählungen verknüpft. Vor dem Hintergrund des Schwindens von Zeitzeugen erscheint diese Dissertation zu einem förderlichen Zeitpunkt.

Schäffers Herangehensweise mag unkonventionell erscheinen, doch leistet sie meiner Meinung nach einen wertvollen Beitrag zum kollektiven Gedächtnis und zur Erinnerungskultur. Es wird deutlich, dass sie das Potenzial der Literatur nutzt, um historische Zusammenhänge auf neue und zugängliche Weise zu vermitteln. Ihre Dissertation wird dadurch auch zu einem Appell, die dunklen Kapitel der Menschheitsgeschichte nicht zu vergessen.

Schäffers Dissertation konzentriert sich in erster Linie auf das deutsche Strafprozessrecht und dessen Entwicklung, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus. Dabei beleuchtet sie sowohl die historischen als auch die gegenwärtigen Gefahren, die von autoritären Rechtssystemen ausgehen können. An relevanten Stellen zieht sie Vergleiche mit den Rechtsordnungen der USA und Großbritanniens, was der Arbeit zusätzliche Tiefe verleiht. Schäffer zeigt auf, wie eng Fiktion und Realität miteinander verwoben sind. Die Probleme, die in der magischen Welt von Harry Potter auftreten – etwa Machtmissbrauch, Diskriminierung und die Unterdrückung von Minderheiten – lassen sich direkt auf reale historische und aktuelle Bedrohungen übertragen. Diese Dissertation öffnet den Blick für juristische und gesellschaftliche Herausforderungen, die nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart existieren.

Dr. Jannina Schäffers Dissertation „Harry Potter und die Gesetze der Macht“ ist ein Werk, das auf innovative Weise Fiktion und Rechtswissenschaft miteinander verbindet. Sie bietet nicht nur einen tiefen Einblick in die rechtlichen Strukturen der magischen Welt von Harry Potter, sondern zeigt auch eindrucksvoll auf, wie diese fiktive Welt als Spiegelbild realer Gefahren und Machtstrukturen fungiert. Schäffers Analyse des deutschen Strafprozessrechts und der Rechtsordnungen des Nationalsozialismus ist fundiert und gut durchdacht. Gleichzeitig gelingt es ihr, diese komplexen Themen durch die Verknüpfung mit der Harry-Potter-Reihe einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen. Das Fazit der Dissertation hätte meines Erachtens etwas länger ausfallen können. Mit 8 Seiten ist es vergleichsweise schmal geraten.

Für alle, die sich für die Verknüpfung von Recht in der Literatur, für die Machtstrukturen in der Fiktion oder für die gesellschaftlichen Implikationen der Harry-Potter-Romane interessieren, ist diese Dissertation eine lohnenswerte Lektüre.


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