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Rezension: Ordnungswidrigkeitenrecht

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Kraatz, Ordnungswidrigkeitenrecht, 2. Auflage, Nomos 2023

Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl

Das Lehrbuch zum Ordnungswidrigkeitenrecht gehört zu einer überschaubar kleinen Anzahl von Werken zu diesem Thema, die sich überhaupt an Juristen im Ausbildungsstadium richten. Der Autor lehrt an einer Berliner Hochschule zum Strafrecht und zum Ordnungswidrigkeitenrecht und hat diesbezüglich Erfahrungen hinsichtlich Veröffentlichungen, die gerade auf Studenten (und nachfolgend Referendare) als Zielgruppe zugeschnitten sind. Passend dazu enthalten die Kapitel neben der reinen Wissensvermittlung viele Anwendungsbeispiele oder auch Wiederholungs- und Vertiefungsfragen. Zudem schlägt der Autor stets die Brücke zu aktuellen Entwicklungen, die den schleichenden Übergang von milden Straftaten ins Ordnungswidrigkeitenrecht dokumentieren. Das Stichwort „Entkriminalisierung“ wird deshalb zu Recht schon im Vorwort herangezogen, um die wichtigste Abgrenzung vom „echten“ Strafrecht zum nicht pönalisierenden Verwaltungsunrecht vorzunehmen.

Das Werk wartet mit insgesamt fünf Abschnitten und darin dann zahlreichen einzelnen Kapiteln auf („§“), 19 sind es an der Zahl. Zunächst wird natürlich ein Überblick über allgemeine Grundlagen gegeben, um die Entwicklung und den Standort des Ordnungswidrigkeitenrechts im deutschen Rechtssystem darzulegen. Zudem werden die europäischen Einflüsse und anzuwendende gesetzliche Prinzipien erläutert. Sodann werden die Voraussetzungen der Ahndbarkeit angegangen, die klassisch mit Tatbestand, Rechtswidrigkeit und Vorwerfbarkeit aufbereitet sind. Ebenfalls hier zu finden ist der Einheitstäterbegriff, die Handlungsmöglichkeiten nach § 9 OWiG und die betriebliche Aufsichtspflichtverletzung. Dies passt sehr gut zusammen, um die verschiedenen Verantwortlichkeiten im Bußgeldrecht verständlich zu machen. Ein kurzer Zwischenabschnitt widmet sich sodann den Sonderformen der Begehung wie Unterlassen, Versuch oder der Fahrlässigkeit, bevor dann die bußgeldrechtlichen Sanktionen in den Vordergrund rücken. Hier wird die Geldbuße zuvorderst erläutert, gefolgt von der Verbandsgeldbuße nach § 30 OWiG sowie der Einziehung. Dass das praktisch so bedeutsame Fahrverbot auf gerade einmal einer halben Seite abgehandelt wird, ist zwar schade, aber es zeigt klar den Fokus des Werks auf allgemeine Konstellationen (Abfallrecht, Baurecht, Gewerbeordnung, Sozialrecht, Presserecht, Denkmalschutzrecht u.v.m.) und Grundlagenwissen, wohingegen sich das gerichtlich relevante Bußgeldrecht zu über 90% im Straßenverkehrsrecht abspielt. Das ist an sich kein Malus, aber man muss wissen, wo der Autor seine Schwerpunkte setzt, um sich im Voraus über die eigene Zielsetzung bei Kauf und Lektüre des Werks klar zu sein. Der Schlussabschnitt ist dann dem Verfahrensrecht vorbehalten und stellt die Verfahrensbeteiligten, die Verfahrenshindernisse, das behördliche und das gerichtliche Verfahren vor.

Die Ausgestaltung des Lehrbuchs ist lektürefreundlich mit Hervorhebungen, Aufzählungen, Beispielen und einem echten Fußnotensystem. Hinzu kommen Prüfungsschemata, Auszüge aus Gesetzen, Binnenverweise und am Ende sogar eine Sammlung von Definitionen bezogen auf konkrete Normen. Gerade Letzteres kennen Studenten aus dem Strafrecht, sodass sich das Verständnis für manches Bußgeldkapitel vielleicht schneller einstellt. Ebenso erfreulich sind die vielen Fälle, die der Autor in den Text einfügt, um anhand konkret entschiedener Fälle seine Ausführungen plastisch zu machen. Dies gelingt dann auch mit den eigentlich „trockenen“ Themen aus dem Allgemeinen Teil (z.B. bei Irrtum oder Unzumutbarkeit des Handelns). Ebenfalls erfreulich ist die hohe Aktualität der zitierten Rechtsprechung.

Insgesamt handelt es sich um ein lehrreiches, sehr empfehlenswertes Lehrbuch für Studierende oder Personen in Ausbildung, die später bei Polizei oder Verwaltung arbeiten werden. Die große Bandbreite der Lebenssachverhalte wird gut abgebildet und der Schwerpunkt auf dem Grundlagenwissen überzeugt. Möchte man das Werk also lesen, um sich z.B. für ein Schwerpunktseminar vorzubereiten oder um es zur allgemeinen Wissensgewinnung zu nutzen, ist es mit annehmbarem Zeitaufwand und mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit, was den Erkenntnisgewinn betrifft, zu bewältigen. Möchte man sich zur Vorbereitung auf die Berufstätigkeit als Anwalt oder Richter mit diesem nebenstrafrechtlichen Rechtsgebiet befassen, darf man die Zielrichtung des Werks nicht aus dem Blick lassen: in der gerichtlichen Praxis dominiert das Verkehrsrecht, sodass man sich ergänzende Werke aus diesem Bereich sowie zum Prozessrecht besorgen muss.


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