Satzger / Schluckebier / Widmaier, StPO, 5. Auflage, Carl Heymanns 2023
Von RAG Dr. Benjamin Krenberger, Landstuhl
Es ist seit
einigen Jahren eine unangenehme legislative Schnelllebigkeit im Bereich der
früher fast ehernen Gesetze StGB und StPO zu verzeichnen, die die Kommentatoren
der Werke vor enorme Herausforderungen und unter Zeitdruck setzt. Der „SSW“ zur
StPO ist inzwischen als Standardwerk nicht mehr verzichtbar und es ist
erfreulich, wie viele hochkarätige Autorinnen und Autoren die Herausgeber haben
versammeln und halten können, um der großen Aufgabe der aktuellen und
vollständigen Aufbereitung von Gesetzgebung und Rechtsprechung Herr zu werden.
Das Werk ist
inzwischen mit Verzeichnissen fast 2800 Seiten stark, ein entsprechendes
optisches und haptisches Schwergewicht. Allerdings geht die Fülle der zu
verarbeitenden Informationen mit einer vielleicht technisch unvermeidbaren
Aufmachung einher, die eine angenehme Lektüre verhindert: die verwendeten
Druckseiten sind so dünn, dass die Schrift nicht nur der jeweiligen Rückseite,
sondern auch der nächsten Druckseite durchscheint. Die Fußnoten sind in den
Fließtext platziert, was ebenfalls den Lesefluss stört. Schlagworte werden
durch Fettungen hervorgehoben, wenngleich die Autoren in unterschiedlicher
Intensität von dieser Gestaltungshilfe Gebrauch machen. Vereinzelt sind sogar
Formulierungsvorschläge angeboten (§ 344, Rn. 68), was ich bei einem
Praktikerkommentar für wünschenswert und konkret für ausbaufähig erachte.
Der Kommentar ist
bekannt und bewährt (vgl. Besprechung
der 2. Auflage; Besprechung
der 3. Auflage), sodass ich die grundsätzliche Eignung des Werks für die
Rechtsanwender voraussetze und mir diesmal nur einige Normen näher angesehen
habe.
Zunächst betraf
dies die Frage der Nutzung von im Kraftfahrzeug gespeicherten Daten. Hier sind sowohl
die Kommentierungen zu § 94 als auch zu § 100k von Belang. Bedauerlicherweise
ist zu § 100k die bislang einzige und sehr kritisch rezipierte Entscheidung des
OLG Frankfurt aus dem Jahr 2021 nicht in die Kommentierung aufgenommen worden.
Ansonsten erfasst die Kommentierung aber viele wichtige Fragestellungen (u.a. Was
sind Nutzungsdaten? Wie erfolgt die Abgrenzung zu Kommunikationsdaten?
Erforderliche Anwendung des Doppeltürenmodells des BVerfG) und benennt
wesentliche Einsatzmöglichkeiten der Norm. Was in der Folgeauflage noch
thematisiert werden könnte, wäre die Frage, gegen wen sich die Maßnahme richten
darf (Nur Telemedienbetreiber oder der übergeordnete Konzern?) und inwieweit
der Beschuldigte echter Nutzer der Daten gewesen sein muss (auch offen gelassen
in § 101a Rn. 6 ff.). Der Beschlagnahme von Daten wird zu Recht ein großer
Bereich der Kommentierung zu § 94 StPO gewidmet (Rn. 8 ff.) und auch auf die
Prüfung der Verhältnismäßigkeit, gerade bei denkbarer Anwendung von § 95 StPO,
Wert gelegt (Rn. 37 ff.).
Die seit je her
bestehende Verzahnung zum SSW-StGB findet sich als schönes Beispiel in der
Kommentierung des § 111a StPO, dessen Bearbeiter auch § 69 StGB im SSW-StGB
kommentiert und so durch Querverweise überflüssige Ausführungen vermeiden kann.
Die Ausführungen betonen zutreffend die Notwendigkeit einer klaren
Beweissituation und die ungeschriebene Erforderlichkeitsprüfung. Weiterhin wird
die Relevanz des Zeitablaufs für den Erlass und die mögliche spätere Aufhebung der
Maßnahme erläutert. Die Ausführungen zu Ausnahmen für bestimmte Arten von
Kraftfahrzeugen verweisen zutreffend auf die Wertungen der § 69a Abs. 2 StGB und
§ 9 FeV und stellen die Parallelität heraus, da die Fahrerlaubnisbehörde
allenfalls Ersatzführerscheine mit Kenntlichmachung der Beschränkung ausgeben
darf (Rn. 12). Einzig bei dem Abschnitt zur Beschlagnahme ausländischer Führerscheine
(Rn. 24) wird die Rechtsprechung des EuGH (NJW 2021, 1805) ausgelassen, was in
der Folgeauflage zu ergänzen wäre.
Die Behandlung
elektronisch einzureichender Prozessvorgänge ist mancherorts ausbaufähig. So
kommt bspw. die Kommentierung zu § 32d StPO gänzlich ohne Zitierung der
reichlichen Rechtsprechung zur Problematik der formwirksamen Einlegung z.B. der
Rechtsbeschwerde aus. Hier nur die Gesetzesbegründung zu zitieren, ist für
einen solchen Praxiskommentar zu wenig. Auch wurde die BGH-Entscheidung zum
Strafantrag per E-Mail (12.5.2022, NJW 2022, 2768) nicht in § 158 StPO erwähnt
(Rn. 20). In § 341 wird noch der nicht mehr existente § 41a behandelt (Rn. 26),
auch hier fehlt es an Rechtsprechungsnachweisen zu § 32d StPO (in § 345
immerhin eine Fundstelle, Rn. 25), in § 346 findet die elektronische Einlegung
keine Erwähnung.
Partiell erstaunt
hat mich die Kommentierung zu § 257 StPO, wo zunächst die Umstrittenheit der
Widerspruchslösung knapp thematisiert wird, danach aber im Hinblick auf die
Revisibilität als weiterer Schritt stets die Antragstellung nach § 238 StPO verlangt
wird (Rn. 9). Dies erachte ich für überdenkenswert, denn das Gericht ist,
insbesondere bei der Behauptung eines Beweisverwertungsverbots und
entsprechendem Widerspruch zu Protokoll i.S.d. § 257 StPO, gerade nicht
verpflichtet, einen Zwischenbescheid über sein weiteres Vorgehen zu erlassen
oder sich damit in den Urteilsgründen auseinander zu setzen (vgl. OLG
Düsseldorf NZV 2022, 492; OLG Karlsruhe NZV 2022, 589), wenngleich ihm diese
Handlungsvariante freistünde (BGH NStZ 2007, 719). Für viele Fälle, z.B. bei der
gänzlichen Versagung der Erklärungsmöglichkeit, stimme ich der Kommentierung zu,
aber eben nicht im Sinne einer generellen Erforderlichkeit.
Zuletzt angesehen
habe ich mir § 467 StPO und dort die Kommentierung zur Auslagenentscheidung bei
festgestelltem Verfahrenshindernis (Rn. 24-26). Hier erscheint mir die
Kommentierung sehr beschuldigtenlastig, insbesondere weil der zweistufige
Aufbau und der Ausnahmecharakter der Norm kaum zur Sprache kommt (vgl. dazu
v.a. KK-StPO/Gieg StPO § 467 Rn. 10-10b) und die Grundlagenentscheidung des
BVerfG (NJW 2017, 2459) nicht einmal erwähnt wird. Dieser Bereich sollte für
die Folgeauflage einmal durchgesehen werden.
Was bleibt als
Fazit? Der Kommentar ist und bleibt eine sichere Bank für strafprozessuales
Wissen, hat – wie jedes Werk – kleinere Schwächen, die aber nicht konzeptional,
sondern singulär sind und beseitigt werden können und ist für die
Rechtsanwender ein wertvoller Unterstützer. Die Autoren bieten höchsten
Praxisbezug und sorgen alle Jahre für aktuelle Einschätzungen der Rechtslage.
Aus meiner Sicht nach wie vor ein empfehlenswertes Werk.