Pirstner-Ebner, European Energy Law - Market System for Electricity and Gas – Energy Supply Security – Green Energy System of the Future (Green Smart Grid), 1st Edition, Nomos 2022
Von Syndikusrechtsanwalt Peer Hennig, Leipzig
Europäisches Energierecht gewinnt immer mehr Bedeutung in der juristischen Betrachtung, formt es doch in bedeutendem Maße die Leitlinien nationaler Energiepolitik. Diese Umkehr der Regelungsdynamik findet nunmehr Widerhall in der juristischen Fachliteratur: Wurde die europäische Perspektive des Energierechts in Werken dem „Recht der Energiewirtschaft“ mit nationalem Fokus mitbehandelt, kommen inzwischen immer mehr alleinstehende Schriften auf den Markt. Im vorletzten Jahr das erste Studienbuch zum Europäischen Energierecht. Ende 2022 das hier besprochene englischsprachige Werk zur European Energy Law von Renate Pirstner-Ebner.
Das Werk kommt im Nomos typischen schlicht-schicken Gewand daher und überzeugt in seiner Verarbeitung. Textgestaltung und Gliederung sind übersichtlich. Der Fußnotenapparat ist kompakt gehalten. Das englischsprachige Werk liest sich flüssig. Die Lesbarkeit des Fließtexts wird zudem gesteigert, da Normen in den Fußnoten zitiert werden.
Gegliedert ist das Werk in 15 Teile und beginnt mit einer Einführung in das europäische Energierecht, zu seinen europäischen Rechtsquellen (Primär und Sekundär), sowie den wesentlichen Akteuren mit der Energie Union und Koordinierungsgruppen um die ENTSO, Aufsichtsbehörden wie ACER, aber auch konkreten Akteuren wie den Übertragungsnetzbetreibern. Anschließend widmet sich die Autorin Einzelfragen - Versorgungssicherheit, Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, Dezentralisierung, Digitalisierung, Speicherung und dem Energiesystem der Zukunft.
Unter dem Eindruck der gegenwärtigen geopolitischen Lage ist das Kapital zur Versorgungssicherheit von besonderem Interesse. So wird dem Leser vor Augen geführt, dass Fragen der Versorgungssicherheit nicht erst jüngst die politischen Akteure beschäftigen. Bereits 2006 sorgten Konflikte zwischen der Ukraine und Russland zu Gaslieferstopps. Gleichermaßen gefährlich sind Angriffe auf die digitale Energieinfrastruktur durch Hacker-Gruppen. Allerdings destabilisieren nicht nur politische Konflikte die Versorgungslagen, sondern auch Naturereignisse haben erheblichen Einfluss, wie besonders kalte Winter oder besonders heiße Sommer - bspw. letztes Jahr mit niedrigen Wassererständen und hohem Verbrauch durch Kühltechnik. Allein diese kurze Einführung in die potenziellen Herausforderungen an die Versorgungssicherheit veranschaulichen die Multidimensionalität des Begriffs. Deshalb widmet sich Pirstner-Ebner zuvorderst einer Begriffsdefinition anhand der gängigen Primärrechtsquellen. Anschließend stellt Pirstner-Ebner dezidiert die einschlägigen Rechtsakte (Verordnung über die Risikovorsorge im Elektrizitätssektor und Verordnung über Maßnahmen zur Gewährleistung der sicheren Gasversorgung), Krisenszenarien und Kompetenzen für die Sektoren Elektrizität und Gas vor. Kompetenzen liegen maßgeblich bei den nationalen Behörden und werden über die ENTSO europäisch unter Mitwirkung von ACER gesteuert. Das deskriptive Kapitel gibt insgesamt einen guten Einblick in den europäischen Rechtsrahmen zur Versorgungssicherheit. Die vielen Kurzfristmaßnahmen jüngster Zeit konnten vor Drucklegung nicht berücksichtigt werden. Mit Spannung kann erwartet werden, wie Pirstner-Ebner diese in einer Folgeauflage an ihrer Beschreibung des Idealzustands misst.
Ein wesentlicher Garant der Versorgungssicherheit sind Speicherkapazitäten, weshalb sich die Autorin anschließend diesem Kapitel zugewandt hat. Die Speicherung erzeugter Energie ist eine der großen Herausforderungen der Energiewende: Überschüsse der Erzeugung durch erneuerbare Energiequellen effizient und übertragungsnetzschonend für den späteren Verbrauch zu speichern, wirft nicht nur technisch, sondern auch juristisch einige spannende Fragen auf. Strom- und Gasspeicherkapazitäten werden an dieser Stelle verwoben (sog. power-to-gas Technologien). Pirstner-Ebner gibt einen kompakten Einblick in die aufgeworfenen Fragen.
Im letzten Kapital widmet sich Pirstner-Ebner den Energiesystemen der Zukunft. In ihrer Vorstellung sind diese geprägt von der Nutzung erneuerbarer Energien und Energieeffizienz. Mit anderen Worten lässt sich das Energiesystem der Zukunft als „grünes Energiesystem“ bezeichnen, wenngleich die EU diesen Begriff zum Bedauern von Pirstner-Ebner nicht selbst verwendet. Am nächsten kommt dem vorgeschlagenen Begriff die Definition des Art. 2 Nr. 7 der Verordnung zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur zu intelligenten Stromnetzen. Schließlich sind die Ziele eines intelligenten Stromnetzes der Zukunft eben jene der grünen Energiewende: Nutzung erneuerbarer Energien, sektorale Verknüpfung und Energieeffizienz durch Dezentralisierung, Digitalisierung und Speicherung, was schlussendlich zu innovativen Technologien, Kostenreduktion und Versorgungssicherheit führt. Das gesamte Werk Pirstner-Ebners kulminiert nun in der Bestätigung ihrer Thesen zum grünen Stromnetz der Zukunft, der Anforderungen an es, seiner Aufgaben und wie diese bislang europarechtlich verwirklicht wurden. Alle vorausgehenden Spezialthemen schaffen die Grundlage, um auf die Herausforderungen der Zukunft zu reagieren und die Tektonik der europäischen Regulierung zu verstehen.
Insofern ist das Werk nicht lediglich die proklamierte Einführung in des europäische Energierecht und Darstellung „ausgewählter“ Spezialthemen, sondern verfolgt klar die Agenda, den Weg für ein grünes Energiesystem der Zukunft zu ebnen. In diesem Kapitel verlässt Pirstner-Ebner erstmals ihren deskriptiven Duktus und stellt potenzielle Innovationen hin zum Energiesystem der Zukunft vor. Und das Potpourri der vorgeschlagen Maßnahmen ist wahrlich Facettenrecht. Der Weg ist nach Pirstner-Ebners Ansicht juristisch gut vorbereitet; nun muss er gegangen werden.
Mit Recht kann man das Werk, wie Pirstner-Ebner selbst im Vorwort vorschlägt, einem breiten Publikum empfehlen. Die einführenden Kapitel zum europäischen Energierecht lohnen für Universitätsangehörige aller Semester und Mitgliedstaaten. Mit den Spezialthemen erschließt sie sich die professionelle Leserschaft rechtlicher und technischer Couleur. Mit ihrem Ausblick auf das Energiesystem der Zukunft lohnt der Griff zum Werk gleichermaßen für die Policy Maker von heute und morgen.