Wenning-Morgenthaler, Die Einigungsstelle, 9. Auflage, Luchterhand 2023
Von Rechtsanwalt Marc Becker, Leipzig
Drei Jahre musste die arbeitsrechtliche Praxis auf die Neuauflage eines der Standardwerke zur Einigungsstelle warten. Nunmehr hat VRiLAG Martin Wenning-Morgenthaler die 9. Auflage des auf 639 Seiten gewachsenen Werkes vorgelegt. Die drei Jahre seit Erscheinen der Vorauflage waren – wie leidlich bekannt – durch zahlreiche Ereignisse geprägt, die auch im Arbeitsrecht viele Spuren hinterlassen haben. Und auch der Gesetzgeber ist nicht untätig geblieben und hat mit dem sog. Betriebsrätemodernisierungsgesetz die größte Reform des BetrVG seit vielen Jahren auf den Weg gebracht. So verwundert es nicht, dass die Neuauflage im Schwerpunkt die entsprechenden Neuerungen verarbeitet und daneben den aktuellen Stand von Rechtsprechung und Literatur einfügt.
Inhaltlich erfolgt weiterhin eine dreiteilige Gliederung: Ausgehend von allgemeinen Erläuterungen zu Formalien der Einigungsstelle (= Zustandekommen, Durchführung und Abschluss), über die Kurzkommentierung von Mitbestimmungsrechten bis hin zum umfangreichen Anhang mit Mustern aus der Praxis der Einigungsstellen.
Hinsichtlich der Möglichkeit der Durchführung von digitalen Einigungsstellen (Rn. 188 ff.) teile ich voll und ganz das Unterverständnis des Autors, dass der Gesetzgeber im Rahmen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes die im temporär gültigen § 129 BetrVG vorgesehene Lösung für digitale Einigungsstellen nicht fortgeschrieben hat. Für die Praxis schlägt er deshalb zutreffend vor, dass beratende Sitzungen auch weiterhin digital durchgeführt werden können und nur bei einer etwaig streitigen Entscheidung eine (finale) Sitzung in Präsenz stattfinden muss. Bedenkenswert wäre in diesem Zusammenhang noch, ob nicht jedenfalls initiativ auch eine Präsenzsitzung zur Konstituierung der Einigungsstelle (Rn. 242 ff.) erforderlich ist.
Mit großem Interesse habe ich weiter die Ausführungen zum neu geschaffenen § 96 Abs. 1a BetrVG gelesen (Rn. 977), der erstmals eine erzwingbare Einigungsstelle ohne Entscheidungsbefugnis vorsieht. Der Autor weist darauf hin, dass es – wenig überraschend – noch keine praktischen Erfahrungen mit dieser Thematik gibt. Wichtig sind allerdings die Hinweise zur möglichen Besetzung einer solchen Einigungsstelle (ein interner + ein externer Bildungsexperte je Seite) sowie den möglichen Ausgang bei fehlender Einigung zwischen den Betriebsparteien. Richtigerweise wird auch hervorgeheben, dass die fehlende Einigung sanktionslos ist.
Auf praktisch großes Interesse wird auch das im Anhang befindliche Muster zur Einführung von mobiler Arbeit stoßen. Der Autor hat hier einen ersten Regelungsvorschlag in Umsetzung des neu geschaffenen § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG vorgelegt, der wesentliche Problempunkte bei der Ein- und Durchführung mobiler Arbeit aufgreift.
Hervorheben möchte ich noch die Kommentierungen zu den einzelnen Mitbestimmungstatbeständen in Abschnitt B. Der besondere Wert liegt hier in dem Umstand, dass jeweils herausgearbeitet wird, was in den betreffenden Einigungsstellen zu beachten ist. Das reicht von Hinweisen zur notwendigen Zahl und Qualifikation der Beisitzer bis zu taktischen Überlegungen für die Betriebsparteien. Damit wird ein erheblicher praktischer Mehrwert gegenüber den allgemeinen rechtlichen Kommentierungen erzielt.
Neben dem ausdrücklichen Lob bleibt hier nur Raum für zwei kleinere Anmerkungen:
In zahlreichen Mustern findet sich in der Regelung zum Geltungsbereich eine ausdrückliche Ausnahme hinsichtlich der Geltung für leitende Angestellte gem. § 5 Abs. 3 BetrVG und in den Schlussbestimmungen sog. Ersetzungsklauseln. Für die erste Regelung fehlt es meiner Auffassung nach an der Regelungsbefugnis der Betriebsparteien, da keine Regelungen für leitende Angestellte – und damit auch keine Herausnahme aus dem Anwendungsbereich – mit dem Betriebsrat getroffen werden können. Zulässig und ausreichend ist daher aus meiner Sicht eine positive Normierung des Geltungsbereichs. In jedem Fall sind die Bereichsausnahmen für leitende Angestellte allerhöchstens deklaratorischer Natur und damit verzichtbar. Hinsichtlich der Ersetzungsklauseln gilt ähnliches. Soweit diese keinen Konfliktlösungsmechanismus vorsehen, sind sie „so unschädlich wie wirkungslos“ (Helmbold, Salvatorische Klauseln im Kollektivvertrag, NZA 2022, 155).
In formaler Hinsicht wäre es aus meiner Sicht zukünftig wünschenswert, wenn das detaillierte Inhaltsverzeichnis (insbesondere zu den Abschnitten A. und B) unmittelbar an den Anfang des Buches und nicht an den Beginn der beiden Abschnitte gestellt werden würde. Die am Anfang befindliche Inhaltsübersicht ist hier nicht für einen schnellen Zugriff auf einzelne Themenbereiche geeignet.
Der große Wert des Buches liegt aus meiner Sicht klar in den Abschnitten zu den Formalia der Einigungsstelle (Abschnitt A.) und den Kommentierungen zu den Mitbestimmungstatbeständen (Abschnitt B.). Bei den Mustern möchte ich vor allem die allgemeinen Muster hervorheben, die die praktische Arbeit enorm bereichern. Die Muster mit Betriebsvereinbarungen können der Natur der Sache nach immer nur einen Ausschnitt der Bandbreite der Regelungsmöglichkeiten abbilden. Das schmälert ihren Wert keinesfalls, lässt sie aber hinter den herausragenden Wert der übrigen Ausführungen zurücktreten. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass hier auch in 9. Auflage der Rang als unverzichtbares Standardwerk bestätigt wurde und nur eine klare Empfehlung für alle an Einigungsstellen Beteiligten ausgesprochen werden kann.