ter Haar / Lutz / Wiedenfels, Prädikatsexamen, 5. Auflage, Nomos 2021
Von Wirtschaftsjurist Christian Paul Starke, LL.M., Bad Berleburg
Das erste und zweite Staatsexamen zählen – nicht ohne Grund – zu den anspruchsvollsten Prüfungen, die es in der deutschen Ausbildungslandschaft gibt. Umso mehr stellt das „Prädikat“ – also 9 Punkte und mehr – in diesen Prüfungen den Heiligen Gral der juristischen Ausbildung dar, um dessen Erreichen sich nicht nur viele Legenden und Mythen ranken, sondern sich auch ein ganzes Geschäftsfeld – die kommerziellen Repetitorien – gebildet hat, das sich aus der Angst vor dem Nichtbestehen ebenso speist wie aus dem Wunsch nach einem Prädikatsexamen. An diesem Befund hat sich bis heute nicht viel verändert, auch wenn das Prädikat mittlerweile – wohl auch aufgrund der seit Jahren sinkenden Absolventenzahl – nicht mehr als formelle Voraussetzungen für viele juristische Berufe gilt. Umso mehr lohnt es sich, den Blick auf die zahlreichen Ratgeber zu richten, die es sowohl in der analogen als auch der digitalen Landschaft zu finden gibt, und die für ein verhältnismäßig geringes Entgelt eine Anleitung zu einer erfolgreiche Examensvorbereitung ohne teures Repetitorium versprechen. Zu den alten Hasen auf diesem Gebiet zählt das vorliegende Werk von ter Haar,Lutz und Wiedenfels, dessen erste Auflage schon 2004 erschienen ist und das nunmehr bereits in der fünften Auflage vorliegt.
Das Werk umfasst insgesamt 227 Seiten, in denen allerdings vom Inhaltsverzeichnis bis zum Sachverzeichnis alles enthalten ist. Auf den Haupttext entfallen davon ca. 155 Seiten, die abschließende Zusammenfassung nicht mitgerechnet. Auffallend an der optischen Gestaltung des Werkes ist vor allem die extrem sparsame Verwendung von Fettdruck; wichtige Stichworte werden hier kaum schnell auffindbar hervorgehoben. Dafür gibt es allerdings immer wieder „Merkkästchen“, in denen wichtige Aussagen noch einmal kurz und prägnant zusammengefasst und durch die Einrahmung auch optisch herausgestellt werden. Ebenfalls sehr positiv zu bewerten sind die zahlreichen Grafiken, Selbsttests und Checklisten, die immer wieder genutzt werden, um den Leser zu einer aktiveren Auseinandersetzung mit dem Gelesenen zu bringen und damit eine der Kernaussagen des Buches unterstreichen: Lies nicht nur, sondern lies aktiv!
Der Aufbau des Buches ist im Wesentlichen dreiteilig: Im ersten Kapitel wird die Examensvorbereitung als Großprojekt für den „Unternehmer Jurastudent“ aufbereitet und analysiert, im zweiten Kapitel widmen sich die Autoren dann ganz der von ihnen präferierten und empfohlenen Methode zur Examensvorbereitung, der privaten Examens-AG, bevor sie ihm dritten Kapitel – unabhängig von dem für die Examensvorbereitung konkret gewählten Organisationsrahmen – auf die einzelnen Lern- und Wiederholungsmethoden eingehen. Den vierten Teil bildet dann eine kurze Zusammenfassung der ersten drei Kapitel. Daran anschließend finden sich im Anhang noch jeweils ein Muster-AG-Plan für das erste und das zweite Examen sowie eine umfangreiche Liste mit Literaturempfehlungen und verschiedene Checklisten für das Projekt Examensvorbereitung.
Das erste Kapitel beginnt mit einer Einleitung in die Arbeit mit dem Buch und gibt einen kurzen Überblick über das Kommende. Daran anschließend wird der Nutzer dazu angehalten, sich über sein konkretes Ziel (Note!) und die äußeren Parameter der Examensvorbereitung Gedanken zu machen: Wann soll das schriftliche Examen stattfinden und wie viel Vorlaufzeit benötige ich bis dahin? Wie lege ich den universitären Schwerpunkt und den staatlichen Teil umeinander? Welche Möglichkeiten der Examensvorbereitung gibt es und welche davon ist die Richtige für mich? Für Letzteres enthält das Buch zudem einen kleinen Selbsttext, anhand dessen man den eigenen Lerntyp bestimmen kann. Den Abschluss des ersten Kapitels bildet dann eine ausführliche Darstellung insbesondere der Vorteile einer privaten Examens-AG, aus der sich bereits ersehen lässt, wohin die Reise im nächsten Kapitel geht und welche Methode die Autoren für die Examensvorbereitung am geeignetsten halten.
Das zweite Kapitel widmet sich dann ganz der privaten Examens-AG, beginnend bei ihrer Gründung bis hin zum Abschluss des Examens – und damit auch der AG – durch die mündliche Prüfung. Den Anfang macht dabei die Wahl des richtigen AG-Typs – stofferarbeitend oder falllösend –, gefolgt von den formalen Strukturen wie einem verbindlichen AG-Vertrag, dem Erstellen des Lernplans sowie Hinweise zu der richtigen Vor- und Nachbereitung und der Durchführung der einzelnen Stunden. Hier finden sich zahlreiche wichtige und gute Hinweise, wie die Examens-AG gestaltet werden kann und sollte, um den maximalen Nutzen für alle Teilnehmer zu erzielen und Frust zu vermeiden. Für Letzteres gibt es im Anschluss daran auch noch einen gesonderten Abschnitt, in dem die potentiell auftretenden Probleme vorweggenommen und Lösungen für diese aufgezeigt werden. Am Ende des Kapitels finden sich zudem noch Hinweise, wie die AG modifiziert werden kann, um sie bereits während des Grundstudiums, zur Vorbereitung auf die mündliche Prüfung oder parallel zum Referendariat zwecks Vorbereitung auf das zweite Examen gewinnbringend einzusetzen. Insbesondere mit Blick auf die Vorbereitung der mündlichen Prüfung werden dabei auch ganz konkrete Hinweise gegeben, auf welche Schwerpunkte man sich in den einzelnen Fachgebieten konzentrieren sollte und wo erfahrungsgemäß das Hauptinteresse der Prüfer liegt.
Das dritte Kapitel richtet sich dann wieder an alle Studierenden, unabhängig davon, für welche Art der Examensvorbereitung sie sich entschieden haben – also auch an diejenigen, die ein kommerzielles Repetitorium besuchen oder den Weg als Einzelkämpfer beschreiten. Zu Beginn erläutern die Autoren hier kurz abstrakt die Funktionsweisen von Gehirn und Gedächtnis und leiten daraus drei Lernphasen ab: Die aufnehmende Input-Phase, die anwendende Verknüpfungs-Phase und die verstehende Anwendungs-Phase. Erklärtes Ziel der Examensvorbereitung ist es dabei, in allen prüfungsrelevanten Rechtsgebieten die dritte Stufe zu erreichen. Daran anschließend befassen sie sich mit den zeitlichen und örtlichen Rahmenbedingungen für ein effektives und vor allem effizientes Lernen und geben Hinweise, wie man für sich selbst die richtigen äußeren Lernbedingungen schafft. Hierzu lässt sich auch der am Ende dieses Kapitels platzierte Abschnitte zum Thema Lernpausen zählen. Zuletzt stellen die Autoren fünf Lernmethoden – das SQ3R Active Reading, das „richtige“ Markieren, das Erstellen eigener Skripten oder Karteikarten, das Lösen von Fällen sowie die Randnummernmethode – vor und geben zudem Tipps für das Wiederholen des Stoffs. Aus diesen drei Punkten entwickeln die Autoren dann letztlich eine Roadmap zur Erstellung des optimalen, auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenen Lern- und Wiederholungsprogramms.
Den Abschluss des Buches bilden – nach einer kompakten Zusammenfassung der vorherigen Inhalte im vierten Kapitel – die Anhänge. Hier bieten die Autoren zunächst je einen Muster-AG-Plan für das erste und das zweite Staatsexamen, ausgehend von der JAPrO in Baden-Württemberg. Dieser kann aber, nach einem Blick in die entsprechenden Vorschriften des eigenen Bundeslandes, problemlos für jedes andere Prüfungsrecht angepasst werden. Ohnehin lautet der Rat der Autoren für diesen Punkt, nicht blind einen fremden Plan abzuschreiben, sondern sich vielmehr selbst einen eigenen AG-Plan auf Grundlage der jeweils einschlägigen Regelungen zu erarbeiten, um so bereits einen ersten systematischen Überblick über den zu beherrschenden Stoff zu erhalten und dessen Endlichkeit zu erkennen. Einen Muster-Lernplan für eine Vorbereitung ohne entsprechende AG sucht man an dieser Stelle aber leider vergebens. In Anhang 3 geben die Autoren dann einen Überblick über die – ihrer Ansicht nach – empfehlenswerte Literatur zu den einzelnen Rechtsgebieten, auch jeweils wieder für das erste und das zweite Examen. Diese unterteilen sie in Must-Haves, Grundlagenwerke, Vertiefungswerke und Fallsammlungen, so dass hier für jeden Geschmack etwas dabei sein sollte. Ganz zum Schluss gibt es dann auch noch Checklisten für die Vorlaufphase der Examensvorbereitung, die eigentliche Lernphase sowie die Phase kurz vor den schriftlichen Prüfungen, damit auch gar nichts mehr schief gehen kann.
Insgesamt hinterlässt das Buch damit – trotz all seiner unbestreitbaren Stärken – leider nur einen durchwachsenen Eindruck: Wer unter dem Titel „Prädikatsexamen – Der selbstständige Weg zum erfolgreichen Examen“ einen Ratgeber mit konkreten Tipps für alle denkbaren Methoden der Examensvorbereitung erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden. Denn auch wenn sich sowohl das erste als auch das dritte Kapitel an alle Examenskandidaten wenden, so stellt das Herzstück des Buches doch das zweite Kapitel über die Vorbereitung mittels einer privaten Examens-AG dar, für die das Herz der Autoren merklich schlägt und die diese auch offensiv bewerben. Dies zeigt sich insbesondere am Ende des Buches, wo es zwar Musterpläne für eine AG, nicht aber für eine individuelle Examensvorbereitung gibt. Daher sei das Buch vor allem all denjenigen Studierenden empfohlen, die noch vor der Frage stehen, wie sie sich auf das Examen vorbereiten sollen und die hierzu noch keine abschließende Entscheidung getroffen haben. Aber auch, wer sich eigentlich schon entschieden hat, ein kommerzielles Repetitorium zu besuchen, sollte das Geld in die Hand nehmen, um sich vielleicht doch noch vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Denn im Vergleich zu den mit einem solchen Rep verbundenen Kosten fallen die 24 Euro für dieses Buch kaum ins Gewicht – und sparen möglicherweise viel Geld, das sich an anderer Stelle besser einsetzen lässt. Wer hingegen bereits fest entschlossen ist, den Weg zum Examen alleine zu meistern, wird mit diesem Buch leider nicht glücklich werden, denn er gehört schlicht nicht zur Zielgruppe. Zwar sind auch hier die Hinweise zur Lernmethodik im letzten Teil und die Literaturempfehlungen sehr nützlich, die entsprechenden Seiten kann man sich aber auch problemlos in der Universitätsbibliothek durchlesen. Für die konkrete Planung der Examensvorbereitung und entsprechende Muster-Lernpläne muss man sich in diesem Fall aber an anderer Stelle umsehen.