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Rezension: SGB II

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Münder / Geiger (Hrsg.), Sozialgesetzbuch II, 7. Auflage, Nomos 2021

Von RAin, FAin f. Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf

 


Kommentare zu dem wohl gefragtesten SGB gibt es zuhauf. In der Rechtspraxis sind die beiden Marktführer der Kommentar zum SGB II von Eicher / Luik aus dem Beck-Verlag und der LPK von Münder (und nun auch Geiger). Mal liegt der eine in der Lesergunst vorn, mal der andere. Der Lehr- und Praxiskommentar, der bereits in der 7. Auflage erscheint, hat diesmal unbestreitbar die Nase vorn: Während die Konkurrenz in der aktuellen Auflage schon seit Jahren auf dem Markt ist, ist der Rechtsstand des LPK September 2020. Die Änderungen durch die Sozialschutz-Pakete I und II aufgrund der COVID – 19 – Pandemie in §§ 67, 68 sind bereits eingeordnet. Sogar die ersten Gerichtsentscheidungen (z.B. zu den Kosten der Corona – Testung) sind enthalten.

Kommentare richten sich immer nach einem strikten Aufbau. Kein Kommentar würde z.B. Vorschriften nach Bedarfsgruppen kommentieren, also unter dem Gesichtspunkt: „Welche Leistungen stehen einer vierköpfigen Bedarfsgemeinschaft zu?“, sondern sie folgen immer dem Aufbau des Gesetzes.

Unterschiede finden sich in den avisierten Zielgruppen. Das scheint aber eher eine Marketingvorstellung der jeweiligen Verlage zu sein. "Der Kommentar der Rechtsberater" oder "der Richterkommentar" - diese Schlagwörter haben mit der Leserschaft wenig gemein. Kein Anwalt liest einen "Richterkommentar" verschämt unter dem Tisch, ein sog. "Handkommentar" darf auch gerne – zumindest gefühlt – einige Kilo wiegen.

Auch Vorworte ähneln sich immer. Derjenige, der bzgl. der Rechtsentwicklung vielleicht nicht auf dem allerneuesten Stand ist, schaut am besten zunächst ins Vorwort. Dort ist immer aufgezählt, warum es an der Zeit war, nach Änderung des § X und Einführung des § Y eine Neuauflage zu bearbeiten. Ein Leser, der vielleicht erstmalig durch die Medien oder Rechtsratsuchende mit diesem oder jenem Urteil konfrontiert wird, tut ebenfalls gut daran, das Vorwort zu lesen. Dort sind alle Änderungen / Entscheidungen seit der Vorauflage genannt. Im Vorwort also unterscheidet sich dieser Kommentar in nichts von der Konkurrenz.

Schon eher im Autorenkreis. Die Autoren sind hier über alle Gebiete verbreitet: Verwaltung (Armhorst, Schön, Schoch), Lehre (v. Boetticher, Münder), Richter (Thurn, Geiger, Paulenz), Anwaltschaft (Conradis, Münzner, Heitmann). Dadurch wird ein Gesetz aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet. Interessant wird es, wenn ein einzelner Paragraph von zwei aus völlig unterschiedlichen Richtungen stammenden Autoren bearbeitet wird, z.B. die Leistungen zur Eingliederung § 16 ff.: Dieser wird von einem von einem Stadtdirektor und einem Richter kommentiert. Leider wird von dieser "Doppelautorenschaft" zu selten Gebrauch gemacht. Die meisten Kommentierungen werden von einem Autor verantwortet.

Vor der eigentlichen Kommentierung steht immer die Einführung. Diese gibt ein komplettes Bild des SGB II wieder: Konzept, Grundlinien, Gesetzesentwicklung, Verordnungen, "Rechtstatsächliches". Unter diesem bunten Begriff versteht wahrscheinlich jeder etwas anderes. Die Marketingabteilung des Verlages denkt wahrscheinlich eher an einen Slogan wie "Fakten, Fakten, Fakten!", der Statistiker an Statistiken ("von den 3,09 Mill. Bedarfsgemeinschaften... waren 1,71 Mill. Ein- Personen-Haushalte. 557.679 Bedarfsgemeinschaften waren Haushalte von Alleinerziehenden ..."). Der Politiker denkt an "Fördern und Fordern", der desillusionierte Berater denkt eher an "Anspruch und Wirklichkeit".

Das Werk enthält eine klassische, dem Wortlaut der Normen folgende Kommentierung. Auch hier, - wie in fast allen anderen Kommentierungen auch - herrscht die Angewohnheit, wichtige Verordnungen im Kommentierungstext zu verstecken. Z.B. steht die Arbeitslosen/Sozialgeld-Verordnung – Alg II-V - immer gut getarnt hinter § 11, wahlweise auch § 11a oder §11b. Abstrus wird es dann, wenn der eigentliche Paragraph auf zwölf Seiten kommentiert wird und daran mehrere Verordnungen mit den bandwurmartigsten Bezeichnung, für die Juristen berüchtigt sind, folgen. Oder was soll man halten von § 46 "Finanzierung aus Bundesmitteln", an den anschließt die "Eingliederungsmittel – Verordnung 2020 – EinglMV 2020", die "Verwaltungskostenfeststellungsverordnung – VKFV" und die "Bundesbeteiligungs – Festlegungsverordnung 2020 – BBFestV 2020"?

Während die Verordnungen im Kommentierungstext untergebracht sind, stehen Änderungsgesetze im 11. Kapitel unter "Übergangs- und Schlußvorschriften". Im Anhang ist der Verfahrensweg (Antrag, Verwaltungsverfahren, Widerspruchsverfahren, Klage) beschrieben. Bezeichnend, dass sich in jedem Kommentar zum SGB II ein solcher Abschnitt findet, in Kommentaren beispielsweise zum SGB XI (Pflegeversicherung) oder VII (Unfallversicherung) jedoch nicht. Wahrscheinlich eignen sich Verfahren in der Grundsicherung eher zum "Do it yourself".

In den Fußnoten wird nicht mit Quellenangaben gegeizt. Besonders erwähnenswert: Wenn eine Rechtsfrage umstritten ist, werden die Gegner und Befürworter nicht im Fließtext angegeben (der wird bei umfangreichen Themen dann überfrachtet), sondern in die Fußnoten verbannt (z.B. zu § 60 und dem Problem des Kopierens von Geschäftsunterlagen).

Alles in allem solide und brandaktuell.


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