Schmidt (Hrsg.), COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Auflage, C.H. Beck 2020
Von Rechtsanwalt / Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht / Fachanwalt für Arbeitsrecht Wilfried J. Köhler, Köln
2013 erstellte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut, dem Paul-Ehrlich-Institut und weiteren Bundesbehörden einen Bericht zur Unterrichtung des Deutschen Bundestages. Es handelte sich um eine Risikoanalyse, in der eine Pandemie beschrieben wurde, die durch ein fiktives „Virus Modi-SARS“ausgelöst wird.
Das jetzt aufgetretene Corona-Virus SARS-CoV-2hat hinsichtlich Entstehung, Verbreitung und Auswirkungen eine erschreckende Ähnlichkeit mit dem 2013 beschriebenen fiktiven Virus.
Alle Bundestags-Abgeordneten erhielten mit der Parlamentsdrucksache 17/12051 diesen Bericht zur Kenntnis und – wie üblich – erhielten ihn auch die zuständigen Behörden in den Bundesländern. Im Parlament wurde er nicht erörtert – der Innenausschuss des Deutschen Bundestages verzichtete auf eine mündliche Berichterstattung, so das Plenarprotokoll 17/247, Seite 31784.
Im Bund und in den Bundesländern zogen die politischen und behördlichen Stellen aus der Analyse keine erkennbar konkreten Schlussfolgerungen – Risikovorsorge wurde offensichtlich nicht betrieben. Es konnte deshalb nicht überraschen, dass Bund und Länder durch das Anfang 2020 auftretende reale Virus „auf dem falschen Fuß erwischt“ wurden.
Juristen sollten sich von den Rechtsfragen, die im Zusammenhang mit dem Virus und seinen Folgen stehen, jedenfalls nicht „auf dem falschen Fuß erwischen lassen“. Deshalb ist es ein wertvoller Beitrag des Beck-Verlags, vielfältige rechtliche Fragen, die die Bewältigung des Virus und seiner Folgen mit sich bringen, in einem Themen-Band erörtern zu lassen. Mit dem von Hubert Schmidt herausgegebenen Werk (1. Auflage Mai 2020) hat der Verlag eine Lücke auf dem Buchmarkt geschlossen. Die vorliegende 2. Auflage soll, so Schmidt, Lösungsansätze herausarbeiten, „damit das Recht seiner … Aufgabe gerecht werden kann“. Dieses Ziel hat das Werk nach meiner Auffassung erreicht.
Die Infektionszahlen gingen zurück, schreibt Schmidt in seinem Vorwort vom August 2020, gleichwohl blieben die rechtlich in den Griff zu bekommenden Folgen der Pandemie. Mit den rechtlichen Folgen hat Schmidt Recht – leider hat sich aber die Hoffnung auf geringere Infektionszahlen nicht erfüllt. Ganz im Gegenteil steigen die Covid-19-Infektionszahlen in der letzten Zeit wieder exponentiell und in gefährlicher Weise. Uns, den Juristen, und der gesamten Gesellschaft bleiben die Probleme und Rechtsfragen ganz gewiss lange Zeit.
Ich gehe deshalb davon aus, dass die 2. Auflage nicht die letzte sein wird. Deshalb auch einige Anmerkungen dazu, welche Themen ich im Werk vermisse – gerade auch weil der Verlag für das Buch mit der Schlagzeile wirbt „Alles, was Sie zur Rechtsfragen in der Corona-Krise wissen müssen“. AlleRechtsfragen, die im Zusammenhang mit Covid-19 stehen, werden in dem immerhin jetzt schon ca. 700 Seiten umfassenden Buch nicht erörtert.
Es fehlt ein Kapitel über arbeitsrechtliche Fragen, die durch die Covid-19-Pandemie ausgelöst werden. Sicher könnte ein solches zusätzliches Kapitel nur der Anfang eines roten Fadens für die arbeitsrechtliche Bearbeitung von Praxisfragen sein, das Finden eines „roten Anfangsfadens“ würde die juristische Arbeit jedoch erheblich erleichtern und auch der Zielsetzung des Werks entsprechen.
Arbeitsrecht wird im Kapitel „Datenschutz“ von Thomas Haschert nur kursorisch im Zusammenhang mit der Corona-Warn-App behandelt.
Trotz dieser nur punktuellen Behandlung des Arbeitsrechts sind Hascherts Ausführungen – dies gleich zur Klarstellung – sehr nützlich und mit einem erheblichen Erkenntnisgewinn verbunden. Haschert erörtert z.B. die Fragen, ob der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer verpflichten kann, die Corona-Warn-App auf dem privaten oder dem dienstlichen Mobiltelefon zu installieren und zu nutzen. Für das private Gerät lehnt Haschert eine Installationspflicht – m.E. zu Recht – ab und sieht nur bei besonders gelagerten Arbeitsverhältnissen (im Gesundheits- und Pflegebereich mit einem hohen Infektionsrisiko) eine solche Pflicht als möglich an. Mir erscheint eine solche Verpflichtung zu weitgehend und zu stark eingreifend in die informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmer. Bei einem Diensttelefon sieht Haschertdie Möglichkeit, dass der Arbeitgeber selbst die Installation der App auf dem Mobilgerät vornehmen kann, bleibt aber bei der Pflicht zur Nutzung der App – wiederum zu Recht – vorsichtig. Er empfiehlt sowohl bei der Installation als auch bei der Nutzung eine freiwillige Einigung mit dem Arbeitnehmer. Haschert beschäftigte sich kurz mit den einzelnen Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats (§ 87 Abs. 1 BetrVG) und meint, die Rechte des Betriebsrats könnten sich durchaus aus den Nrn. 1, 6 und 7 ergeben. Das erscheint mir richtig zu sein. Schließlich betrachtet Haschert der Frage, ob der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber über einen Infektionsverdacht informieren muss – unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer über die App eine konkrete Warnmeldung „Erhöhtes Risiko“ erhalten hat oder ob im Umfeld des Arbeitnehmers eine Covid-19-Infektion aufgetreten ist. Richtig ist Hascherts Hinweis auf die Treue- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers, aus der sich durchaus eine Pflicht des Arbeitnehmers ergeben kann, den Arbeitgeber zu informieren. Der Arbeitgeber muss sodann – dies führt Haschert nicht aus – die notwendigen Maßnahmen mit dem Arbeitnehmer besprechen, ihn darauf hinweisen, dass dieser Rücksprache mit dem Gesundheitsamt nehmen muss, und der Arbeitgeber muss – sofern möglich – eine Tätigkeit im Home-Office anordnen.
Ein arbeitsrechtlich wichtiger Aspekt wird im Kapitel zum „Bauvertrag“ (Kapitel 6, Rn 7b), von Thomas Brübach erwähnt – der „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“. Eine nähere arbeitsrechtliche Vertiefung erfolgt dort nicht, was aber auch nicht Thema Brübachs Beitrag ist.
In den von Haschert und Brübach angeschnitten Problembereichen erschöpfen sich die arbeitsrechtlichen Fragen nicht. Hinsichtlich des Arbeitsschutzstandards zeigt Felz schon die sehr weit reichende Bedeutung dieses Standards auf (Felz, „Aktuelle Diskussion und Rechtsprechung zum SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard“, Arbeitsschutz in Recht und Praxis (ARP) 2020, 335 ff). Die sich aus dem Standard ergebenden Handlungsweisen können eben nicht nur als rechtlich unverbindliche Empfehlungen angesehen werden kann, wie Stimmen in der Literatur meinen. Als „Handlungshilfe“ für Bauunternehmen und Betriebe bezeichnet sie Brübach. Der Standard hat zwingende Bedeutung, wenn die Landes-Verordnungsgeber die Regelungen als verbindlich erklärt haben. Das ist in zahlreichen Bundesländern geschehen. Felz weist im Übrigen auch auf bestehende Leistungsverweigerungsrechte der Arbeitnehmer hin, wenn der CoVArbSchSt nicht eingehalten wird. Kollektivrechtlich dürfte der Standard ebenfalls von Bedeutung sein, weil er Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auslösen kann.
Die sonstigen vielfältigen arbeitsrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zeigen (nur als Beispiele unter vielen) die Beiträge von Sagan/Brockfeld, „Arbeitsrecht in Zeiten der Corona-Pandemie“, NJW 2020, 1112; Fuhlrott, „Corona und die Auswirkungen auf das Arbeitsrecht“, MDR 2020, 540.
Auch wenn nicht alle Rechtsfragen, die aus der Covid-19-Pandemie resultieren, behandelt werden, ist die Bandbreite der Erörterung im vorgelegten Werk beeindruckend. Behandelt werden folgende Themen:
- Allgemeines Leistungsstörungsrecht und Veranstaltungsrecht
- Kreditrecht
- Mietrecht
- Wohnungseigentumsrecht
- Heimrecht
- Bauvertrag
- Reiserecht
- Vereins- und Genossenschaftsrecht
- Gesellschaftsrecht
- Sport
- Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise
- Transportrecht
- Vertriebsrecht
- Zivilverfahren in Zeiten des Corona-Virus
- Sanierung und Insolvenz
- Vergabe- und EU-Beihilfenrecht
- Öffentliches Recht
- Entschädigungsansprüche
- Straf- und Strafprozessrecht
- Datenschutz.
Zum Kapitel Wohnungseigentumsrecht: Frank Zschieschack weist in seinem Beitrag darauf hin, dass Manuskriptschluss für die 2. Auflage der 22.6.2020 war. Deshalb ist klar, dass von ihm lediglich der Entwicklungsstand für das „Gesetz zur Förderung der Elektromobilität und zur Modernisierung des Wohnungseigentumsgesetzes und zur Änderung von kosten- und grundbuchrechtlichen Vorschriften“ (WEMoG) bis zum genannten Datum berücksichtigt werden konnte, was aber seinen Erörterungen grundsätzlich nicht schadet.
Das Gesetz ist am 22.10.2020 im Bundesgesetzblatt verkündet worden (BGBl. I 2020, S. 2187) und tritt damit am 1. Dezember 2020 in Kraft. In einer möglichen nächsten Auflage des besprochenen Werks werden die neuen Gesetzesregelungen Berücksichtigung finden können.
Die von Zschieschack aus dem Blickwinkel Juni 2020 aufgeworfene Frage (§ 4 Rn. 7 ff – Seite 91 f), ob überhaupt eine Eigentümerversammlung stattfinden darf oder kann, ist auch jetzt erneut und wohl auch für die weitere Zukunft von großer Bedeutung. Die Bundesländer haben Corona-Schutzverordnungen erlassen, die erhebliche Beschränkungen oder sogar Verbote für „Veranstaltungen“ und für gastronomische Betriebe (in denen in aller Regel Eigentümerversammlungen stattfinden) erlassen, die die Abhaltung von größeren oder auch kleineren Eigentümerversammlungen behindern können.
Zschieschackerörtert sehr nachvollziehbar die Frage der Zumutbarkeit einer Teilnahme an einer Eigentümerversammlung, wenn eine (behördliche) Empfehlung ausgesprochen wurde, an Veranstaltungen bestimmter Größenordnungen nicht teilzunehmen, um die Kontakt- und damit Infektionsmöglichkeiten zu reduzieren. Zu Recht weist Zschieschack darauf hin (§ 4 Rn. 10), dass es einem Wohnungseigentümer bei einer solchen Empfehlung nicht zumutbar ist, eine Eigentümerversammlung zu besuchen. Andererseits kann, so die weitere Überlegung von Zschieschack, für alle Versammlungsteilnehmer die Zumutbarkeit auch betroffen sein, wenn zu erwarten ist, dass Versammlungsteilnehmer aus Risikogebietenanreisen könnten.
Diese Überlegungen berühren unmittelbar die Frage, ob ein Verwalter überhaupt zu einer Eigentümerversammlung einladen darf. Zschieschackmeint, die Anforderungen an den Verwalter dürften diesbezüglich nicht überspannt werden. Der Verwalter müsse nicht die Wohnorte der Eigentümer auf Risiken bei der Anreise oder die Risiken anderer Eigentümer durch die Anreise einzelner Teilnehmer aus Risikogebieten prüfen und bewerten. Früher hatte Zschieschack(„Eigentümerversammlung in Zeiten des Coronavirus“, NZM 2020, 297, 300) eine etwas schärfere Meinung vertreten: „Ist zum Zeitpunkt der Einladung klar, dass ein Absageanspruch [Anspruch auf Absage der Eigentümerversammlung] besteht, weil entweder Eigentümern die Anreise nicht zumutbar ist oder mit Anreisen aus Infektionsgebieten zu rechnen ist oder fällt die Versammlung gar unter eine Schutzempfehlung nach dem IfSG, ist die Ladung pflichtwidrig und würde Ersatzansprüche begründen.“ Ich halte diese frühere Meinung (auf die Zschieschack auch hinweist) für die richtige; der Verwalter muss aufgrund seiner Fürsorge- und Treuepflicht gegenüber allen Wohnungseigentümern alle Bedingungen für die Durchführung einer Eigentümerversammlung prüfen, werten und berücksichtigen. Dazu gehört auch die Prüfung, ob die einzelnen Wohnungseigentümer in Risikogebieten wohnen und/oder voraussichtlich aus diesen Gebieten anreisen werden. Das galt m.E. schon bisher. Durch das WEModG ist die Stellung des Verwalter deutlich gestärkt worden, auch im Sinne einer „Entmachtung“ der Wohnungseigentümer (z.B. durch die Vertretungsregelung nach § 9b, die eine Einschränkungsmöglichkeit gegenüber Dritten nicht zulässt – vgl. die Einzelheiten bei Lehmann-Richter/Wobst, WEG-Reform 2020, Rn. 442 ff). Der Verwalter darf sich wegen seiner, eines echten Organvertreters angenäherten Stellung nicht auf eine Position der Nichtkenntnis oder Nichtkenntnisnahme von Risiken zurückziehen, sondern muss aktiv jede Maßnahme zum Schutz des ihm anvertrauten Verbandes und seiner Mitglieder ergreifen. Dazu gehört auch die genaue Überlegung und Prüfung, in welchem Risikogebiet (mit welcher Inzidenz-Zahl) die Gemeinschaft sich befindet und aus welchem (Risiko-)Gebiet die Eigentümer anreisen könnten. Zu dieser aktiven Handlungspflicht des Verwalters gehört (u.a.) auch eine frühzeitige Anfrage bei den Eigentümern, ob eine Anreise auseinem Risikogebiet oder in das Risikogebiet des Orts der Gemeinschaft beabsichtigt ist. Danach kann der Verwalter erst mit der weiteren konkreten Planung für eine Wohnungseigentümerversammlung beginnen, bei der er auch die aktuelleEntwicklung der Infektionszahlen beobachten muss. Hierbei kann er sich für eine Durchführung / Verlegung / Gestaltung / Absage einer Versammlung auf die im Dashboard des Robert-Koch-Instituts zur Verfügung gestellten Infektions-Zahlen stützen und berufen.
Zschieschack(Rn. 16) weist darauf hin, dass die Einladungsfrage nicht nur die Frage der Anfechtbarkeit von Beschlüssen berührt (vgl. auch Rn. 38 ff mit sehr beachtlichen Überlegungen), sondern auch eine eventuelle Schadensersatzpflicht des Verwalters. Das ist richtig; der Verwalter wird sich zu Pandemie-Zeiten häufiger die Haftungsfrage stellen müssen.
Zschieschack spricht einen interessanten Punkt an – die Maskenpflicht in der Eigentümerversammlung. Nicht ausdrücklich erwähnt er, dass der Verwalter das Hausrecht in der Eigentümerversammlung für die Gemeinschaft ausübt und insofern anordnen kann, dass alle Teilnehmer während der gesamten Versammlung eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen haben. Bei Streit „über die konkrete Anordnung“ rät er jedoch dazu, einen Geschäftsordnungsbeschluss über das Maskentragen herbeizuführen. Die Frage ist allerdings, ob ein Beschluss – der beinhalten könnte, dass keine Masken während der Versammlung getragen werden müssen – überhaupt gefasst werden dürfte oder ob der Schutzanspruch der einzelnen Wohnungseigentümer durch Maskentragen gewährleistet werden muss.
In seinen Randnummern 43 ff beschäftigt sich Zschieschackeingehend mit „Alternativen Möglichkeiten der Beschlussfassung“ in der Eigentümerversammlung und weist dabei darauf hin, dass reine Vertreterversammlungen unzulässig sind, bei denen also die Teilnahme von Eigentümern nicht erlaubt ist. In Verwalterkreisen kursiert eine von einem Verwalterverband gegebene Empfehlung, während der Covid-19-Pandemie gerade solche Vertreterversammlungen abzuhalten. Ein Hochrisiko-Verhalten, das für einen Verwalter schon bittere Folgen hatte. Ihm wurden die gesamten Kosten eines Rechtsstreits auferlegt, weil er – trotz vorheriger Intervention eines Rechtsanwalts – zu einer "Eigentümerversammlung im Vollmachtsverfahren" in sein Büro eingeladen und diese durchgeführt hatte. In dem Einladungsschreiben hatte der Verwalter darauf hingewiesen, wegen der Corona-Krise und der „Kontaktsperre“ sei sein Büro für den Publikumsverkehr geschlossen. Deshalb könne eine Versammlung mit persönlicher Anwesenheit nicht stattfinden. Die Eigentümer sollten ihm als Verwalter Vollmacht erteilen und ihre Abstimmungswünsche in einem der Einladung schon beigefügten vorbereiteten Protokoll mitteilen.
Zu erwartendes Ergebnis einer gerichtlichen Anfechtungs-Entscheidung: Das Amtsgericht Lemgo erklärte die allein durch den Verwalter gefassten Beschlüsse für nichtig und legte dem Verwalter die Kosten des Rechtsstreits auf (Urt. v. 24.8.2020 – 16 C 10/20).
Diese und weitere kürzlich ergangene Entscheidungen (AG Kassel, Urt. v. 27.8.2020 – 800 C 2563/20 – Corona-Pandemie rechtfertigt keine Beschränkung der Personenzahl in einer Eigentümerversammlung / AG Dortmund, Urt. v. 28.5.2020 – 514 C 84/20 – Eine Eigentümerversammlung zur Unzeit liegt nicht vor, wenn die Abstandsregelungen zum Versammlungszeitpunkt eingehalten werden konnten) machen deutlich, wie wichtig es für Verwalter und Wohnungseigentümer ist, die besondere Situation von Eigentümergemeinschaften in der Covid-19-Pandemie zu durchdenken und abgewogene Entscheidungen und Maßnahmen zu treffen.
Hier leistet Zschieschack eine ganz wesentliche Hilfestellung bei der Bewältigung der Rechtsfragen und bietet entweder unmittelbar überzeugende Ergebnisse an oder doch zumindest den Anfang eines roten Fadens, der aufgenommen und mit eigenen Überlegungen weiter entwickelt werden kann.
Reiserecht (§ 7 des Werks – Beitrag von Ansgar Staudinger und Charlotte Achilles-Pujol):
Schon zu Beginn der Covid-19-Pandemie brach der Reisemarkt fast vollständig zusammen. Fluggesellschaften, wie z.B. die Lufthansa, gerieten in eine wirtschaftlich beängstigende Situation, Reiseveranstalter und Reisebüros verzeichneten Buchungseinbrüche und Vertragsrücktritte in einem zuvor nicht vorstellbaren Maß (nach einem Bericht der FAZ vom 28.10.2020 erwartet der Deutsche Reiseverband Umsatzeinbußen von 28 Mrd. Euro bis zum Ende 2020), so dass auch sie in wirtschaftliche Not gerieten und dies auch weiter geraten werden.
Für Privatpersonen oder auch Unternehmen, die Reisen für sich oder ihre Mitarbeiter gebucht hatten, stellten sich die Fragen, ob sie gebuchte Reisen „stornieren“ könnten und ihre bereits erbrachten Anzahlungen oder den bereits gezahlten vollen Reisepreis erstattet bekommen.
Mit diesen Fragen wird man als Rechtsberater/in häufig konfrontiert, auch wenn das Reiserecht nicht das zentral bearbeitete Rechtsgebiet ist. Der Beitrag von Staudinger/Achilles-Pujol ist hierbei ein guter Wegweiser. Er ist – soweit ich das ermitteln konnte – die einzige systematische Bearbeitung des Reiserechts, die fokussiert ist auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Pandemie.
Betrachtet werden das Pauschalreiserecht, das Luftverkehrsrecht und das Beherbergungsrecht. Beim Pauschalreiserecht sind herausragend die Erörterungen zu dem Rücktrittsrecht vor Reisebeginn (Rn. 8 ff) und die Kündigungsmöglichkeiten während der Reise (Rn 34 ff).
Für Reisende in der Covid-19-Situation ist § 651 h BGB (und dort Abs. 3) von besonderer Wichtigkeit. Tritt der Reisenden von dem Reisevertrag zurück, kann der Reiseveranstalter grundsätzlich eine angemessene Entschädigung verlangen, § 651h Abs. 1 S. 1 BGB. Angemessene pauschalierte Beträge darf der Veranstalter auch in seinen AGBs festlegen. Wann ein Entschädigungsanspruch nach § 651 h Abs. 3 BGB entfällt, stellen Staudinger/Achilles-Pujol in sich schlüssig und überzeugend dar (§ 7 Rn. 23 ff).
Treten am Bestimmungsort einer Reise oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umständeauf, welche die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen, entfällt zwingend der Entschädigungsanspruch (landläufig „Stornogebühren“ genannt) des Reiseveranstalters. Außergewöhnliche Umstände liegen vor, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.
Schon jetzt beschäftigen sich mehrere Entscheidungen von Gerichten mit Fragen des Rücktrittsrechts bei Reiseveranstaltungen im Zusammenhang mit der aktuellen Covid-19-Pandemie (AG Rostock, Urt. v. 15.7.2020 – 47 C 59/20; AG Frankfurt/M., Urt. v. 11.8.2020 – 32 C 2136/20; AG Frankfurt, Urt. v. 9.9.2020 – 92 C 1682/20; AG Köln, Urt. v. 14.9.2020 – 133 C 213/20; AG Stuttgart, Urt. v. 13.10.2020 – 3 C 2559/20); es ist absehbar, dass weitere Entscheidungen, auch in höheren Instanzen, ergehen werden.
Die Ausbreitung des Corona-Virus kann grundsätzlich als außergewöhnlicher Umstand im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB angesehen werden. Staudinger/Achilles-Pujol weisen allerdings zu Recht darauf hin (Rn. 24), es verbiete sich jede schematische Betrachtung, denn maßgeblich blieben vielmehr die Geschehnisse des konkreten Einzelfalles. Ganz maßgeblich sei in diesem Zusammenhang der Zeitpunkt der Ausübung des Gestaltungsrechts (also der Rücktrittserklärung) maßgeblich. Dabei handele es sich um eine Prognoseentscheidung, für die es auf eine ex-ante-Betrachtung ankomme. Entscheiden ist also, welche Entwicklung am Bestimmungsort der Reise zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung (im Sinne einer Prognose) erkennbar wird. Entwicklungen, die erst nach der Rücktrittserklärung eintreten, sind für die bereits abgegebene Rücktrittserklärung im Hinblick auf einen Entschädigungsanspruch unerheblich.
In Rn. 61 wird von den Verfassern ein ganz spannendes Thema angesprochen: Was passiert, wenn der Reisekunde vom Reisevertrag zurücktritt und damit einen Rückzahlungsanspruch gegen Reiseveranstalter erwirbt, dieser jedoch nach dem Eingang der Erklärung insolvent wird? Tritt dann die Insolvenzabsicherung nach § 651r BGB ein? Die Verfasser vertreten die vorsichtige, gleichwohl gut begründete Auffassung, dass dies der Fall sein müsse. Versicherer werden das wohl ganz anders sehen und auf eine Anmeldung im Insolvenzverfahren verweisen. Entscheidungen hierzu gibt es hierzu bisher nicht.
Rixecker(§ 11 des Werks – Privatversicherungsrechtliche Probleme der Corona-Krise) führt zu dieser konkreten reiserechtlichen Frage nichts aus; allerdings können seine Ausführungen zu Reiseversicherungen (Rn. 48 ff) den reiserechtlichen Teil ergänzen.
Eine für Versicherer und gewerbliche Versicherungsnehmer wichtige und vielleicht existentielle Frage betrifft die Betriebsschließungsversicherung. Als aufgrund der Covid-19-Pandemie behördliche Betriebsschließungsanordnungen ergingen, wollten viele Unternehmer ihre Versicherer, bei denen sie eine solche Versicherung abgeschlossen hatten, in Anspruch nehmen, um ihre durch die Schließung verursachten Ertragsausfälle zu kompensieren.
Die Versicherer wollten aber nicht eintreten und beriefen sich auf ihre Versicherungsbedingungen, die eine Absicherung gegen die aktuelle Covid-19-Pandemie nicht vorsehe. Eine kleine Sonderregelung erreichte die Bayerische Staatsregierung bei einigen Versicherungsunternehmen, die sich dem Druck der Regierung beugten und für einige Branchen (Hotels, Gaststätten pp) eine Auszahlung von 10 – 15 % der in den Policen vereinbarten Tagessätze anboten.
Rixeckerbehandelt (Rn. 60 ff) schlüssig und in der Bewertung stringent drei unterschiedliche Regelungen in Versicherungsbedingungen:
- Deckung bei behördlichen Schließungsverfügungen wegen meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserregern, ohne weitere Voraussetzungen,
- Deckung bei bestimmten, „namentlich“ oder enumerativ aufgeführten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserregern,
- Deckung bei den „im Folgenden aufgezählten Krankheiten oder Krankheitserregern“.
Bei der Brisanz und der wirtschaftlichen Tragweite der Entschädigungsangelegenheit war zu erwarten, dass sich eine Vielzahl von Versicherungsnehmern nicht mit 10 – 15 % der vereinbarten Tagessätze abfinden würde und sich zahlreiche gerichtliche Verfahren entwickeln würden. Die Argumente, die Rixecker bei den drei Klauseln (mit weiteren Varianten) darlegt, finden sich auch in den nunmehr vorliegenden erstinstanzlichen Entscheidungen. Die Entscheidung des LG Mannheim vom 29.4.2020 (11 O 66/20) konnte Rixecker noch verarbeiten, die neueren Entscheidungen verständlicher Weise nicht (LG München I v. 1.10.2020 – 12 O 5895/20; LG Oldenburg v. 14.10.2020 – 13 O 2068/20; LG Ravensburg v. 12.10.2020 - 6 O 199/20; LG Ellwangen/Jagst vom 24.9.2020 – 3 O 187/20). Das LG Ellwangen/Jagst führte aus: „In dem … zu entscheidenden Fall sind die Krankheiten namentlich aufgeführt, anders als in dem der Entscheidung des Landgerichts Mannheim entschiedenen Fall (Urt. v. 29.4.2020 – 11 O 66/20), bei dem in den AVB keine enumerative Aufzählung erfolgt war, sondern nur auf die §§ 6 und 7 IfSG verwiesen wurde.“ Durch den Abschluss der Betriebsschließungsversicherung sei eine Betriebsschließung wegen des Covid-19 Erregers nicht versichert worden. „Die Aufführung der Krankheiten nach Ziffer 1.2 a AVB und der Krankheitserreger nach Ziffer 1.2 b AVB ist abschließend. Die Aufzählung der namentlich benannten Krankheiten und Krankheitserreger in Ziffer 1.2 AVB macht für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für diese besonderen, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will.“
Ich gehe nicht davon aus, dass die Entscheidungen – gleichgültig, ob sie für den Versicherer positiv oder negativ ausgegangen sind – alle in Rechtskraft erwachsen werden, sondern, dass der eine oder andere Fall durch die Instanzen geht. Ergangene und noch zu erwartenden Entscheidungen werden die Diskussion erneut beleben – sicher auch die Ausführungen in einer weiteren Auflage des besprochenen Werks.
Das vorliegende Werk kann ich uneingeschränkt zur Lektüre und für die rechtsanwaltliche Arbeit empfehlen.Über die hier im Einzelnen besprochenen Kapitel hinaus sind auch die übrigen stets prägnant verfasst und enthalten eine Vielzahl von wichtigen Argumentationssträngen. Das gestattet es, sich – selbst bei einem „Querlesen“, wie ich es bei einigen Kapiteln praktiziert habe – in die Einzelmaterie schnell einlesen und eigene Gedanken entwickeln zu können.