Grube / Wahrendorf / Flint, SGB XII. Sozialhilfe mit Eingliederungshilfe (SGB IX Teil 2) und Asylbewerberleistungsgesetz, 7. Auflage, C.H. Beck 2020
Von Rechtsanwältin, Fachanwältin für Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf.
Der lange Abschied von der Eingliederungshilfe - oder: Loslassen fällt schwer. Die Eingliederungshilfe ist seit Anfang des Jahres nach jahrelangen Vorarbeiten (endgültig (?)) in das SGB IX abgewandert, nachdem sie seit Einführung des SGB XII dort fest verankert war. Auch hier gilt das juristische Grundgesetz "Das haben wir immer schon so gemacht". Also kommentieren die Autoren die "neue" Eingliederungshilfe im Anhang gleich mit.
Der Kommentar firmiert zwar unter Grube / Wahrendorf / Flint, aber Grube / Wahrendorf, die von der ersten Auflage dabei waren, geben nur noch ihre Namen her. Da ist zum einen der "Neue", Dr. Thomas Flint, zum anderen ein Team von neuen Autoren, allesamt Richter.
Im Vorwort zur Vorauflage zogen die beiden damaligen Herausgeber des hier besprochenen Kommentars das Fazit, dass der größte Paradigmenwechsel im Sozialrecht – nämlich vom BSHG zu SGB XII und II – mittlerweile in der sozialrechtlichen Rechtsprechung voll und ganz "angekommen" wäre, auch wenn es nach wie vor Spuren des BSHG gäbe. Kaum ist dieser Wechsel vollzogen, schon wird die rechtstatsächlich extrem relevante Eingliederungshilfe ausgegliedert.
Das Buch ist ein klassischer juristischer Kommentar: Aufgebaut in Bearbeiter-, Inhalts-, Abkürzungs- und Literaturverzeichnis. Es folgen die Paragraphen des SGB XII, der schon erwähnte Teil über die Eingliederungshilfe im SGB IX und das kommentierte AsylbLG. Am Schlagwortverzeichnis gäbe es auszusetzen, dass es für Nichtkenner der Materie unzureichend ist: Warum sollte jemand, der "Miete", "Wohnung" oder "Unterkunft" sucht, bei "Bedarfe für Unterkunft und Heizung" suchen? Anders als in vielen Kommentaren gibt es hier keinen Anhang über Verfahren; die Verfahrensvorschriften finden sich an geeigneter Stelle am Ende der jeweiligen Kommentierung, z.B. am Ende der Kommentierung zu § 35 oder § 44. Verordnungen zu einzelnen Paragraphen sind direkt im Anschluss an den jeweiligen Paragraphen abgedruckt, z. B. die "Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung sozialer Schwierigkeiten" nach § 69. Das ist eindeutig besser als die Verordnungen geballt in einen Anhang nach dem kompletten Gesetzestext zusammenzufassen.
Jeder einzelne Paragraphentext des SGB XII und des AsylbLG ist zunächst in Fettdruck abgedruckt, danach folgt ein Satz über den Werdegang der Vorschrift: Daten der Gesetzesänderung mit Datum des Inkrafttretens. Optisch besteht die Kommentierung aus einem Fließtext mit fettgedruckten Stichwörtern und einem Randnummernsystem. Zusätzlich ist jeder einzelnen Kommentierung eine Inhaltsübersicht vorangestellt. Leider ist die Schrift, um möglichst viel Text hineinzupacken, sehr klein. Allerhöchstens 7 Pkt., an manchen Stellen noch kleiner. Ein solcher Handkommentar ist eigentlich dafür gedacht, "mobil" zu sein: D.h., der Leser kann ihn mitnehmen und schnell nachschlagen. Natürlich könnte man das Schriftbild mit der Kamera des Smartphones vergrößern. Aber auch Leser, die keine Brille oder Lupe benötigen, geraten bei schneller Lektüre mit den Zeilen durcheinander. Dadurch, dass das SGB IX teilweise auch noch mitkommentiert wird, nimmt der Umfang nicht gerade ab. Wenn Schrifttum und Rechtsprechung zu SGB XII aber weiter so rasant wachsen wie bisher, sollten sich Herausgeber und Lektoren Gedanken machen, wie man die schiere Stofffülle noch unterbringen kann – und ob man das wirklich tun muss. Aktuell ist es jedenfalls: berücksichtigt ist der Stand bis 07.04.2020.
Es ist ein Handkommentar, hilfreich für die schnelle und mobile Rechtsberatung, aber 1610 Seiten? Müssen z.B. die Leistungen der Eingliederungshilfe, die nun nicht mehr "dazugehören", wirklich noch mitgenommen werden?
Der Stil bleibt der altbewährte: Akzentuierungen im Fließtext durch Fettdruck, das Fettgedruckte findet immer eine Untermauerung durch Verweise auf dazu ergangene Rechtsprechung, Literaturstimmen, andere Quellen.
Der Kommentar erfüllt trotz Kritik alle Wünsche für eine gründliche und doch rasche Arbeit. Mit den zahlreichen, weiterführenden Hinweisen ist er eine solide Basis für ein weiteres Nachforschen. Noch in der Vorauflage war die große Frage, ob die Schnittstelle Pflegeversicherung ./. Eingliederungshilfe rasch aufgelöst werden kann. Heute, drei Jahre später, wissen die Praktiker: Nein. Das BSG fängt gerade erst an. Das ist ein Armutszeugnis für den Gesetzgeber: Gutaussehend auf dem Papier ("Bundesteilhabegesetz" klingt toll), aber in der Praxis hohl.
Auf zu neuen Ufern. Dieser Kommentar bleibt dabei ein zuverlässiger, kompetenter Begleiter für alle, die sich mit Sozialrecht, speziell Sozialhilferecht, befassen.