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Rezension: Juristendeutsch?

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Schimmel, Juristendeutsch?, 1. Auflage, Schöningh / UTB 2020

Von RAin, Fachanwältin für Sozialrecht Marianne Schörnig, Düsseldorf

 

"Juristische Fachsprache gilt vielen Rechtslaien oft als unverständlich oder verwirrend", so kommentiert Wikipedia, "die freie Enzyklopädie" den Eindruck, den Juristendeutsch (wahlweise: Juristenlatein) macht. Eigentlich wollte ich ja schreiben: "...den Eindruck, den Juristendeutsch [...] im Allgemeinen macht", aber dank der Lektüre dieses Buches habe ich "im Allgemeinen" als nichtssagendes Füllwort entlarvt und weggelassen. Wie überhaupt das Buch den einen (Juristen) als Mahnung und den anderen (Rest der Menschheit) als Unterhaltung dient. Innerhalb der ersten Gruppe gibt es aber einige Leser, die entweder a) sich mit juristischer Berufserfahrung bemühen, es besser zu machen, oder b) gefährdet sind, in den Jargon zu verfallen (Studenten), wovor der Autor sie retten will. Man beachte das Fragezeichen im Titel, denn berufsgruppenspezifische Formulierungen gibt es überall. Juristen fallen nur deshalb so unangenehm auf, weil "die juristische Fachsprache im Alltag präsenter ist als etwa die mathematische oder naturwissenschaftliche Fachsprache. Dadurch ist sie näher an der Umgangssprache. Das führt dazu, dass Rechtslaien meinen, eine Wendung oder eine Norm zu verstehen, weil sie die verwendeten Wendungen kennen, nicht aber deren fachsprachliche Bedeutung.", wieder Wikipedia.

"Ein Buch voll praktischer Übungen für bessere Texte", lautet der Untertitel. Daher ist der Übungsteil (B) auch der Umfangreichste. Teil A ist die Einführung: Wovon handelt dieses Buch? Wozu und wer braucht es? Gleich auf Seite 1 ein typisches Beispiel für juristischen Sprachgebrauch "Ausweislich des Sachverhalts liegt keine Vertragsbeziehung zwischen A und B vor", was nichts anderes heißt als "Es gibt keinen Kaufvertrag zwischen A und B". Der Autor beklagt, dass so etwas schon nach wenigen Fachsemestern passiert. Falsch. Das beherrschen schon Erstsemester.

Direkt in der Einführung wird die Adressatengruppe genannt: Studenten, an deren Hochschule kein Kurs "Deutsch für Juristen" angeboten wird oder denen es peinlich wäre, hinzugehen. Oder Anwältinnen, die nicht gleich ein teures Einzelcoaching kaufen wollen. Es gibt aber noch mehr: Richter, Politiker, Nachwuchswissenschaftler. Nachdem das geklärt wäre, folgen die Empfehlungen zur Arbeit mit dem Buch: Das Buch ist gespickt mit (205) Beispielen, alles Originalzitate. Die soll der Leser nun (am besten handschriftlich) abschreiben. Da unmittelbar nach jedem Zitat die Kritik daran folgt (z. B. ist "darstellen" nur ein anderes Wort für "ist", "entsprechend" ist nur Dekoration), soll man dann einen eigenen Vorschlag ausformulieren und den mit dem Vorschlag des Autors (am Ende des Buches findet sich zu jedem Bespiel eine Umformulierung) vergleichen. Es folgt auch gleich ein Korrekturvorschlag, den ein nichtjuristischer Korrekturleser einem juristischen Autor verpassen würde. Ein Originalsatz bestehend aus 51 Wörtern, 4 Kommas (ich bleibe bei Kommata), wird in 14 Schritten auf 22 Wörter (ein Komma, fünf Substantive) heruntergekürzt. Spätestens da ist die juristische Leserin frustriert, - und kann direkt die nächste Überschrift beantworten: Muss ich das lesen? Will ich das lesen? Antwort eins: Nein. Antwort zwei: Ja. Die Mühe (umformulieren) lohnt sich (bessere Verständlichkeit, höhere Akzeptanz).

Teil B: "Umständlich oder verständlich" enthält die praktischen Übungen. Die häufigsten juristischen Fehler werden der Reihe nach aufgezählt und an Beispielen verdeutlicht: Lange Sätze, Fremdwörter, Überflüssiges (Wortgeklingel), Stilebenen, "Haben" und "sein", der Juristin Lieblingswörter: Theaterdonner, Gleichgewichtsübungen und Füllsel, Schachtelsätze, Juristenlatein und Juristinnenenglisch, Passiv, Hauptworthaufen, Lieblingswörter der Verwaltungssprache, Befehle und Ankündigungen, Stilfehler = Denkfehler?, Rechtssprache und Alltagssprache. In jedem dieser Abschnitte sind Beispiele enthalten, die vom Leser umgearbeitet werden sollen. Als "Mahnung" sind gleich die in einem Satz enthaltenen Wörter, Kommata, Substantive, Komposita usw. aufgezählt. Dazwischen sind in Einschüben Denk- und Arbeitspausen zur "Auflockerung". Nach jedem Abschnitt folgen zwei Kategorien: "Wir lernen" = Fazit des Autors und "Was zu tun ist" = Hinweise, wie man das Kritisierte verbessern und diese Verbesserungen auch umsetzen kann. Z.B. "Wir lernen: Wer weniger Latein schreibt, schreibt verständlicher""Was zu tun ist: "Bei den juristischen Fachausdrücken kann man den deutschen statt des lateinischen verwenden. Ist der lateinische genauer oder fachlich weit verbreitet, benutze man ihn". "Wir lernen" ist nochmals zusammengefasst in Teil C (Zusammenfassung für Leser, die zuerst bis zu dieser Stelle geblättert haben). Dass die verworrene Sprache kein Problem der gestelzten Ausdrucksweise des 19. Jhdts. ist, wird deutlich in "Juristenlatein und Juristinnenenglisch" = Was früher "dolo agit, qui petit, quod statim rediturus est", war, ist heute "Screen Scraping und Informationsfreiheit".

Abschließend noch Leseempfehlungen (diese Bücher gehören garantiert nicht auf die Hitliste von Jurastudenten) und Quellenangaben. Spätestens jetzt fällt auf, dass die meisten Zitate aus dem Zivil- oder Strafrecht stammen. Verwaltungsrecht kommt nur ganz selten, Sozialrecht gar nicht vor. Das könnte dafür sprechen, dass sozialrechtliche Texte sehr einfach gestrickt sind (das glaubt aber nur derjenige, der noch nie das SGB V gelesen hat) oder der Autor hat keine Berührungspunkte mit dem Sozialrecht.

Optimistisch behauptet der Verfasser, dass dieses Buch, das in Teil B 15 abschreckende Abschnitte enthält, in einem Semester à 15 Wochen durchgearbeitet werden könnte. Illusorisch, entweder Jura oder Verständlichkeit. Beides ist in einem Semester nicht zu schaffen. Außerdem sind in einem Semester Juristen unter sich. Dass sie "außerhalb" nicht verstanden werden, wird ihnen erst nach der Ausbildung klar.

Der Autor Roland Schimmel ist laut Verlag und der Website der Frankfurt University of Applied Sciences Professor ebenda. Während ich diese Rezension verfasse, fällt mir erst richtig auf, wie juristisch mein Alltagsdeutsch gefärbt ist. Aber wie der Verfasser gleich zu Anfang tröstlich anmerkt: Juristinnen können nichts dafür. Das bringt mich gleich zu der Frage: Gibt es Roland Schimmel wirklich? Ist er vielleicht nur ein Pseudonym einer aufgebrachten Kollegin? Oder steckt gar eine ganze Gruppe Juristinnen dahinter? Der Verdacht drängt sich auf, denn immer, wenn Dr. Schimmel etwas Positives oder Tröstliches schreibt, geht es um Juristinnen, Anwältinnen, Nachwuchswissenschaftlerinnen, Leserinnen, etc. Aber dann, wenn er Kritik äußert oder es allzu grausig wird, wählt er die männliche Form: Richter, Gesetzgeber, Anwalt. Zudem ist einmal von "uns Juristinnen" die Rede (S. 78, Rn. 223 a. E).

Lieber Lektor, substantivierte Verben werden großgeschrieben. Das ist nicht die Rache einer in ihrer Eitelkeit verletzten Juristin, sondern Grundschulwissen.

P.S.: Fremdwörter soll man ja nicht zwingend benutzen. "Hauptwortbildung" tut's auch.



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