Schuschke / Walker / Kessen / Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, Kommentar, 7. Auflage, Carl Heymanns 2020
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Es gibt selbstverständlich eine Reihe von Werken, die die Vorschriften der Zivilprozessordnung kommentieren. Und zweifelsohne gibt es auch etliche Werke, die sich mit dem Vollstreckungsrecht oder dem vorläufigen Rechtsschutz auseinandersetzen. Und doch bleiben all diese Werke in ihren jeweiligen Bereichen verhaftet. Kulinarisch betrachtet handelt es sich um einzelne Gänge eines Menüs, die je nach Format und beteiligten Akteuren mal hochwertiger, praxisnäher, wissenschaftlicher oder an der Oberfläche verhaftend ausfallen. Wer aber ein sowohl die Vollstreckung als auch den vorläufigen Rechtsschutz umfassendes Kompendium mit eindeutigem Fokus sucht, für den hat der Carl Heymanns Verlag ein wahres Sieben-Gänge-Menü im Angebot. Lange hat mich kein Kommentar mehr so positiv überrascht wie dieser. War mir das Werk bislang nur ab und an am Rande über den Weg gelaufen, so habe ich es mir in den vergangenen Wochen nun eingehender angesehen und bin begeistert von der hohen Qualität und Aktualität der Bearbeitungen sowie der Breite der ausgewerteten Literatur und Judikatur.
Im Vergleich zur 2016 erschienenen Vorauflage hat der Verlag das Werk personell neu aufgestellt: Die bisherigen Herausgeber Schuschke und Walker haben die Herausgeberschaft nunmehr an Dr. MartinKessen, LL.M. (UT/Texas), Richter am BGH, sowie Prof. Dr. ChristophThole, Professor an der Universität zu Köln, abgegeben. Zudem wurde der Autorenkreis beträchtlich erneuert und erweitert. Die Autoren stammen allesamt aus Justiz und Wissenschaft, was den wissenschaftlichen Anspruch des Bandes untermauert. Zugleich macht die daraus folgende Ausführlichkeit den Schuschke/Walker/Kessen/Thole aber auch zu einem verlässlichen Begleiter in der Praxis, der vor allem Orientierung durch das Dickicht der Judikatur zu Vollstreckung und Eilverfahren schafft.
Die wichtigste Neuerung der 7. Auflage ist für einen jeden Leser gewiss die umfassende Aktualisierung auf den Stand des Jahres 2019. Denn nur dann, wenn ein Werk wie das vorliegende hin und wieder auf den aktuellen Entwicklungsstand von Rechtsprechung und Wissenschaft gebracht wird, bleibt es ein verlässlicher Begleiter in der täglichen Praxis. Gerade das Vollstreckungsrecht und der einstweilige Rechtsschutz lassen dem Anwender in der Praxis oftmals nicht die Zeit, Rechtsprobleme mehrfach nachzuschlagen oder stets zu verifizieren, ob die gefundene Problemlösung noch auf der Höhe der Zeit ist. Aber auch für diejenigen, die sich von der wissenschaftlichen Warte aus mit der Materie befassen, ist es ein Gewinn, Bearbeitungen vorzufinden, deren Rechtsstand nicht schon in Teilen, wenngleich möglicherweise nur in Details, überholt ist. Darüber hinaus liegen die Schwerpunkte insbesondere in der Erweiterung der Bearbeitung zum Europäischen Vollstreckungsrecht sowie der Beachtung etlicher Gesetzesneuerungen, so etwa der Europäischen Kontenpfändungsverordnung, der EuMahn-VO, der EuBagatellVO, der EuUnterhaltsVO, des AUG und des AVAG.
Aber hinein ins Werk. Pars pro toto habe ich mir zunächst ein klassisches Problem aus dem Bereich des Vollstreckungsrechts angesehen: Den verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO. Danach ist der Kläger zum Schadensersatz verpflichtet, wenn dem Beklagten durch die Vollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte Leistung aufgrund eines später aufgehobenen oder abgeänderten vorläufig vollstreckbaren Urteils ein Schaden entstanden ist. Der Beklagte kann diesen Anspruch dann sogar noch in dem anhängigen Rechtsstreit geltend machen (§ 717 Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Wortlaut an sich gehört sicherlich nicht zu den einfach verständlichsten der ZPO, lässt er doch einige Fragen offen: Was sind die konkreten Voraussetzungen der Norm? Was umfasst die Schadensersatzpflicht? Welche Einwendungen und Einreden können zulässig sein? Und schließlich: Wie ist der Schadensersatzanspruch eigentlich geltend zu machen? Schuschke/Braunbringen hier viel Licht ins Dunkel. Der Anwendungsbereich (§ 717, Rn. 4 ff.) und die Voraussetzungen des Anspruchs (§ 717, Rn. 8 ff.) werden sauber herausgearbeitet und der Umfang der Schadensersatzpflicht (§ 717, Rn. 11 ff.) wird treffend bestimmt, wobei besonders die Aufzählung möglicher Schadenspositionen (§ 717, Rn. 12) erfreulich ist. Sodann widmen sich die Bearbeiter den Einwendungen und Einreden (§ 717, Rn. 14 f.) sowie den Parteien des Schadensersatzanspruchs (§ 717, Rn. 16 f.). Hinsichtlich der in der Praxis oftmals virulenten Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs differenzieren Schuschke/Brauntreffend zwischen den drei bekannten Möglichkeiten Inzidentantrag (§ 717, Rn. 19), selbstständiger Leistungsklage (§ 717, Rn. 20) sowie Widerklage (§ 717, Rn. 21) und erläutern die damit verbundenen Implikationen. Allein zum Zinsanspruch wären hier nähere Ausführungen wünschenswert, insofern sei etwa auf die Entscheidungen BAG NZA-RR 2009, 314, sowie BAG NJW 2015, 894, verwiesen (auf die die Autoren zwar aufmerksam machen, jedoch nur im Hinblick auf die Anwendbarkeit des § 717 Abs. 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren).
Vom Allgemeinen zum Speziellen: Ein Sachverhalt, der vor Gerichten immer noch relativ selten anzutreffen ist, der die Volkswirtschaft und damit die gesamte Gesellschaft aber enorm tangiert, ist die einstweilige Verfügung im Arbeitskampf. Schuschke/Roderburghaben sich wie etlichen anderen Rechtsbereichen auch dieser Thematik in ihrem inhaltsreichen 129 Seiten umfassenden „Überblick“ gewidmet, der dem § 935 ZPO zweckmäßigerweise vorangestellt ist. Auf kürzestem Raum schaffen es die Bearbeiter hier, einen Zugang zu den maßgeblichen Rechtsfragen des Eilverfahrens im Arbeitskampf zu eröffnen (vor § 935, Rn. 171 ff.), das doch regelmäßig ein Eilverfahren „gegen Streiks“ ist. Richtigerweise von der Zulässigkeit der einstweiligen Verfügung auch in diesem grundrechtssensiblen Bereich ausgehend begeben sich die Bearbeiter hier allerdings auf einen kleinen Schlingerkurs. So wird für eine erfolgreiche einstweilige Verfügung zur Untersagung eines Streiks einerseits eine „besonders gewissenhaft[e]“Interessenabwägung verlangt, an dessen Ende zudem die Interessen des Arbeitgebers „deutlich überwiegen“ müssten (vor § 935, Rn. 171). Andererseits wird nicht nur die wohl überwiegende Ansicht, der Verfügungsanspruch verlange die „offensichtliche“ oder „eindeutige“ Rechtswidrigkeit eines Streiks, abgelehnt, sondern vielmehr sogar eine Verfügung auf Grundlage einer umstrittenen Rechtsauffassung – auch im Rahmen der Rechtsfortbildung (Fn. 1034) – für möglich gehalten (vor § 935, Rn. 171). Damit wird allerdings der Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens im Arbeitskampf verkannt, denn dieses ist in Übereinstimmung mit Korinthsicherlich „nicht der rechte Ort, um Arbeitskampfrechtsgeschichte zu schreiben, obwohl die fehlende Zuständigkeit des BAG einen dazu verleiten könnte“ (Korinth, ArbRB 2014, 221 [222]). Sehr positiv aufgefallen ist mir hingegen, dass Schuschke/Roderburg die Problemlage der drittbetroffenen Personen und Unternehmen mitbehandeln (vgl. vor § 935, Rn. 173) und auch Aussperrungen (vor § 935, Rn. 174) sowie einzelne Arbeitskampfmaßnahmen (vor § 935, Rn. 175) nicht außer Acht lassen, sodass die Darstellung – trotz des „Schlingerns“ im Rahmen des Prüfungsmaßstabs – den weiteren Zugang zur Thematik binnen weniger Randnummern prima eröffnen kann. Auch die sicherlich mit einigem Aufwand erfolgte Auswertung von Literatur und Rechtsprechung, die gerade im Bereich der einstweiligen Verfügung gegen Streiks etwas verworren, stets in Bewegung und nicht gerade einfach zu durchblicken ist, ist hervorzuheben.
Neben den Bearbeitungen der §§ 704-945b ZPO sowie §§ 1067-1117 ZPO bietet das Werk noch Kommentierungen zur Brüssel-I-VO, zur Brüssel Ia-VO, zur EuVTVO, zur EuMahnVO, zum AVAG, zum AUG sowie zu einigen weiteren Verordnungen (zum Überblick über die europäischen Rechtsakte sei unbedingt die Vorbemerkung von Jennissen/Eichel, vor Brüssel-Ia-VO, Rn. 2 ff., empfohlen). Dass ein Band wie der Vorliegende auch über die üblichen Verzeichnisse, betreffend Autoren, Literatur, Inhalt und Abkürzungen, verfügt, ist dagegen nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen. Erwähnenswert ist indes noch die angenehme Verarbeitung des Werks, das trotz 2.580 Seiten und gewohnten dünnen Kommentarpapiers gut in der Hand liegt und viel Lesefreude bietet. Ein derart umfassendes Kompendium lädt geradezu zum Nachschlagen und Blättern ein, wofür ich mir für die kommende Auflage ein (oder gar zwei) Lesebändchen wünschen würde. Die geringen Mehrkosten hierfür sollten angesichts des zwar hohen, jedoch im Hinblick auf die gebotene Leistung angemessenen Anschaffungspreises verkraftbar sein und ermöglichen nochmal eine Verbesserung der praktischen Arbeit mit dem Werk.
Natürlich gibt es etliche Kommentare zu ZPO und EuGVVO, Handbücher zu Vollstreckungsrecht und Eilverfahren. Und dennoch ist dieses Buch allen, die regelmäßig mit vollstreckungsrechtlichen Fragen oder Eilverfahren befasst sind, unbedingt ans Herz zu legen. Der spezielle Fokus, Umfang und Qualität der Bearbeitungen belohnen den Leser, wenn man das Werk zu Rate zieht. Dies gilt selbstverständlich auch für Referendare, die – frisch „in die ZPO hineingeworfen“ – sich hier an den reich gedeckten Tisch setzen, sicherlich das ein oder andere Spezialproblem lösen und Erkenntnisgewinne feiern können. Insofern kann man sich nur wünschen, dass der Schuschke/Walker/Kessen/Thole möglichst vielen Lesern als treuer Begleiter dienen möge.