Schneider, Der einstweilige Rechtsschutz im Arbeitskampf, 1. Auflage, Logos 2019
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Ist das Arbeitskampfrecht allgemein wohl eines der umstrittensten Teilgebiete des Arbeitsrechts – man denke nur an die zahllosen Fragen über die Zulässigkeit und Unzulässigkeit von Streiks –, so gilt dies für den einstweiligen Rechtsschutz im Arbeitskampf im Besonderen. Insofern ist es lobenswert, dass sich mit Sven Patrick Schneider– vier Jahre nach dem Erscheinen der thematisch ähnlichen Monographien von Janssen(Die einstweilige Verfügung im Arbeitskampf, 2015) sowie Löbig (Einstweilige Verfügungen und neue Arbeitskampfwirklichkeit, 2015) – erneut ein Autor eingehend mit der noch längst nicht erschöpfend behandelten Thematik des einstweiligen Rechtsschutzes im Arbeitskampf auseinandersetzt. Die von Prof. Dr. Matthias Jacobs und Prof. Dr. Oliver Ricken begutachtete Arbeit wurde im Jahr 2019 an der Bucerius Law School als Dissertation angenommen. Ihr Untertitel „Maßstäbe der gerichtlichen Eilüberprüfung und prozessuale Verbesserungsmöglichkeiten“ zeigt den Fokus des Werks auf, der sich sodann auch in der inhaltlichen Gewichtung widerspiegelt.
Zunächst gibt Schneiderin der Einleitung eine Übersicht über die Relevanz des Themas und skizziert den Gang seiner Untersuchung (A.). Es folgen Ausführungen zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Eilrechtsschutzes gegen Arbeitskampfmaßnahmen (B.). Unter Bezugnahme auf Literatur und Rechtsprechung kommt der Autor hier richtigerweise zu dem Schluss, dass der Eilrechtsschutz grdsl. möglich sein müsse (S. 34). Ist die einstweilige Verfügung danach grdsl. zulässig, führt dies zwangsläufig zur Frage, welche Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bestehen. Schneider beschränkt dies in im Hinblick auf die Relevanz in der Praxis zweckmäßiger Weise auf solche einstweiligen Verfügungen, die auf die Unterlassung eines Streiks abzielen (C.). Auf knapp 100 Seiten skizziert der Autor die Voraussetzungen – gegliedert nach Zulässigkeit, Begründetheit, Vollstreckung sowie Streitwert. Im Rahmen der Begründetheit setzt sich der Autor dabei auch mit verschiedenen Aspekten auseinander, die zur Einordnung eines Streiks als rechtswidrig in Betracht kommen. Zwar sind die Ausführungen inhaltlich durchaus interessant zu lesen, jedoch fehlt eine gelungene Struktur, was angesichts der nicht gerade einheitlichen Rechtsprechung zwar verständlich, aber doch misslich ist. Die Ausführungen an sich machen auf mich teilweise den Eindruck eines Balanceakts zwischen ausführlicher Auseinandersetzung und lediglich formelhafter Wiedergabe, der allerdings teils auch deutlich misslingt (beispielhaft sei auf den Abschnitt zum politischen Streik verwiesen, S. 73 f., wo der Autor zunächst die grundsätzliche bundesrepublikanische Rechtslage knapp darstellt, dann aber doch auf die Literatur und die Europäische Sozialcharta eingeht, was im Ergebnis auf derart geringem Raum nicht zu gelingen vermag). Mit Erkenntnisgewinn habe ich dagegen den Abschnitt über teilweise rechtswidrige Forderungen, ihr mögliches Fallenlassen in den verschiedenen Stadien des Arbeitskampfes sowie insbesondere auch die sog. „Rührei“-Theorie gelesen (S. 93-112). Was die Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes angeht (S. 120 ff.), bleibt die Darstellung dagegen leider wieder sehr an der Oberfläche.
Im vierten Kapitel (D.) behandelt Schneider dann „Ausgewählte Probleme und prozessuale Verbesserungsmöglichkeiten“. Dieses Kapitel stellt gewissermaßen einen Kern der Arbeit dar, entwickelt der Autor hier doch eigene Ideen und Optionen, um das Eilverfahren bzw. den Eilrechtsschutz zu optimieren. Gern gelesen habe ich die Überlegungen zur Anforderung an den Maßstab, der für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Streiks im Eilverfahren zugrunde zu legen ist (S. 134 ff.), sowie diejenigen zu Rechtsfortbildung im Eilverfahren (S. 185 ff.) und Bindung der Instanzgerichte an die höchstrichterliche Rechtsprechung (S. 196 ff.). Interessant sind auch die Ideen zur Herstellung von größerer Rechtssicherheit (S. 203 ff.), die Schneider entwickelt, gleichwohl derartige Vorschläge bislang stets theoretischer Natur geblieben sind.
Ein weiteres Kapitel ist noch den „Reaktionsmöglichkeiten der Arbeitskampfparteien“ gewidmet (E.). Der aus Praxis kommende Leser wird sich hier vor allem die Abschnitte zum Einsatz einer sog. Schutzschrift (S. 230 ff.) sowie zu möglichen Rechtsmitteln (S. 236 ff.) ansehen, die angenehm ausführlich geraten sind.
Abschließend folgt noch eine Zusammenstellung der Thesen des Autors (F.). Die Aufforderung von Schneider an die Tarifparteien, mehr Hauptsacheverfahren in Arbeitskampfsachen und zudem möglichst bis zum BAG zu führen, erscheint allerdings praxisfern. Er selbst erachtet die Zurückhaltung zwar für „nachvollziehbar“ (S. 253), bleibt jedoch sodann ziemlich resigniert zurück, wenn er schreibt: „Wenn keine Hauptsacheprozesse geführt werden, dürfen sich die Tarifvertragsparteien jedoch nicht beschweren, dass die Rechtsunsicherheiten weiter fortbestehen.“(ibid.)
Etwas problematisch am Gang der Untersuchung ist, dass die Darstellung der Voraussetzungen sowie die Erläuterung von Problemen und das Erarbeiten von Verbesserungsoptionen sich in vielen Fällen notwendig überlappen. Denn aufgrund der divergierenden Rechtsprechung und auch den verschiedenen Auffassungen in der Literatur kann eine „klare“ Darlegung der aktuellen Rechtslage nicht erfolgen, ohne bereits auf problematische Punkte einzugehen, was der Autor sogar ausdrücklich zugesteht („ausführlicher dazu später“, S. 114). Beispielhaft sei auf die Frage der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hingewiesen, die unter „C.“ ausgespart und erst unter „D.“ dann ausführlich behandelt wird. Gleiches gilt auch für die allgemein im Arbeitsgerichtsverfahren vorgesehene Güteverhandlung.
Des Weiteren hätte dem Werk ein angemessenes Lektorat gutgetan. So ziehen sich Inkonsistenzen und Flüchtigkeitsfehler (etwa fehlende Zeichen [so auf S. 50: „§ 40“ ZPO statt „§ 940“ ZPO] oder offensichtlich verfehlte Entscheidungszitate [so auf S. 72: „BAG v. 10.12.2012, 1 AZR 96/02, NZA 2003, 734, 740“]) durch das Werk und beeinträchtigen das Lesevergnügen erheblich. Überschriften sind mal im Fettdruck gesetzt (S. 6), mal nicht (S. 12), und weder Inhaltsübersicht noch Inhalts- sowie Literaturverzeichnis weisen Seitenzahlen aus. Auch die Unterstreichung der Angabe von Links in Fußnoten ist vermeidbar. Abkürzungen werden nicht einheitlich verwendet (so heißt es etwa auf S. 38 teilweise „vgl.“ [Fn. 20], teilweise aber auch „vergleiche“ [Fn. 24]). Dass die Abstände vor und nach Überschriften zudem kleiner sind als diejenigen zwischen zwei gewöhnlichen Absätzen des Haupttexts, lässt die Gestaltung zudem wenig durchdacht und eher nach liebloser Pflichtarbeit wirken. Ungewohnt für eine Monographie mutet auch die Fußnotenzählung an, die in jedem Kapitel stets von neuem beginnt.
Insgesamt hat sich Schneiderin dem vorliegenden Werk einer sehr interessanten Thematik gewidmet. Das Werk enthält einige interessante Denkanstöße und Ideen. Dagegen mangelt es dem Werk an einer vernünftigen und schlüssigen Struktur, nicht nur hinsichtlich der großen Kapitel, sondern auch auf den unteren Gliederungsebenen. Schaut man sich andere Werke an (im Bereich des Arbeitskampfrechts sei etwa auf die kürzlich erschienene, großartig strukturierte Arbeit von Malorny, Die Haftung der Gewerkschaft gegenüber ihren Tarifpartnern und Dritten für Schäden bei rechtswidrigen Streiks, 2019, hingewiesen), so fällt die vorliegende Arbeit dagegen deutlich ab. Gleiches gilt im Hinblick auf die Auswertung von Literatur und Rechtsprechung, die sich zwar weitgehend im Rahmen des Erforderlichen bewegt, nicht jedoch darüber hinausgeht. Mit 42,50 Euro gehört das Werk dabei definitiv zu den günstigeren Monographien, was sich leider in einem unzureichenden Lektorat widerspiegelt. Nichtsdestotrotz: Wer mit einstweiligen Verfügungen im Arbeitskampf befasst ist, wird sich dieses Werk zulegen müssen. Dies gilt vor allem für Gewerkschafts- und Verbandsjuristen, die insbesondere am innovativen Potenzial der von Schneider diskutierten Ideen ihre Freude haben werden.