Möllers, Juristische Methodenlehre, 2. Auflage, C.H. Beck 2019
Von Dipl. iur. Andreas Seidel, Göttingen
Der Autor zitiert in seinem Vorwort zur vorliegenden zweiten Auflage seiner Methodenlehre die Vizepräsidentin des EGMR, Prof. Dr. Angelika Nußberger mit der Aussage, die Rechtswissenschaft sei im Wesentlichen eine Argumentationswissenschaft. Dabei hat sich seit Jahrhunderten eine besondere juristische Argumentationstechnik herausgebildet, die in ihrer Methodik im hohen Maße ausdifferenziert ist. Deshalb verwundert es auch, dass die Methodenlehre einen derart geringen Stellenwert in der juristischen Ausbildung genießt. Regelmäßig werden Analogien oder teleologische Reduktionen schlicht auswendig gelernt und auch der klassische Auslegungskanon wird meist nur halbherzig angewendet. Dies ist nicht nur von einem didaktischen Standpunkt aus betrachtet bedauerlich, sondern auch vor dem Hintergrund der Faszination, die die juristische Methodik auslösen kann, unverständlich und nicht zuletzt, von einer rechtstaatlichen Perspektive aus gesehen, bestürzend. Umso erfreulicher ist die Tatsache, dass die erste Auflage von 2017 (samt Nachdruck dieser ersten Auflage) derart schnell vergriffen war, dass nun eine zweite Auflage notwendig wurde. Auch wenn dieser Umstand sicherlich (mit) darin begründet liegt, dass der Markt von neuerer Literatur zur juristischen Methodenlehre nicht besonders umfangreich ist.
Möllers hat im Wesentlichen die Struktur der Erstauflage beibehalten, auch wenn an einigen Stellen die Darstellung erweitert wurde. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass der formulierte Anspruch der Erstauflage, den Juristen in die Lage zu versetzen, die Lösung für bisher ungeklärte Rechtsprobleme Schritt für Schritt so zu entwickeln, dass sie die Gegenseite – auch im Streitfalle – von dem Gehalt der juristischen Argumentation überzeugt, auch für die nun erschienene Zweitauflage fortgilt. Dabei richtet er sich gleichermaßen an den wissenschaftlichen Lehrbetrieb (sowohl aus Sicht der Studierenden als auch der Lehrenden), die Wissenschaft wie auch die Praxis. Ein insbesondere im Hinblick auf die Methodenlehre nicht unambitionierter Anspruch.
Getragen wird dieses Werk von einer breiten, fächerübergreifenden und rechtsdogmatischen Herangehensweise. So sollen nicht nur die Auslegungsmethoden vorgestellt werden, sondern die Rechtsmethodik soll grundlegend analysiert werden. Dementsprechend werden innerhalb der in fünf Teile gegliederten Darstellung im ersten Teil einleitend die juristische Methodenlehre als Begründungs- und Legitimationslehre vorgestellt sowie primäre und sekundäre Rechts- und Rechtserkenntnisquellen (national und unter Einbeziehung des europäischen und internationalen Rechts) in ihrer jeweiligen Bedeutung dargestellt. Nun widmet sich der zweite Teil den Auslegungskanones, wobei nur die Erklärung der klassischen Auslegungsmethoden des Wortlautes, der Systematik und der Geschichte (§ 4), sowie die Auslegung nach Telos, Logik und Folgen (§ 5) hier erfolgt und die verfassungskonforme, sowie die europarechtskonforme Auslegung erst später im vierten Teil zum Vorrang des Verfassungs- und Europarechts (§§ 11, 12) folgt. Dazwischen stellt der Autor die Rechtsfortbildung dar, wobei einfache Formen der Rechtsfortbildung (gesetzeskonkretisierende Rechtsfortbildungen wie die Analogie oder die teleologische Reduktion) bereits im zweiten Teil dargestellt werden (§ 6) und im dritten Teil erst die darüberhinausgehende Rechtskonkretisierung abgehandelt wird. Dabei beschränkt sich Möllersnicht nur auf eine gerichtliche Konkretisierung, sondern bespricht gleichzeitig auch eine solche der Verwaltung und zuvorderst auch des Gesetzgebers. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, dass dort auch Ausführungen zur Rechtsdogmatik und zu allgemeinen Rechtsprinzipien vorgestellt werden.
Während sich bis hier die Darstellung cum grano salis nicht wesentlich von anderen Darstellungen zur Methodenlehre unterscheidet, folgt nun im abschließenden fünften Teil, der betitelt ist mit „Rechtsfrieden und Rechtssicherheit als Ziele der Juristischen Methodenlehre“, neben der Vorstellung der Grenzen der Rechtsfortbildung die Betrachtung einer „modernen juristischen Methodenlehre“ (§ 14). Hier denkt der Autor etwa über die Erweiterung der klassischen Methodenlehre um die Fallhermeneutik oder den Einfluss des Kreativen im juristischen Denken nach.
Insofern gelingt Möllersder Brückenschlag zwischen der Darstellung der klassischen und einer modernen Methodenlehre – ihm gelingt somit sowohl Pflicht als Kür. Damit vermag er es, die Methodenlehre als zuweilen recht angestaubte Thematik aus ihrem Dornröschenschlaf wachzuküssen und verhilft ihr zu der Aufmerksamkeit, die ihr richtigerweise gebührt.