Nollert-Borasio / Dickerhof-Borello / Wenckebach, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, 5. Auflage, Bund 2019
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., LL.M., Essen
Nach anfänglich starkem Widerstand und vielen Bedenken ist das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz seit ein paar Jahren in der betrieblichen Praxis endgültig angekommen. Es wird weithin akzeptiert, dass die Vorgaben des Gesetzes einzuhalten sind und Sinn und Zweck des AGG werden nicht mehr grdsl. in Frage gestellt. Wer einen Kommentar zum AGG zu Rate ziehen möchte – was oftmals erforderlich ist, da die Normen an sich dem Rechtsanwender, auch aufgrund der umfangreichen Judikatur, vielfach nicht ad hoc weiterhelfen –, dem steht mittlerweile eine gute Auswahl an Werken zur Verfügung (vgl. auch Rezensionen hier im Blog zu den Kommentaren von Schleusener/Suckow/Plum, Bauer/Krieger/Günthersowie Däubler/Bertzbach). Der vorliegende „Basiskommentar“ aus dem Bund-Verlag ist dabei wohl derjenige unter den etablierten Kommentaren, der nicht nur am preisgünstigsten, sondern auch am kompaktesten ist.
Die Autorinnen des Werks, Christiane Nollert-Borasio, Vorsitzende Richterin am LAG München, Dr. Elisabeth Dickerhof-Borello, Richterin am ArbG München, und Dr. Johanna Wenckebach, die nach Drucklegung als neue Leiterin zum gewerkschaftsnahen Hugo Sinzheimer Institut für Arbeitsrecht gewechselt ist, sorgen trotz Veränderungen im Autorinnenteam für eine gleichbleibend hohe Qualität der einzelnen Kommentierungen ohne gleichzeitig den Rahmen eines „Basiskommentars“ zu sprengen. So beinhaltet das Werk weiterhin nur knapp über 400 Seiten.
Im Rahmen der Anwendung und Auslegung des AGG kommt den bislang entschiedenen Fällen eine besondere Rolle zu. So finden etwa Personalverantwortliche in der Rechtsprechung bereits viele „Formulierungen“, die in Stellenausschreibungen für zulässig oder unzulässig gehalten werden (vgl. in der Literatur etwa Pieper, RdA 2018, 337 sowie Köhlert, NZA 2018, 1172). Dies ist deswegen bedeutsam, da Arbeitsplätze nach § 11 AGG nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (§ 7 Abs. 1 AGG) ausgeschrieben werden dürfen. Die Autorinnen fassen insofern zunächst die allgemeinen Grundzüge zusammen (§ 11, Rn. 1). Hierbei stellen sie auch die in den vergangenen Jahren herausgebildeten Grundsätze zum Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB), dem sog. „AGG-Hopping“, umfassend und sehr verständlich dar (§ 11, Rn. 1a). Nach kurzer Auseinandersetzung mit dem Adressaten der Norm (§ 11, Rn. 2) werden die Inhalte der Vorschrift ausgeführt (§ 11, Rn. 3 f.). Hervorragend gefällt mir hier, wie die Autorinnen hier Beispiele zusammenfassen, sodass diese schnell aufgefunden werden können und der Veranschaulichung dienen. Vom übrigen Text abgesetzt verleiht dieses sich an sehr vielen Stellen im Werk zu findende Gestaltungselement dem Text eine gewisse Auflockerung und ist für den Praktiker von einigem Mehrwert.
Lobenswert ist des Weiteren die hohe Aktualität des Werks, so etwa in der Kommentierung zu § 10 S. 3 Nr. 4 AGG (§ 10, Rn. 22 f.), der eine Regelung zur ausnahmsweise zulässigen unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters im Rahmen von betrieblichen Altersversorgungssystemen trifft. Hier haben die Autorinnen die neuere Rechtsprechung, vor allem zu Spätehenklauseln, Altersabstandsklauseln, Wartezeiten und Stichtagsregelungen, treffend eingearbeitet. Insgesamt ist dabei zu beobachten, dass sich das Werk weit überwiegend an der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung orientiert. Mit eigenen Ansichten halten sich die Autorinnen dagegen vielfach zurück; auch von der Angabe von Fundstellen aus der Literatur wird eher zurückhaltend Gebrauch gemacht. Dies ist aber nicht misslich, sondern entspricht vielmehr der Natur und Konzeption eines auf das Wesentliche fokussierten Werks. Die Anlage eines Fußnotenapparats führt zudem dazu, dass der Fließtext insgesamt gut lesbar bleibt.
Aufbau und Layout des Kommentars entsprechen dem geläufigen Standard der „Basiskommentare“ aus dem Bund-Verlag. Dem Inhaltsverzeichnis folgen Abkürzungs- und Literaturverzeichnis sowie eine knappe Einleitung. Den Kern bildet sodann die Kommentierung des AGG. Gut gefällt mir, dass die Autorinnen im Anhang noch eine Musterbetriebsvereinbarung bereitstellen, die als „Vereinbarung zur Förderung von Gleichbehandlung und zum Schutz der Beschäftigten vor Diskriminierung und Belästigung“ zwar rechtlich nicht bedeutsam, aber dennoch als Bekenntnis der Betriebsparteien der allgemeinen Sensibilisierung dient (auf diesen Zusammenhang wird von den Autorinnen in Fn. 1 aber auch hingewiesen).
Während ein Großteil der anderen auf dem Markt befindlichen Kommentare zwischenzeitlich um eine Kommentierung des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) ergänzt wurden (vgl. etwa Rezension zum Werk von Bauer/Krieger/Günther hier im Blog), belässt es das vorliegende Werk prima vista bei einem Abdruck des Gesetzestextes in der Anlage. Allerdings stellen die Autorinnen im Rahmen der AGG-Kommentierung jedenfalls die Grundzüge des EntgTranspG dar (vgl. die rund 19 Seiten umfassende Einführung bei § 2, Rn. 62 ff.), sodass der Leser hier zumindest erste Ansatzpunkte zu finden vermag. Für vertiefte Auslegungshinweise soll wohl auf den in der gleichen Reihe erscheinenden Kommentar zum EntgTranspG von Oerder/Wenckebachzurückgegriffen werden – der Bund-Verlag scheint sich insofern (verständlicherweise) nicht selbst Konkurrenz machen zu wollen. Angesichts des insgesamt sehr angemessenen Preises des vorliegenden Kommentars und im Lichte dessen, dass das EntgTranspG bislang nur eine äußerst marginale Rolle in der Praxis einnimmt, ist dies aber zu verschmerzen.
Wer mithin einen kompakten Einstieg ins Antidiskriminierungsrecht sucht, dem sei das Büchlein von Nollert-Borasio/Dickerhof-Borello/Wenckebach empfohlen. Zum Nachschlagen kleinerer und vor allem typischer Fragestellungen ist es mehr als ausreichend und bietet hinreichende Anregungen für eine mögliche tiefergehende Recherche. In der Praxis werden daher insbesondere Betriebs- und Personalräte, aber auch Beschäftigte von dem Werk am meisten profitieren. Für Personalverantwortliche mag das Werk – gewissermaßen als Basislektüre – dagegen wohl nur in einzelnen Konstellationen oder als Einstiegslektüre genügen. Da hier aber auch oft Spezialkonstellationen auftreten, wird insofern oftmals ein vertiefender Blick in umfangreichere Werke erforderlich sein. Gleiches dürfte für die richterliche und anwaltliche Tätigkeit gelten. Nichtsdestotrotz kann auch hier die wohl zumeist lediglich ergänzende Konsultation des vorliegenden Kommentars gewinnbringend sein, da vor allem die klare Sprache, die Aktualität und die hervorragende Auswertung der Judikatur hilfreiche Anhaltspunkte und Hinweise für die Auslegung des AGG beinhalten.