Hamm / Pauly, Beweisantragsrecht, 3. Auflage, C.F. Müller 2019
Von RiAG Dr. Alexander Schäfer, Landstuhl
In der Reihe „Praxis der Strafverteidigung“ legen Rainer Hamm und Jürgen Pauly eine Neuauflage des Werkes Beweisantragsrecht vor. Das vom 2014 verstorbenen ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Dr. Dr. hc. mult. Winfried Hassemer bis zur Vorauflage maßgeblich mitgeprägte Werk wird behutsam auf dem Stand der Zeit gebracht (die 2. Auflage erschien schon 2007). Selbstverständlich werden die neuesten Entwicklungen in der Rechtsprechung berücksichtigt, so dass dem Praktiker des Strafprozesses ein aktuelles und zugleich handliches und tiefgehendes Werk zur Verfügung steht, das sich einem zentralen Baustein des Strafprozesses widmet. Zu Recht bezeichnen die Autoren das Beweisantragsrecht als „Kernstück der Verteidigung im Strafprozess“, das dem amtsgetriebenen Ermittlungs- und Verhandlungsgeschehen ein eigeninitiatives Recht v.a. (aber nicht nur) des Angeklagten zur Seite stellt, um Gang und Ausgang des Verfahrens zu beeinflussen.
Im Teil 1 (S. 1 - 18) legen die Autoren die theoretischen Grundlagen des Beweisantragsrechts dar, um dem Leser ein Verständnis davon zu vermitteln, welche Rolle das Beweisantragsrecht bei der prozessualen Wahrheitsfindung, auf die der Strafprozess abzielt, spielt. Mit theoretischen Grundlagen sind dabei nicht nur die gesetzlichen Regelungen gemeint, sondern philosophische, psychologische und physiologische Determinanten der Wahrheitserkenntnis. Dabei wird deutlich, dass dem Beweisantragsrecht die Rolle einer Korrektivs zukommt, das erforderlich wird, weil der nur in der Theorie ideale Inquisitionsprozess der Aufdeckung der reinen Wahrheit in der Realität nicht voll gerecht werden kann. Gefragt ist die „forensische Wahrheit“, nicht „Wahrheit um jeden Preis“ (Rn. 36). Die Ermittlung dieser Wahrheit liegt aufgrund der Beweisantragsbefugnisse der Beteiligten nicht nur in den Händen des Gerichts oder der Ermittlungsbehörden.
Im Teil 2 (S. 19 – 95) wird es konkret. In einem Stufenmodell wird dargestellt, in welcher Weise die Beteiligten auf den Umfang der Beweisaufnahme Einfluss nehmen können, wobei deutlich wird, dass der förmliche Beweisantrag „nur die oberste, die am stärksten formalisierte aus einer Reihe von Einflussmöglichkeiten“ (Rn. 38) ist. Klargestellt wird, dass schon die Aufklärungspflicht von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten (§ 244 Abs. 2 StPO) diese verpflichtet, sich auch mit weniger förmlichen Beiträgen zur Beweiserhebung zu befassen. Dies kann so weit reichen, dass ein Beweis von Amts wegen zu erheben ist, wenn er sich „aufdrängt“. Die erste Stufe der Einflussnahme der Verteidigung ist die formlose Informationsweitergabe, z.B. über entlastende Umstände. Ebenfalls zu den formlosen Mitteln gehört die Beweisanregung, die schon deutlicher zum Ausdruck bringt, welche Beweismittel für erforderlich gehalten werden und in welcher Art die Beweiserhebung von statten gehen sollte. Als nächste Stufe wird der sog. Beweisermittlungsantrag dargestellt, dem die Konkretheit fehlt, um ein Beweisantrag zu sein. Zwar kann dieser noch ohne Beschluss zurückgewiesen werden, der Entscheidung des Vorsitzenden ist jedoch in verstärktem Maße abzuverlangen, zu erklären, warum eine Amtsermittlung nicht für erforderlich gehalten wird. Schließlich befasst sich dieser Teil ab S. 41 mit dem Beweisantrag im engeren Sinn. Dabei wird zwischen den möglichen Beweismitteln (Zeugen, Urkunden, Sachverständige …) differenziert. Als erfolgskritisch betont wird die Bedeutung einer bestimmten Beweisbehauptung.
Die Teile 3 und 4 stellen die konkrete Praxis des Beweisantrags in den Verfahrensstadien der Hauptverhandlung und außerhalb (Ermittlungsverfahren, Zwischenverfahren, Revision) dar. Aufgrund ihrer Revisibilität und der dazu ergangenen Rechtsprechung kommt der (ablehnenden) Entscheidung über den Beweisantrag quantitativ und qualitativ ein besonderer Stellenwert zu. Betont wird in Teil 4 die Möglichkeit, schon im Ermittlungsverfahren Einfluss zu nehmen. Nie bleiben die Ausführungen dabei im Allgemeinen und Theoretischen, sondern betrachten die Situation aus der Sicht eines Strafverteidigers, dessen unterschiedlichen Motivlagen für das Stellen oder Nichtstellen eines Antrags Berücksichtigung finden.
Insgesamt geben die Autoren den Lesern, zu denen nicht nur Strafverteidiger gehören sollten, sondern alle Praktiker des Strafprozesses, ein kompaktes und systematisches Werk in die Hand, um ein zentrales Gestaltungsmittel und - aus Sicht der Gerichte - eine erhebliche Quelle für revisible Verfahrensrügen anzuwenden. Über eine übersichtliche Gliederung und ein gut sortiertes Schlagwortverzeichnis findet man schnell, was man sucht. Vor allem die Rechtsprechung, aber auch die Literatur sind aktuell ausgewertet, wenn auch ein Schwerpunkt auf älteren, maßgebenden Entscheidungen liegt. Eine Empfehlung!