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Rezension: Kapitalgesellschaftsrecht

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Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht mit Grundzügen des Kapitalmarktrechts, 4. Auflage, De Gruyter 2018

Rechtsanwalt Dr. Arian Nazari-Khanachayi, LL.M. Eur., Berlin


Das Kapitalgesellschaftsrecht stellt im Rahmen des regulären rechtswissenschaftlichen Studiums einen Randbereich dar: Nach den gängigen Prüfungsordnungen gehören lediglich Kenntnisse über die Gründung, die Vertretung und die Geschäftsführung der GmbH im Überblick zum Pflichtfachstoff der juristischen Staatsprüfung (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3 JAPro BW). Das Aktienrecht hingegen gehört in der Regel nicht zum Kanon des Pflichtfachstoffes. Dies erklärt wohl den Umstand, dass die gängigen Lehrbücher zum Gesellschaftsrecht das GmbH-Recht und das Aktienrecht neben dem Personen(handels-)gesellschaftsrecht im Überblick darstellen, wenngleich einzelne Aspekte je nach Vorliebe des Autors durchaus Vertiefung erfahren (vgl. bspw. Bitter/Heim, GesR, 4. Aufl. 2018, § 4 Rn. 251 ff. [Existenzvernichtungs- und Durchgriffshaftung im GmbH-Recht] oder Windbichler, GesR, 23. Aufl. 2013, § 31 Rn. 37 ff. [Konzernrechnungslegung im Aktienrecht]). Im einschlägigen Schwerpunktbereichsstudium können freilich vertiefte Kenntnisse des GmbH-Rechts und Aktienrechts abgefragt werden. Darüber hinaus spielt in der täglichen Praxis des Gesellschaftsrechts gerade das Kapitalgesellschaftsrecht eine immense Rolle. Daher ist es besonders erfreulich, dass Professor Dr. Jan Wilhelm, emeritierter Professor für Bürgerliches Recht und Handels- und Wirtschaftsrecht II an der Universität Passau, sein Lehrbuch zum Kapitalgesellschaftsrecht inzwischen in der 4. Auflage mit einem Umfang von 815 Seiten vorlegt.

In formaler Hinsicht besticht das Werk durch zwei Aspekte, deren Hervorhebung im hiesigen Zusammenhang geboten ist: Zum einen ist die bereits im Titel zum Ausdruck gebrachte Aufnahme eines eigenen Kapitels zum Kapitalmarktrecht besonders zu begrüßen. Das Kapitalmarktrecht hat vornehmlich für die AG eine immense Bedeutung: Nach Zulassung einer AG an der Börse (Börseneinführung [Intitial Public Offering; IPO]) können ihre Aktien als Finanzinstrumente im Sinne des WpHG über die Börse gehandelt werden, wodurch insbesondere einerseits die Handelbarkeit der Aktien und andererseits die Kapitalbeschaffung erleichtert wird (vgl. auch Wilhelm, Kapitel G, Rn. 690). Die Teilnahme am Kapitalmarkt gehört also in der Regel zum Lebenszyklus einer AG, so dass spiegelbildlich das Kapitalmarktrecht für das Gesamtverständnis des Aktienrechts unerlässlich ist. Vor diesem Hintergrund ist die Darstellung zum Kapitalmarktrecht im systematischen Zusammenhang mit dem Kapitalgesellschaftsrecht besonders zu begrüßen, weil Wilhelmauf diese Weise dem – ungeübten Leser – sowohl den Einstieg in die Materie erleichtert als auch deren Bedeutung einprägsam verdeutlicht. Zum anderen ist das von Wilhelm als Anhang des Werkes aufgenommene Entscheidungsregister hervorzuheben: Ausgehend von Entscheidungen des EuGH über BGH-Entscheidungen bis hin zu instanzgerichtlichen Entscheidungen werden grundlegende Urteile und Beschlüsse zum Gesellschaftsrecht – mit und ohne Namen – tabellarisch aufgeführt. In dieser Tabelle findet der Leser zudem jeweils die Randnummer des Werkes, in der die Entscheidung verarbeitet wurde. Somit eignet sich das Entscheidungsregister auf der einen Seite zum Befragen der einschlägigen Fundstellen – etwa wenn dem Leser lediglich ein Entscheidungsname bekannt ist. Auf der anderen Seite ermöglichen die Intraverweise ein zügiges Nachlesen der Ausführungen im Werk, folglich zum zügigen Erfassen der systematischen Zusammenhänge der jeweiligen Entscheidungen.

In inhaltlicher Hinsicht ist das Werk bereits deswegen von besonderem Wert, weil es die oben beschriebene Nachfragesituation – neben den bisweilen vorhandenen Handbüchern – durch seine didaktisch orientierte und systematische Darstellungsweise besonders instruktiv befriedigt. Hervorhebung verdienen darüber hinaus zwei Aspekte, die zum inhaltlichen Vorzug des Werkes gehören: So ist von besonderem Wert, dass Wilhelm stets die historischen Zusammenhänge sowohl von einzelnen Gesetzen als auch von einzelnen Rechtsinstituten/-figuren besonders einprägsam illustriert. Beispielsweise wird die Vorbelastungshaftung im Vorgesellschaftsstadium, die auf die Kapitalgesellschaft übergeht (sodann: Verlustdeckungshaftung; insgesamt auch als Unterbilanzhaftung bezeichnet), ausgehend von der ursprünglichen Rechtslage dargestellt: Es wird zunächst das ursprünglich bestehende Vorbelastungsverbot im Vorgesellschaftsstadium dargestellt, um sodann dessen Aufweichung durch die Rechtsprechung nachzuzeichnen, wodurch der Weg für die Verengung des Handelndenbegriffes einerseits und die Etablierung der persönlichen, unbeschränkten, anteiligen Haftung der Gründungsgesellschafter für Verbindlichkeiten aus dem Vorgesellschaftsstadium (Unterbilanz-, Vorbelastungs- und Verlustdeckungshaftung) geebnet wurde (Wilhelm, Kapitel C, Rn. 377 ff.). Auf diese Weise wird dem Leser nicht nur das geltende, sondern die Entwicklung des Kapitalgesellschaftsrechts dargeboten. Hierdurch kann sich der aufmerksame Leser ein Gesamtverständnis für diese komplexe Materie erarbeiten, um selbständig den Transfer des Rechts – auch – auf neuerliche Lebenssachverhalte präzise gewährleisten zu können. Darüber hinaus besticht das Werk – neben dem eigenständigen Abschnitt zum europäischen Gesellschaftsrecht (Wilhelm, Kapitel B, Rn. 144 ff.) – durch die stete Berücksichtigung des EU-Rechts: So ist das heute geltende (Kapital-)Gesellschaftsrecht durch zahlreiche Sekundärrechtsakte (namentlich: Richtlinien) überlagert, so dass das Verständnis des deutschen Rechts ohne Kenntnisse der unionsrechtlichen Vorgaben kaum in einer tiefgehenden Weise gelingen kann. Dementsprechend trägt es zu einem vertieften Verständnis des geltenden Kapitalgesellschaftsrechts bei, dass Wilhelm einerseits im Rahmen der Darstellung der Entwicklung des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts die jeweils einschlägigen EU-Sekundärrechtsakte vorstellt (z.B. Wilhelm, Kapitel B, Rn. 82, 104 o. 143a) und andererseits bei der Darstellung der einzelnen Elemente des Kapitalgesellschaftsrechts – sofern vorhanden – deren unionsrechtliche Wurzeln illustriert (vgl. beispielsweise im Abschnitt über die Anfechtbarkeit des Beschlusses über die Entlastung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern die mit der CSR-Richtlinie neu eingeführte Pflicht in den §§ 289b ff., 315b ff. HGB zur „nicht finanziellen Erklärung“ [Wilhelm, Kapitel I., Rn. 959a] oder im Kapitel über das Recht der verbundenen Unternehmen den Hinweis auf die geplante Änderung der Aktionärsrechterichtlinie mit dem Ziel der Schaffung eines unionsrechtlichen Konzernrechts [Wilhelm, Kapitel K, Rn. 1290]).

Zusammenfassend kann das Werk daher ohne Einschränkung jedem Studierenden im einschlägigen Schwerpunktbereichsstudium zur Lektüre empfohlen werden. Das Werk kann sowohl zur Erarbeitung von vertieften Kenntnissen im geltenden Kapitalgesellschaftsrecht als auch zum Erfassen der Gesamtzusammenhänge der Entwicklung des deutschen und europäischen Kapitalgesellschaftsrechts – etwa im Vorfeld der Erstellung einer wissenschaftlichen Hausarbeit – studiert werden. Zudem kann das Werk auch von Berufseinsteigern im Gesellschaftsrecht herangezogen werden, um die Entwicklungslinien des Kapitalgesellschaftsrechts nachzuvollziehen, ein Gesamtverständnis für das Kapitalgesellschafts- samt dazugehörigem Kapitalmarktrecht zu entwickeln, folglich diese komplexe Materie auf neuerliche Lebenssachverhalte übertragen und anwenden zu können. Es kann schließlich vom Berufseinsteiger zum Auffrischen des – ggf. nach dem Rechtsreferendariat „eingerosteten“ – Wissens eingesetzt werden.


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