von Heintschel-Heinegg [Hrsg.], StGB, Kommentar, 3. Auflage, C.H. Beck 2018
Von Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Dortmund
Schon zu Beginn: Ich mag diesen Kommentar gerne und auch lieber als andere Konkurrenzwerke aus dem Hause Beck. Großformatig fast wie ein Palandt, mit 199 Euro deutlich teurer etwa als der Standardkommentar von Fischerund auch sicher tatsächlich doppelt so schwer – man könnte es leichter haben auf dem juristischen Buchmarkt. Mir aber gefällt schon das größere Format, das leichter lesbare Druckbild und die etwas ausführlicheren Darstellungen.
Zur Einordnung ist es erforderlich zu wissen, dass das Buch eigentlich nur eine Druckausgabe des Beck-OK zum StGB. Dies bedeutet aber nichts Schlechtes: Der Kommentar wird nämlich stets aktuell gehalten und ständig überarbeitet. Der Vorteil liegt auf der Hand: Das Buch enthält keine Bereiche, die seit Jahren nicht mehr durchforstet wurden. Bei älteren Kommentaren gibt es solche „Ecken“ recht häufig. Und: Es gibt keine Bereiche, die keine Bedeutung (mehr) für die Praxis haben. Dies mag natürlich auch daran liegen, dass das Werk noch nicht so viele Jahre auf dem Buckel hat, wie andere dicke Kommentare.
28 Autoren zeichnen für die Kommentierungen verantwortlich – wenige reine Wissenschaftler, viele Praktiker. Das macht das 3200-Seiten-Werk durchaus im wahrsten Sinne des Wortes relevant.
Wie stets bei der näheren Prüfung eines solch dicken Wälzers kann man als Rezensent nur stichprobenhaft in den Inhalt eintauchen. Drei Stellen habe ich hierzu näher angeschaut.
Zunächst habe ich einen Blick in den AT gewagt, konkret in § 20 StGB („Schuldfähigkeit wegen seelischer Störungen“). Kommentiert hat hier Eschelbach– BGH-Richter. Nach einer ausführlichen Literaturübersicht findet sich ein Überblick über die Kommentierung, wie sie im Buch auch sonst bei allen längeren Kommentierungen richtigerweise angebracht ist. Eschelbach leitet dann (richtigerweise) vorwiegend anhand der BGH-Rechtsprechung durch die Schuldfähigkeitsproblematik, beginnend mit allgemeinen Ausführungen zur Schuldfähigkeit über das so genannte „Biologisch-psychologische Stockwerk“ (in dem es um die maßgeblichen Störungen geht, also etwa Psychosen oder Abhängigkeitserkrankungen) über das „Psychologisch-normative Stockwerk“ (Themen: Unrechtseinsicht, Steuerungsfähigkeit) bis zur Koinzidenz von Tat und Schuld. Die Erläuterungen zu § 20 StGB werden dann abgeschlossen durch das vom Titel her etwas eigenartig bezeichnete Kapitel „Sachverständigenbeweis zur Schuldfähigkeitsfrage“. Hierbei handelt es sich um einen Kommentierungsbereich, der den Blick in die prozessuale Wirklichkeit eröffnet, die vielleicht in anderen Kommentaren unter dem Stichwort „Prozessuales“ abgehandelt worden wäre. Es geht hier etwa um die richterliche Aufklärungspflicht, Beweisantragsrecht, Sachverständigenauswahl, die Form der Gutachtenerstattung, tatrichterliche Darstellungs- und Erörterungspflichten im Urteil und auch das Wiederaufnahmeverfahren.
Sodann bin ich in eine noch recht neue Norm gesprungen: § 114 StGB („Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“). Kommentiert wird diese von Dallmeyer, seines Zeichens Staatsanwalt. Sehr erhellend stellt er dar, dass Hauptmotiv der Einführung der Norm die Absicht des Gesetzgebers war, „Respekt und Wertschätzung“ gegenüber Vollstreckungsbeamten auszudrücken – kein Wunder, dass sich die Praxis mit der Norm schwertut. Natürlich erkennt man auch an der Kommentierungslänge von etwa nur 2,5 Buchseiten, dass dogmatische Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung der Norm noch nicht von der Rechtsprechung ausgemacht/geregelt worden sind. Es deutet sich aber aus der Kommentierung an, dass nicht jede Verwirklichung des § 113 StGB zugleich auch eine solche des § 114 StGB sein wird. Richtigerweise zeigt Dallmeyer auf, dass der Gesetzgeber mit dem Wischiwaschi-Begriff des „tätlichen Angriffs“ die Tathandlung mit „unbefriedigender Ungenauigkeit“ beschreibt. Letztlich werde aber ein Handeln „von einigem Gewicht“ zu fordern sein. Ebenso ratlos zeigt sich der Kommentator bei der Frage der Konkurrenzen. Er vertritt die Position, dass § 114 StGB eine Qualifikation des § 113 StGB sei. Andere Ansichten stellt er aber auch als plausibel dar. Mir gefällt diese Kommentierung sehr gut, lässt sie doch erkennen, dass an dieser Stelle noch Vieles im Fluss ist.
Schließlich habe ich in einen mir sehr vertrauten Normenbereich reingeschaut, nämlich in § 316 StGB („Trunkenheit im Verkehr“). Kudlichhat diese Norm bearbeitet – auf etwa 5,5 Kommentarseiten. Nun bin ich hier als verkehrsrechtlicher Autor zunächst etwas von der mangelnden Ausführlichkeit enttäuscht – im Standardkommentar Fischerfindet sich etwa eine doppelt so lange Kommentierung. Für die tägliche Praxis reicht die Kommentierung aber bei weitem aus. Kudlich konnte nämlich weithin Bezug nehmen auf die Kommentierungen zu § 315c StGB. Damit erübrigten sich ausführliche Darstellungen zum objektiven Tatbestand. Die weiteren Darstellungen zum subjektiven Tatbestand, zu Schuld, Konkurrenzen und drohenden Rechtsfolgen sind dann wieder dem sonstigen Buchumfang halbwegs angemessen.
Was bietet das Buch noch? Inhaltsverzeichnis, Abkürzungsverzeichnis, Literaturverzeichnis. Dazu noch ein Verzeichnis abgekürzt zitierter Literatur – alles sehr gut und übersichtlich gestaltet. Weiterführende Literatur wird dann noch zusätzlich am Anfang der jeweiligen Kommentierungen dargestellt. Hierdurch wird den Lesegewohnheiten anderer Kommentare Rechnung getragen. Natürlich ist auch ein Sachverzeichnis am Ende des Buches vorhanden. Mit 80 gut gepflegten Seiten ist dieses hervorragend für jede Art juristischer Recherche im StGB geeignet – nicht nur als sprichwörtliche „Idiotenwiese“.
Fazit: Tolles Buch, das den Vergleich mit anderen Standardkommentaren nicht zu scheuen braucht!