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Rezension: Beweisrecht der StPO

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Eisenberg, Beweisrecht der StPO, Spezialkommentar, 10. Auflage, C.H. Beck 2017

Von Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Dortmund

  
Ganz klar: „Beweisrecht der StPO“ ist eine Mogelpackung. Aber eine äußerst gut gemachte und lesenswerte. Das Buch gibt nämlich ausweislich des Untertitels vor, ein „Spezialkommentar“ zu sein. Wer das nunmehr in 10. Aufl. erschienene Buch kennt, der weiß jedoch, dass es sich hierbei gerade nicht um einen Kommentar handelt, sondern ein lehrbuchmäßig aufgebautes Buch in Kommentardicke. Da ich selbst in der Vergangenheit noch nie in eine Vorauflage geschaut hatte, war ich hierüber zunächst irritiert. Wenn man dann einmal über den Kommentargedanken hinweggekommen ist und sich auf die Darstellung eingelassen hat, so wird man aber begeistert sein. Auf fast 1300 Seiten hat Eisenberg jegliches Wissen zum Beweisrecht zusammengesucht, das in der Praxis eine Rolle spielen kann.

Dabei ist der Aufbau streng logisch. Zunächst in geht es in einem ersten Teil um allgemeine Fragen wie Beweisgrundsätze, dem Beweisantrag, die Beweisverbote, den Beweis in Wiederaufnahmeverfahren und sogar in den mittlerweile immer wichtiger werdenden Beweistransfer zwischen EU-Staaten. Ein zweiter Teil mit über 200 Seiten widmet sich dann dem Angeklagten. Dritter und vierter Teil betreffen Zeugen und Sachverständige. Der Fünfte Teil ist dem Sachbeweis gewidmet, also dem Urkundsbeweis und dem Augenscheinsbeweis.

Die Aufmachung des Buches und die Textstrukturierung sind sehr angenehm. Es wurde nicht zu dünnes Papier verwendet. Die Textgrößen sind nicht zu klein. Es finden sich Fettungen der wichtigsten Stichworte im Text. Zudem sind manche Textpassagen in kursiv gedruckt oder in kleineren Schriftgrößen als deutlich kenntlich gemachte Einschübe, in denen auf seitab liegende Fragestellungen hingewiesen wird. Der Fußnotenapparat ist gut gepflegt und auf dem aktuellen Stand der Rechtsprechung Mitte 2017.

Nun soll sich die Rezension nicht nur in äußeren Daten/Merkmalen erschöpfen. Wie stets bei solch dicken Büchern empfiehlt es sich, einzelne Passagen, die dem Rezensenten thematisch geläufig sind oder deren Inhalt in der Praxis besondere Relevanz hat, intensiv zu beleuchten.

Zunächst bin ich da auf Seite 54 bei den Kriterien der Beweiswürdigung hängen geblieben. Eisenberg stellt hier dar, wie Beweise zu würdigen sind und welche Anforderungen an das tatrichterliche Urteil zu stellen sind. Er zeigt etwa schön auf, dass auch Verhaltensweisen, auch spontane Reaktionen von Verfahrensbeteiligten (etwa dem Angeklagten oder einer Zeugin) im Urteil wiederzugeben sind, soweit dies für die Vermittlung des Gesamteindrucks der Beweisaufnahme im Urteil notwendig ist. Er stellt auch dar, wie mit ausgeschiedenen Verfahrensteilen umzugehen ist. Natürlich finden sich dann auch Indizienbeweis, der Umgang mit Erfahrungssätzen, gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Prognosen. Die Ausführungen sind gut lesbar und auch für langjährige Praktiker immens interessant. Anfänger dagegen werden sich eher über die anschließenden ausführlichen Darstellungen zu Beweisermittlungsanträgen und bedingten Beweisanträgen und ihre Behandlung freuen (S. 79 ff.).

Als nächstes blieb ich beim Zeugenbeweis hängen. Dabei gefielen und erstaunten mich zugleich die ausführlichen Ausführungen zur Erscheinenspflicht und ihrer Durchsetzung. Derart umfassende Darstellungen findet man tatsächlich nur in Großkommentaren. Selbst zum Text der Ladung wird ausführlich Stellung genommen. Und: Internationaler Bezug findet sich auch.

Aber: Was mir als Problembereich etwas zu kurz in dem Buch kommt, ist die „Aussage-gegen-Aussage-Situation“ man findet hier zwar im Stichwortverzeichnis Hinweise auf vier Buchstellen. Leider nur eine Stelle ist wirklich ergiebig (Rn. 1488), und die mit nicht einmal einer Drittel Seite deutlich zu kurz im Verhältnis zu dem sonstigen Buchtext. In einem Buch zu dem Thema Beweisrecht hätte ich doch auch etwas mehr Grundsätzliches zu der genannten Problematik erwartet, auch wenn natürlich mittelbar alles Relevante hierzu sich aus den Darstellungen zur Einlassung und der Zeugenaussage ergibt.

Erfreulich ist schließlich, dass Eisenberg stets über den konkreten Buchhorizont „StPO“ hinausblickt: Aussagepsychologie, EU-Recht, Spurenuntersuchungen, Sprachvergleich oder auch Besonderheiten des OWiG finden sich etwa im Buch – teils in eigenen Gliederungspunkten, teils an geeigneten Stellen in den Text eingebaut. Damit ist fundierter Wissenserwerb garantiert!

Natürlich sind in der 10. Auflage des Buches alle Verzeichnisse ausführlich und gut gepflegt. 40 Seiten Stichwortverzeichnis etwa zeugen davon. Besonders hilfreich für die Praxis ist dazu dann noch das Gesetzesverzeichnis, das auf fast 30 Seiten aufzeigt, wo in dem Buch sich Ausführungen zu der jeweils gesuchten prozessualen Norm finden. Damit ist das Buch zwar immer noch nicht ein „Spezialkommentar“, aber eine hervorragende Kommentarerweiterung.

Alles in allem also ein tolles Werk, das sich sicher nicht jeder Strafrechtler sofort anschafft, das aber ganz bestimmt in jede Gerichts- und Staatsanwaltschaftsbücherei und in jede ambitionierte Verteidigerkanzlei gehört. Alle Strafrechtler sollten unbedingt einmal reinschauen.

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