Hopfner / Erdmann, Praxishandbuch Arbeitsrecht – Beginn, Durchführung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, VVW 2017
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Das arbeitsrechtliche Normgefüge auch nur in seinen wesentlichen Zügen zu behandeln wird zu einer immer schwierigeren Aufgabe. Umfangreiche Rechtssetzungen auf europäischer Ebene, die u.a. daraus folgende zunehmende Regelungsdichte im nationalen Recht sowie neue Anwendungsbereiche (etwa IT-Arbeitsrecht) lassen den Umfang der „wesentlichen“ arbeitsrechtlichen Gesetze stets weiter steigen. Dennoch wird immer wieder der lobenswerte Versuch unternommen, dies in einem einzigen – regelmäßig 1.500 Seiten überschreitenden – Band zu vollbringen. Dabei kann der Leser mittlerweile aus einer Fülle von Werken wählen, seien es systematische Darstellungen, das gesamte Arbeitsrecht – wahlweise entlang der Normen oder der Stichwörter – behandelnde Kommentare oder Praxishandbücher. Auch das vorliegende Werk verfolgt dem Titel nach den Anspruch, das gesamte Arbeitsrecht abzubilden. Während man aber bei einem „Praxishandbuch“ nun ein gewöhnliches Handbuch erwarten könnte, verspricht das Vorwort einen „Stichwortkommentar“. Mögen die Zielsetzungen von Praxishandbuch und Stichwortkommentar insoweit übereinstimmen, dass sie die Praxis des arbeitsrechtlich tätigen Praktikers erleichtern wollen, so ist dennoch unklar, was das Buch letztendlich beinhaltet. Ungeachtet der Einordnung in ein bestimmtes fachliterarisches Genre, bleibt zu fragen: Was bietet das Werk dem geneigten Leser?
Das von Dr. Sebastian Hopfner und Kay Uwe Erdmann herausgegebene Werk gliedert sich in 29 Kapitel, die jeweils ein eigenes Stichwort behandeln. Einem Stichwortkommentar entsprechend werden viele arbeitsrechtlich relevanten Stichworte behandelt, von A wie Abmahnung, Altersteilzeit und Antidiskriminierungsrecht, über B wie Befristungsrecht oder Betriebliche Altersversorgung bis hin zu U wie Urlaubsrecht und V wie Vergütung. Die jeweiligen Stichworte werden von Autoren aus Wissenschaft und Praxis bearbeitet, von denen ein Großteil im Umfeld der Versicherungswirtschaft – vor allem beim Arbeitgeberverband der Versicherungsunternehmen – tätig ist.
Der Aufbau der jeweiligen Kapitel sei exemplarisch am von Kockbearbeiteten Stichwort „Antidiskriminierungsrecht“veranschaulicht. Dem Kapitel ist zunächst ein eigenes Inhaltsverzeichnis vorangestellt, was ungeachtet des Kapitelumfangs sachdienlich ist und dem Leser die Auffindbarkeit der jeweiligen Stelle innerhalb des Stichwortkapitels erleichtert. Im Anschluss folgen die Ausführungen, die im Werk regelmäßig in die Abschnitte Individualarbeitsrecht, Mitbestimmung des Betriebsrats, Tarifrechtlichen Einflüsse, Häufig gestellten Fragen (FAQ) sowie Mustern – Arbeitshilfen untergliedert sind.
Im Rahmen der Ausführungen zum Individualarbeitsrecht erläutert Kock zunächst das Diskriminierungsverbot (Rn. 1), klärt mithin grundlegende Fragen, wie die Definitionen der Diskriminierungsmerkmale (Rn. 2 ff.) oder die geschützten und verpflichteten Personen (Rn. 19 ff.), bevor er sich sodann den verschiedenen Benachteiligungsformen zuwendet und diese anschaulich erläutert (Rn. 31 ff.). Sodann begibt sich Kock auf das wichtige Feld der – ausnahmsweise – zulässigen Ungleichbehandlungen (Rn. 60 ff.). So ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters nach § 10 AGG dann zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen zudem angemessen und erforderlich sein. Aufgrund der umfangreichen Einzelfallkasuistik des EuGH zur zugrundeliegenden Richtlinie 2000/78/EG ist es allerdings ein nahezu unmögliches Unterfangen, auf unter einer Seite darzustellen, welche Ziele nun „legitim“i.S.d. Vorschrift sind. Die Darstellung kann insofern nur als grobe Zusammenstellung dienen, ohne auf die Einzelheiten Rücksicht zu nehmen. So hat der EuGH zwar den Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur in der Belegschaft tatsächlich als legitimes Ziel anerkannt (so Kock in Rn. 81), dies jedoch lediglich dann, wenn die Ziele „den Interessen aller betroffenen Beamten Rechnung tragen, um einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst (…) zu gewährleisten“ (EuGH, C-159/10, C-160/10, Rn. 53 – Fuchs und Köhler). Die anschließende Auseinandersetzung mit dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit (§ 10 S. 2 AGG) erschöpft sich sodann in der Wiedergabe von Allgemeinplätzen (Rn. 82) und lässt den Leser mit den unklaren Maßstäben des EuGH ohne Richtschnur allein – schade.
Gut gefällt hingegen, dass Kock die Darlegungs- und Beweislast sehr ausführlich behandelt (Rn. 127 ff.). Diese werden zudem anhand vieler Beispiele veranschaulicht. Dieser Abschnitt ist ein echter Gewinn, wenngleich nicht ausbleibt, dass sich die verschiedenen bereits behandelten Problemlagen – Benachteiligungsform, Diskriminierungsmerkmal oder zulässige Ungleichbehandlung – hier erneut wiederfinden. Wichtig für Arbeitgeber sind zudem die dargelegten Organisationspflichten (Rn. 158 ff.), etwa im Rahmen der diskriminierungsfreien Stellenausschreibung. So stellt Kock die Grundzüge der hierzu ergangenen Rechtsprechung dar, etwa zum Zusatz „(m/w)“in Stellenausschreibungen, zu den Begriffen „Hochschulabsolvent“, „Berufsanfänger“ oder „Young Professional“. Ein Muster einer korrekten Stellenausschreibung wäre hier schön gewesen – überhaupt: ein Abschnitt zu Mustern fehlt im Kapitel zum Antidiskriminierungsrecht gänzlich. Dies macht sich auch im Abschnitt zur Mitbestimmung des Betriebsrats im Bereich des Antidiskriminierungsrechts bemerkbar (Rn. 176 ff.), der über Allgemeines nicht hinausgeht. Kock erwähnt zwar, dass die Einführung von Antidiskriminierungsregeln im Betrieb mitbestimmungspflichtig sein kann. Ein Vorschlag für eine mögliche Kollektivvereinbarung unterbleibt aber ebenso wie Musterformulierungen zur Festlegung von Personalfragebögen (§ 94 BetrVG) oder Auswahlrichtlinien (§ 95 BetrVG), in deren Rahmen dem AGG eine gewichtige Bedeutung zukommt.
Dass der Autor der kollektivrechtlichen Seite – inklusive der tarifrechtlichen Einflüsse – auf diese Weise insgesamt nur knapp drei Seiten widmet, bringt einige Ernüchterung mit sich, hatte der Rezensent sich doch vom stichwortartigen Aufbau des Werks gerade eine individual- und kollektivarbeitsrechtliche Facetten umfassende Bearbeitung gewünscht. Selbstverständlich fallen die kollektivarbeitsrechtlichen Fragen beim Antidiskriminierungsrecht nicht derart ins Gewicht, wie etwa im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes. Dennoch besteht insoweit Nachholbedarf.
Im Großen und Ganzen bietet die erste Auflage dieses Werkes einen guten Ausgangspunkt für die Entwicklung hin zu einem umfassenden Stichwortkommentar mit innovativen Elementen. Allerdings scheint sich das Werk teilweise noch in einem recht frühen Entwicklungsstadium zu befinden. So ist etwa die Stichwortliste, wie die Herausgeber selbst im Vorwort einräumen, längst nicht so umfangreich, wie sie sein müsste, um die wesentlichen Gebiete des arbeitsrechtlich tätigen Praktikers abzudecken. Sehr gelungen und insofern wohl ein Alleinstellungsmerkmal des Buches sind die „Häufig gestellten Fragen (FAQ)“ am Ende eines jeden Kapitels, welche aber vom Umfang her oftmals überaus knappgehalten sind. Diese durchaus innovative Darstellungsweise hat jedenfalls großes Potential, da konkrete Fragen auf diesem Weg praxisdienlichen Antworten unmittelbar zugeführt werden können. Neben dem Ausbau der Stichworte sollte hier der Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung des Werks gesetzt werden. Positiv hervorzuheben sind indes bereits jetzt die vielen Beispiele sowie das übersichtliche Schriftbild.
Wer sollte das Buch in diesem frühen Stadium trotzdem erwerben? Die Zusammensetzung des Autorenkreises führt zu einer besonderen Ausrichtung auf Arbeitsrechtler, die in der Versicherungswirtschaft tätig sind. Insofern werden die tarifrechtlichen Einflüsse im Rahmen der Stichworte stets anhand der Tarifverträge in der Versicherungswirtschaft behandelt. Dies ist für den in diesem Bereich tätigen Praktiker sicher von großem Vorteil. Zudem ist das Werk im Wesentlichen auf die Belange von Praktikern auf Arbeitgeberseite ausgerichtet. Betriebsräten oder Rechtsanwälten werden die Muster und Hinweise dagegen nur begrenzt weiterhelfen.