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Rezension: Staatsrecht der internationalen Beziehungen

Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen, 1. Auflage, C.H. Beck 2017

Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen



„Der Staat besteht notwendig zu anderen Staaten hinüber.“ (S. V) Mit diesen Worten beginnt das nunmehr in 1. Auflage im Beck-Verlag erschienene Lehrbuch von Prof. Dr. Frank Schorkopf, Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Göttingen. Das Zusammenwirken von Staaten, ihre Interaktion ist ein Teil des Rechts, der nicht selten unterschätzt wird, aber dennoch einigen Einfluss auf die nationale Rechtsordnung hat. Für die europäische Integration ist dies mittlerweile hinlänglich bekannt, hinsichtlich anderer internationaler Kooperationen ist dies nur ausschnittweise der Fall.  Studierenden ist das Gebiet indes oftmals fremd: Abgesehen von denjenigen, die sich etwa im Rahmen eines Schwerpunktbereichs eingehend dem Völker- oder Europarecht widmen, gehört dieser Teil des Rechts für die meisten wohl nicht zu den wesentlichen Inhalten, die sie während des Studiums erlernen. Dabei kommt dem Staatsrecht der Internationalen Beziehungen, im Englischen regelmäßig als External bzw. Foreign Relations Law bezeichnet, aufgrund wachsender internationaler Verflechtungen ein stetig wachsendes Gewicht zu. Es lohnt sich mithin, sich mit diesem Gebiet auseinanderzusetzen, sich ihm zu nähern. Das vorliegende Werk – dies sei bereits an dieser Stelle vorweggenommen – ist als Lektüre in dieser Hinsicht absolut geeignet, da es nicht nur ein Lehrbuch ist, sondern zugleich eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Thematik beinhaltet.

Das Werk ist in zehn Kapitel unterteilt. Zunächst beschäftigt sich Schorkopf– der Struktur vieler Lehrbücher folgend – mit den Rechtsquellen (§ 1). Dabei geht er unter Verwendung des Begriffs der „Rechtsquellenarchitektur“ davon aus, dass ein „normatives Dreieck der Rechtsordnungen aus staatlichem Recht, Völkerrecht und Unionsrecht“ bestehe (§ 1, Rn. 1). Er untersucht das Verhältnis der Rechtsordnungen zueinander und geht auf mögliche Konfliktlösungen ein. Sodann widmet sich der Verfasser den verschiedenen Kompetenzbereichen (§ 2) sowie der „Einbeziehung überstaatlichen Rechts“ in die nationale Rechtsordnung (§ 3). Dabei werden etwa Fragen nach dem Rang völkerrechtlicher Verträge im bundesrepublikanischen Normengefüge (§ 3, Rn. 131 ff.) sowie das Verhältnis von EMRK und Grundgesetz systematisch behandelt (§ 3, Rn. 163 ff.). Weitere Kapitel setzen sich mit dem Bund-Länder-Verhältnis (§ 4), der „Willensbildung im parlamentarischen Regierungssystem“ (§ 5) sowie Fragen der äußeren Sicherheit (§ 6) auseinander. Im siebten Kapitel widmet sich Schorkopfder „Verantwortlichkeit“ (§ 7), worunter vor allem Fragen der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit von Staaten, der Staatshaftung sowie der strafrechtlichen Verantwortung subsumiert werden. Gegenstände weiterer Kapitel bilden der Grund- und Menschenrechtsschutz (§ 8) sowie die aus Sicht des Verfassers bestehenden „Hauptprobleme“ (§ 9). Zu guter Letzt – gewissermaßen als „Bonus-Material“– beinhaltet das Werk ein Kapitel zur „Wissenschaftsgeschichte“ (§ 10). Mit diesem Titel bezeichnet der Verfasser sein Vorhaben, einen wissenschaftsgeschichtlichen, historischen Zugang zum Staatsrecht der internationalen Beziehungen zu eröffnen. Darin zeigt sich auch ein Hauptanliegen Schorkopfs, der das Verständnis des Staatsrechts aus der historischen Entwicklung heraus befördern will. Denn: „Das kontextlose Memorieren der Dogmatik ist zwar ohne Zweifel möglich, macht das verstehende Durchdringen einer Rechtsfrage aber unwahrscheinlich.“ (S. VII) In diesem Sinne ist auch der positiv hervorzuhebende Versuch des Verfassers zu verstehen, wenn möglich parlamentarische Drucksachen und amtliche Dokumente heranzuziehen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um die künftige Strategie der Europäischen Union soll vorliegend auf den Begriff der „Subsidiarität“ näher eingegangen werden, der leider viel zu oft zum Schlagwort verkommt. Gerade im Verhältnis zwischen den verschiedenen Rechtsordnungen, etwa der nationalen und der unionsrechtlichen, wird oftmals auf das nach ihm benannte Prinzip rekurriert, seine Einhaltung und strikte Kontrolle geradezu gefordert. Obgleich allgemein eine ungefähre Vorstellung vom allgemeinen Inhalt des Prinzips besteht, ist seine praktische Umsetzung doch stets umstritten und unbestimmt. Schorkopf behandelt die europarechtliche Subsidiaritätskontrolle im Zusammenhang mit den aus Art. 23 GG folgenden Befugnissen von Bundestag und Bundesrat im Hinblick auf die europäische Integration (§ 5, Rn. 119 ff.). Dies ist insoweit treffend, da die nationalen Parlamente zu „Akteuren im Rechtssetzungsverfahren der Union“ avanciert sind (§ 3, Rn. 216), wo sie nunmehr die Rolle von „Hütern des Subsidiaritätsprinzips“ einnehmen. Das Verfahren der Subsidiaritätsrüge wird vom Verfasser eingehend und verständlich dargestellt, wobei stets der Bezug zur Bundesrepublik hergestellt wird. Diese Einordnung des Verfahrens in den nationalen Rahmen – teilweise auch durch Beispiele veranschaulicht (§ 5, Rn. 136) – ist dem Verständnis sehr zuträglich und erfreulicherweise an vielen Stellen im Werk anzutreffen. Im Rahmen des Rügeverfahrens können die nationalen Parlamente nach Art. 6 des Subsidiaritätsprotokolls binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Entwurfs eines Gesetzgebungsakts in einer begründeten Stellungnahme darlegen, weshalb der Entwurf ihres Erachtens nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist. Ein in der Praxis bestehendes fundamentales Problem stellt dabei das starre Fristenregime dar. Die de lege lata bestehende Frist von lediglich acht Wochen, die nach richtiger Auffassung viel zu knapp und de lege ferenda auf mindestens zwölf Wochen verlängert werden sollte, stellt die nationalen Parlamente vor zweierlei Herausforderungen: Erstens ist die (zeitintensive) Vernetzung der nationalen Parlamente aufgrund bestehender Quoren zwingend erforderlich, um das Instrument der Subsidiaritätsrüge erfolgreich einsetzen zu können (§ 5, Rn. 124). Zweitens müssen aber die mitgliedsstaatlichen Parlamente auch über die entsprechenden Ressourcen verfügen, um in angemessener Zeit die seitens der Kommission übersandten Gesetzgebungsvorschläge analysieren und ggf. eine begründete Stellungnahme abgeben zu können. Mag dies für die deutschen Parlamente auch nicht unmittelbar von Belang sein, so senkt es jedenfalls mittelbar auch die Chancen für von Bundestag bzw. Bundesrat verfolgte Subsidiaritätsrügen, da die Erfüllung der Quoren erschwert wird. Zwar erkennt auch Schorkopf diese Problematik, wenn er von einem „erheblichen Zeitdruck“ausgeht, „der sich auf Länderebene noch einmal erhöh[e]“ (§ 4, Rn. 96). Auf eine nähere Auseinandersetzung wird dennoch verzichtet, vielmehr lapidar festgestellt: „Die für parlamentarische Willensbildung knapp bemessene Acht-Wochen-Frist kann eingehalten werden.“ (§ 5, Rn. 124). Das Verhältnis von Subsidiaritäts- und Kompetenzkontrolle ist dagegen systematisch und gut verständlich herausgearbeitet (§ 5, Rn. 134 ff.). So wird vieldiskutiert, ob der Begriff der Subsidiarität auch die Kompetenzregelung an sich mit umfasst. Wäre dies nicht der Fall, könnte ein nationales Parlament nur dann eine Subsidiaritätsrüge erheben, wenn es zunächst die Kompetenz der EU für einen Gesetzgebungsvorschlag überhaupt anerkennen würde. Da aber damit die Kompetenzgrundlage notwendige Vorfrage für die Prüfung des Subsidiaritätsprinzips ist (§ 5, Rn. 135), ist dem Sinn und Zweck der Subsidiaritätskontrolle folgend auch eine fehlende Kompetenzgrundlage im Rahmen des Rügeverfahrens geltend zu machen.

Im Anhang des Werks hat Schorkopf noch einige wichtige Dokumente zusammengestellt, so etwa das sog. „Lindauer Abkommen“ (S. 661) oder das sog. „Kramer/Heubl-Papier“ (S. 662), was insbesondere Studierende erfreuen und ihnen einen einfachen Zugriff auf diese Dokumente eröffnen dürfte. Der Nutzen des Werks wird zudem gesteigert durch den Fett-Druck von Schlagwörtern sowie ein Entscheidungsregister, ein kurzes Personenregister sowie ein knappes, dennoch alles Wesentliche enthaltende Sachverzeichnis. Allein ein einheitliches Literaturverzeichnis sei für Folgeauflagen angeraten, da es doch recht mühselig ist, die Literaturangaben stets am Abschnittsende und nicht an einem einheitlichen Ort vorzufinden.

Das Werk ist ein absolutes Grundlagenwerk, dessen Lektüre jedem Interessierten sehr zu empfehlen ist. Gerade die Verknüpfung von Studienorientierung und wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist es, die das Werk so lesenswert macht und zu einigem Erkenntnisgewinn führt. Sicherlich kann bei einer derartigen Bandbreite von Themenkomplexen nicht jede Frage bis ins Detail geklärt werden. Dies ist aber auch gar nicht die Absicht des Werks. Wer das Werk in der Hand hatte, mit ihm gearbeitet hat, wird schnell erkennen, warum es in die Verlagsreihe „Das große Lehrbuch“ eingeordnet wurde.

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