Kamanabrou, Arbeitsrecht, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2017
Von Ass. iur. Fabian Bünnemann, LL.M., Essen
Mit der Reihe „Lehrbuch des Privatrechts“ hat sich der Verlag Mohr Siebeck vorgenommen, „das deutsche Privatrecht in seinen heutigen Dimensionen umfassend, gründlich und mit didaktischem Anspruch vorzustellen“. In diese Reihe fügt sich als nunmehr siebtes Werk das von Sudabeh Kamanabrou verfasste Werk „Arbeitsrecht“hervorragend ein. Kamanabrou ist Professorin für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Arbeitsrecht, Wirtschaftsrecht und Methodenlehre an der Universität Bielefeld. Zudem ist sie Mitdirektorin des dortigen Instituts für Arbeit und sozialen Schutz. Das Werk – so kann bereits vorweggenommen werden – überzeugt, trotz seines Umfangs von knapp über 1000 Seiten – durch eine hohe Übersichtlich- und Leserfreundlichkeit. Hierzu gehört vor allem die sehr lobenswerte durchgehende Randnummernvergabe, die stets eine genaue Zitation entsprechender Abschnitte ermöglicht.
Das Werk ist in sechs Teile gegliedert. Zunächst werden die Grundlagen des Arbeitsrechts erläutert, etwa Aufgaben, Struktur und Entwicklungsgeschichte (1. Teil, Rn. 1 ff.). Anschließend wird das Arbeitsrecht der EU erläutert, ohne dessen grundlegendes Verständnis auch die deutschen, nationalstaatlichen Regelungen oftmals nicht mehr verständlich sind (2. Teil, Rn. 494 ff.). Der dritte Teil widmet sich dem Individualarbeitsrecht, von der Begründung des Arbeitsverhältnisses über die gegenseitigen Pflichten bis zum Kündigungsschutzrecht und den individualrechtlichen Aspekten des Betriebsübergangs (Rn. 708 ff.). Das kollektive Arbeitsrecht, das in Lehrbüchern oftmals nicht allzu ausführlich behandelt wird, stellt – neben dem zuvor genannten Individualarbeitsrecht – den großen Schwerpunkt des Lehrbuchs dar und umfasst etwa Ausführungen zum Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht (4. Teil, Rn. 1651 ff.). Schließlich widmet sich die Autorin in zwei kleineren Teilen noch dem arbeitsgerichtlichen Verfahren (Rn. 2957 ff.) sowie dem Arbeitsschutz (Rn. 3062 ff.).
Die Ausführungen von Kamanabrou, die zuletzt im vergangenen Jahr ein Werk zur „Rechtsangleichung im Recht der Kettenbefristung in der EU“ herausgegeben hat, zum europäischen Arbeitsrecht sind recht knappgehalten, beinhalten gleichwohl alles Wesentliche. So wird etwa die Arbeitnehmerfreizügigkeit in den Grundzügen prägnant dargestellt (Rn. 508 ff.). Die Autorin unterscheidet diesbezüglich drei Elemente: Erstens den Zugang zum Arbeitsmarkt (Art. 45 Abs. 3 AEUV); zweitens das Diskriminierungsverbot nach Art. 45 Abs. 2 AEUV; schließlich drittens das vom EuGH entwickelte Beschränkungsverbot, wonach Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen, das Freizügigkeitsrecht des Arbeitnehmers beeinträchtigen, und zwar selbst dann, wenn sie nicht an die Staatsangehörigkeit der Arbeitnehmer anknüpfen (C-415/93 – Bosman, Rn. 96). Diese Unterscheidungen, die das Werk vielfach enthält, sind dem Verständnis stets zuträglich, da sie zu besserer Übersicht und Einordnung führen.
Die Herausarbeitung des wesentlichen Inhalts der verschiedenen europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien (Rn. 554 ff.) ist dagegen dem Verständnis des Antidiskriminierungsrechts nicht unbedingt zuträglich. Gerade bei bislang nicht mit den Richtlinien vertrauten Lesern dürfte die innerhalb eines Kapitels, mithin parallel erfolgende Behandlung der Richtlinien nicht gerade das Verständnis fördern. Wenngleich der Teil zum Europäischen Arbeitsrecht einen guten Überblick bietet, so trennt es leider auch zusammengehörende Abschnitte künstlich auf. So wird der Inhalt der Antidiskriminierungsrichtlinien in den Rn. 554 ff. behandelt, die Diskriminierungsverbote des AGG dagegen in den Rn. 939 ff. Kamanabrou hat dieses Problem erkannt und versucht diesem durch eine sehr knappe Darstellung des unionsrechtlichen Teils sowie einige Verweise entgegenzuwirken, was allerdings nicht immer gelingt.
Ein Kapitel, das Studierende und Referendare keinesfalls „überblättern“ sollten, ist jenes zur „Haftung im Arbeitsverhältnis“ (Rn. 1161 ff.). Dabei handelt es sich wohl um eine der wenigen arbeitsrechtlichen Problemstellungen, die sich einer anhaltenden Beliebtheit in juristischen Examensklausuren erfreuen. Nach einer Einteilung der Haftungsfälle in verschiedene Gruppen widmet sich Kamanabrouzunächst der Haftung des Arbeitnehmers für Sachschäden des Arbeitgebers. Der Herausarbeitung der Anspruchsgrundlagen (§ 280 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 1 BGB) folgt die historische Entwicklung und Begründung der Haftungsbeschränkung. Sodann werden ausführlich die dogmatische Grundlage der Haftungsbeschränkung (§ 254 BGB analog) sowie ihre Voraussetzungen dargelegt. Schließlich werden die Verschuldensgrade sowie einige Einzelprobleme erläutert und veranschaulicht. Mithin: Ein rundum gelungenes Kapitel.
Das Lehrbuch ist kein reines Sammelsurium von arbeitsrechtlichem Wissen. Vielmehr ist es Kamanabrou geglückt, das nationale Arbeitsrecht sowie seine unionsrechtlichen Bezüge umfassend zu systematisieren und anschaulich darzustellen. Das Werk zeichnet sich auch durch seine vielen Zusatzleistungen aus, die es dem Leser bietet. So schafft es Kamanabrou, durch ihre beinahe regelmäßige Abfolge von rechtlicher Darstellung und (Praxis-)Beispiel dem Leser ein sehr anschauliches Bild des Arbeitsrechts zu vermitteln. Dabei werden die in den Beispielsfällen aufgeworfenen Fragen auch stets umgehend gelöst (vgl. etwa Rn. 567; 976 ff.; 981). Des Weiteren freuen den Leser Hinweise hinsichtlich des Prüfungsaufbaus, so etwa, wenn bei den Rechtfertigungsgründen der §§ 8-10 AGG darauf hingewiesen wird, dass diese – aufgrund der Konstruktion des § 3 Abs. 2 AGG – praktisch nur bei Vorliegen einer unmittelbaren Benachteiligung eine Relevanz entfalten (Rn. 980).
Das Werk, in seiner Eigenschaft als Lehrbuch, richtet sich an Studierende, insbesondere solche in einschlägigen arbeitsrechtlichen Schwerpunktbereichen. Diese dürften das Buch mit großen Gewinn lesen bzw. zur Nachbereitung von Lehrveranstaltungen verwenden können. So werden einerseits oftmals – mitunter gar in den Examensklausuren noch – abgeprüfte Themenbereiche, etwa die Beendigung von Arbeitsverhältnissen oder die Haftung im Arbeitsverhältnis, mit der gebotenen Gründlichkeit behandelt. Andererseits ist die Behandlung des kollektiven Arbeitsrechts besonders hervorzuheben, da dieses Gebiet oftmals in der juristischen Ausbildung nicht den ihm eigentlich gebührenden Raum einzunehmen vermag. Zudem führt die systematische Aufbereitung der einschlägigen arbeitsrechtlichen Komplexe dazu, dass das Werk auch Wissenschaftlern und Praktikern empfohlen werden kann, etwa als Nachschlagewerk oder als erster Einstieg in bestimmte arbeitsrechtliche Problemfelder.
Nach alldem ist zu resümieren: Mag der Preis von 129,- Euro auch etwas hoch angesetzt sein; der Rezensent hätte sich jedenfalls gewünscht, dass ihm dieses Lehrbuch schon als Studienliteratur zur Verfügung gestanden hätte.