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Rezension Öffentliches Recht: SGG

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Hintz / Lowe, SGG – Sozialgerichtsgesetz, 1. Auflage, Vahlen 2012

Von RA und Mediator Denis Skaric-Karstens, Mag. rer. publ., Mainz


Wird das Verfahrensrecht oftmals und zu Recht als „geronnenes Verfassungsrecht“ bezeichnet, da es die Grundprinzipien der Verfassung durch die einzelnen Verfahrensregeln verwirklicht und auf den Einzelfall anwendbar macht, so trifft das Verfahrensrecht in sozialgerichtlichen Angelegenheiten die Last, diesen Grundprinzipien in ganz besonders existenzsichernder Weise zum Ausdruck zu verhelfen, handelt es sich doch bei der Durchsetzung sozialrechtlicher Ansprüche, sei es im Bereich des SGB II oder XII, sei es im Bereich des Behindertenrechts oder im Bereich der anderen Sozialversicherungszweige um die Herstellung eines nicht zu unterschreitenden Minimums an Würde und Teilhabe.

Dieses Werk erscheint als Neuling in erster Auflage, um sich dieser wichtigen Materie zu widmen, und zwar aus einer für die Autoren (beide Richter) zunächst als begrüßenswert anmutenden Perspektive, zitieren Sie doch schon als Programmvorschau in Ihrem Vorwort das BVerfG, welches in anderem Zusammenhang jüngst gemahnt hatte, kein Richter dürfe sich dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen und seine eigenen Vorstellungen an die Stelle des Gesetzgebers setzen. So weit so gut. Entsprechend dieser Zielsetzung wird dann bereits bei der Kommentierung des § 1 SGG in diesem Sinne harsche Kritik an der Rechtsprechung des BSG geübt, welchem konkret Gesetzesungehorsam durch leistungsausweitende Rechtsprechung entgegen der Verfassung vorgeworfen wird. Insbesondere, wer dieses Werk als Vertreter der versicherten Anspruchsteller zur Hand nimmt, sollte daher bei der Lektüre auf diese Grundweichenstellung gefasst sein. Nichtsdestotrotz ist das Werk auch für diese Zielgruppe zu empfehlen, behält man die Grundrichtung im Hinterkopf.

Denn die Kommentierung der verfahrensrechtlichen Normen erfolgt sehr fundiert unter Hinzuziehung aktuellster Rechtsprechung und Literatur, welche in den laufenden Text in Klammern einbezogen sind und erfrischend streitbar und kritisch. Der Stoff ist durch Randnummern gegliedert, wichtige Stichworte erscheinen im Fettdruck. Die Auffindbarkeit von Problemfeldern gelingt auch aufgrund des detaillierten Stichwortverzeichnisses mit oft zahlreichen Untergliederungen sehr gut. Der Kommentar tritt an als Praktikerkommentar, so dass er insbesondere fokussiert ist auf zahlreiche Rechtsprechungsnachweise. Auch die Rechtsanwaltschaft kommt hier nicht zu kurz – erwähnt sei hier beispielhaft die sehr gute Darstellung der Regelung zur Prozesskostenhilfe (§ 73a SGG). Oft wird der Blick über den Tellerrand des Sozialrechts in die angrenzenden bzw. verwandten Gerichtsordnungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und der Finanzgerichtsbarkeit gewagt, um Parallelen und praktikable und praktizierte Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen, beispielsweise die ausführlichen Ausführungen zu § 113 VwGO in der Kommentierung zu § 131 SGG oder die Ausführungen zu § 47 VwGO in der Kommentierung des § 55a SGG.

Alles in Allem ein guter Kommentar, mit dem es Spaß macht, zu arbeiten. Allenfalls sind leise Zweifel im Hinblick auf das Preis-Leistungs-Verhältnis angebracht. Der bei derselben Verlagsgruppe (Beck) erschienene „Mayer-Ladewig“ kostet nur wenige Euro mehr bei zusätzlichen ca. 600 Seiten bewährter Kommentarliteratur. Wer also eine sinnvolle Ergänzung zu seinem angestammten Kommentar haben möchte oder wer einen erfrischend neuen Praktikerkommentar haben möchte, sollte hier zugreifen. Die Kommentierung des SGG überzeugt als reiner Praktikerkommentar und entfaltet als streitbare und engagierte Ergänzung zur bestehenden Literatur seinen besonderen Reiz.

Die Autoren: Dr. Manfred Hintz, Richter am LSG Berlin-Brandenburg, Potsdam; Sabine Lowe, Richterin am LSG Berlin-Brandenburg, Potsdam.

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