Kirchhof (Hrsg.), Das Bundessteuergesetzbuch in der Diskussion, 1. Auflage, C. H. Beck / Nomos 2013
Von ORR Dr. Ulrich Pflaum, München
Auf rund 220 Seiten widmet sich das von Nomos gemeinsam mit C. H. Beck verlegte Werk einem der meistbeachteten Steuerreformvorschläge der letzten Jahre. Eine Einführung (S. 9-25) stellt in verdichteter Form die Grundgedanken des Entwurfs dar, gefolgt vom Hauptteil, der den Wortlaut der vor Weihnachten 2012 in Heidelberg abgehaltenen Podiumsdiskussionen zu vier Themenschwerpunkten wiedergibt (S. 26-121), vor allem aber auch den Wortlaut der Entwürfe des Bundessteuergesetzbuchs (BStGB-E, S. 123-170) und der Bundessteuerverordnung (S. 171-208) enthält. Im Anhang finden sich ein Stichwortverzeichnis (S. 209-216) und ein Verzeichnis der Diskussionsteilnehmer (S. 217), zu denen Vertreter der Rechtsprechung, der Steuerverwaltung, der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Steuerlehre und der rechts- und steuerberatenden Berufe gehören.
Die Einführung legt in klarer Analyse die systematischen Schwächen dar, die zu Intransparenz, Gestaltungsanfälligkeit und nach Kirchhofs Auffassung insbesondere mangelnde Akzeptanz des geltenden Steuerrechts führen, namentlich die historische begründete Verbindung vergleichsweise hoher nominaler Steuersätze mit durch zahlreiche Ausnahmen geschmälerten Bemessungsgrundlagen und den Einsatz des Steuerrechts zu Lenkungszwecken. Sie stellt dem die Steuervereinfachung als zentrales Anliegen des Entwurfs gegenüber, sowohl durch Beschränkung auf lediglich vier Steuerarten (Einkommensteuer einschließlich kommunaler Zuschlagsteuer, Umsatzsteuer, Erbschaftsteuer und Verbrauchsteuer) als auch durch deren stringente Ausgestaltung. Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob der „Bürgerstolz“ (S. 20) etwa eines mittelständischen Unternehmers so weit gehen würde, sich von einer dezidiert wirtschaftskritischen Regierung öffentlich für seine Steuerzahlung belobigen zu lassen, oder ob nicht allein das Ansinnen als Zumutung empfunden würde.
Die Reformvorschläge für das Einkommensteuerrecht (Buch 2 des Bundessteuergesetzbuchs) greifen wesentliche Inhalte des bereits vor mehreren Jahren vorgelegten Entwurfs eines Einkommensteuergesetzbuchs wieder auf, so die Aufgabe der bisherigen Unterscheidung nach Einkunftsarten, die rechtsformneutrale Unternehmensbesteuerung durch Einführung der „steuerjuristischen Person“ mit Optionsmöglichkeit für transparente oder intransparente Besteuerung und einen proportionalen Einkommensteuersatz. Das Buch 2 ist Gegenstand der ersten Podiumsdiskussion, in der Vorbehalte gegen die Annahme lediglich einer einzigen Einkunftsart auch mit Blick auf das internationale Steuerrecht entkräftet werden (S. 26 ff.). Auch das Konzept der steuerjuristischen Person wird überwiegend positiv aufgenommen (S. 38 ff.), gut begründet erscheint allerdings der Einwand, dass auf diese Weise die „Sollbruchstelle“ lediglich verschoben werde (S. 41 f., 52). Offen bleibt auch die naheliegende Frage, ob nicht die Unterschiede in Haftungs- und Leitungsstruktur der einzelnen Unternehmensformen auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine wesentliche Ungleichheit begründen, die der Rechtsformneutralität von vornherein Grenzen setzt.
Durchweg Zustimmung erfahren in der zweiten Diskussionsrunde die Ideen zum Umsatzsteuerrecht (Buch 3). Dies betrifft vor allem die Steuerbefreiung von Umsätzen zwischen Unternehmern und den Übergang zur Istbesteuerung. Es wird Einigkeit erzielt, dass eine Steuerbefreiung zwischenunternehmerischer Leistungen angesichts der Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologie nicht länger wegen fehlender Kontrollmöglichkeiten abgelehnt werden kann (S. 55 ff., 72), und der Übergang zur Istbesteuerung ein taugliches Mittel ist, Schädigungen des Umsatzsteueraufkommens durch Karussell- und ähnliche Geschäfte und aufgrund von Insolvenzen zu reduzieren (S. 57, 63 ff.). Auch der Ansatz, durch eine Steuerbefreiung für Leistungen an die öffentliche Hand den derzeitigen faktischen Finanzausgleich abzuschaffen, der dadurch eintritt, dass Steuergläubiger zugleich – mit anderen Quoten – Steuerträger sind (S. 65) wird positiv gewürdigt.
Dritter Schwerpunkt ist die Erbschaftsteuer (Buch 4). Wichtiges Thema ist hier die im Entwurf vorgesehene Möglichkeit zur steuerfreien Vermögensübergabe unter Eheleuten ein, entsprechend dem Wesen der Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft und in Anlehnung an das Vorbild anderer Länder (S. 74 ff.). Mit Recht hinterfragt wird die vermeintlich substanzzerstörende bzw. existenzgefährdende Wirkung der Erbschaftsteuer (S. 79 ff.). Auf breite Zustimmung stößt die Absicht, entsprechend der allgemeinen Linie des Entwurfs durch Verbreiterung der Bemessungsgrundlage bei niedrigeren Tarifen die Belastung für viele Steuerpflichtige zu senken, gleichwohl das Steueraufkommen insgesamt zu sichern (S. 83 ff.). Die Forderung nach einer Abschaffung der Erbschaftsteuer wird nur vereinzelt erhoben (S. 93 ff.).
Die abschließende Erörterung des Allgemeinen Teils (Buch 1) befasst sich sowohl mit steuerschuld- als auch verfahrensrechtlichen Themen. Steuerschuldrechtlich steht dabei neben der Abgrenzung der Steuerarten, insbesondere der Erbschafts- von der Einkommensteuer, die „Belastungsobergrenze“ bei Kumulation von Steuerarten im Vordergrund, für die sich der Entwurf in der Sache wieder dem Halbteilungsgrundsatz annähert. Die im Entwurf vorgesehene Kappung der Gesamtsteuerbelastung scheint auf den ersten Blick nicht vollziehbar (S. 102), die Problematik lässt sich aber bei näherer Betrachtung sachgerecht lösen (S. 118 f.). Die verfahrensrechtliche Diskussion ist mit den Rechtsquellen im Steuerrecht, vor allem den Nichtanwendungserlassen (S. 108 ff.) und der Frage der Rechtssicherheit durch Bestandskraft (S. 114 ff.) „klassischen“ Themen gewidmet. Nur am Rande wird in den Wortmeldungen das „kooperative Bild des Steuerverfahrens“ nach dem Entwurf erwähnt (S. 114), das den Abschluss von Haftungsverträgen (§ 34 Abs. 3 BStGB-E) und die erstmalige ausdrückliche gesetzliche Verankerung der tatsächlichen Verständigung als einvernehmliche Schätzung (§ 17 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BStGB-E) einschließt. Auffällig ist auch, dass der Entwurf nur sehr knappe Ausführungen enthält, wie die Steuerverwaltung die ordnungsgemäße Mitwirkung des Steuerpflichtigen überprüfen und ggf. erzwingen oder wie Mitwirkungspflichtverstöße geahndet werden können. Die Möglichkeit der Außenprüfung wird zwar in einigen Vorschriften ausdrücklich vorausgesetzt, Einzelheiten zu Voraussetzungen und Rechtsfolgen bleiben aber unklar. Regelungen zur Vollstreckung fehlen ebenfalls. Ein Steuerstrafrecht ist – mit einigen Änderungen gegenüber dem status quo – einerseits vorgesehen (§ 33 Abs. 3, §§ 38 ff. BStGB-E), andererseits ohne Aussagen zum Verhältnis von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren und ohne Regelungen über die Steuerfahndung, wie sie im Hinblick auf die besonderen rechtsstaatlichen Anforderungen dieses Bereichs naheliegend wären.
Die Durchsetzbarkeit einer so grundlegenden Reform des deutschen Steuerrechts, wie sie der Entwurf des Bundessteuergesetzbuchs vorsieht, war ebenfalls Gegenstand der abschließenden Diskussionsrunde (S. 119 ff.). Dass eine Gesamtreform auf absehbare Zeit unwahrscheinlich ist, schließt allerdings nicht aus, einzelne Konzepte des Entwurfs als „Fundgrube“ künftigen Neuregelungen im Bereich einzelner Steuern zugrunde zu legen, etwa bei der von der Europäischen Kommission angestoßenen Überarbeitung des Umsatzsteuerrechts oder einer möglicherweise erforderlichen abermaligen Neuregelung des Erbschaftsteuerrechts aufgrund der aktuellen Vorlage des BFH an das BVerfG. Der Wert des vorliegenden Werkes erschöpft sich insofern nicht in der reinen Dokumentation allein des Entwurfs der Bundessteuergesetzbuchs, sondern besteht vor allem darin, dass es in konzentrierter Form wesentliche Themen der aktuellen steuerrechtlichen und steuerpolitischen Debatte bündelt und gleichermaßen wissenschaftlich durchdachte, ökonomisch sinnvolle und praktisch vollziehbare Lösungsvorschläge unterbreitet.