Bockemühl, Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 5. Auflage, Carl Heymanns 2012
Von Richter am Amtsgericht Carsten Krumm, Lüdinghausen
Die Fachanwaltshandbücher aus dem Heymanns-Verlag sind sicher vielen Lesern bekannt. Es handelt sich stets um dicke Wälzer, die das Ziel verfolgen, anwaltlichen Berufsanfängern, Umsteigern im Beruf und auch erfahrenen Fachanwälten ein Handwerkszeug für die tägliche Arbeit zur Verfügung zu stellen. Manche dieser Fachanwaltsbücher (wie etwa das zum Familienrecht) werden sogar auch von Richtern gerne genutzt. Das Buch von Bockemühl ist jedoch klar von Verteidigern für Verteidiger konzipiert, auch wenn unter den über 30 Mitautoren des Buches mehrere Richter und Staatsanwälte zu finden sind.
Irritierend ist es dann zunächst, wenn man die Namen Gisela Friedrichsen und Rudolf Gerhardt in dem Buch als Autoren findet. Tatsächlich ist das Buch aber ein Gesamtkunstwerk, in das selbst derartige Autoren hineinpassen. Beide haben sich nämlich dem 11-seitigen Abschnitt „Strafprozesse im Rampenlicht“ gewidmet, in dem sie sich mit dem heute immer bedeutungsvollerem Thema der Wechselwirkungen von Justiz und Presse befassen. Sie tun dies anhand zahlreicher kurz dargestellter bekannter Prozesse (z.B. Peter Graf, Jürgen Schneider, Böttcher/Weimar oder auch Kachelmann) und zeigen dabei die jeweiligen Besonderheiten auf. Letztlich ist dieses Kapitel dann auch sicher das unterhaltsamste des Buches. Schwerpunkt des Handbuchs ist und bleibt natürlich die juristische Verteidigerkunst und das hierfür notwendige Wissen.
Wichtig ist es dabei vor allem, sich auf das Buch einzulassen – man erliegt nämlich tatsächlich zunächst der Versuchung das Buch an anderen Spezialbüchern zu messen und für sich angeblich festzustellen: Das Buch nimmt zu allem Stellung – zu allem aber auch zu kurz. Tatsächlich wäre dies aber eine unzulässige Verkürzung, da das Buch ja gar nicht vorgibt alles zu erklären. Es ist vielmehr ein Kompendium, das einerseits notwendiges Wissen mitteilt und andererseits prozessuale und tatsächliche Grundfertigkeiten vermittelt. Welche Themen werden also besprochen?
Zunächst geht es los mit einem allgemeinen Kapitel zum Strafverteidiger an sich: Geschichtliches, Berufsrecht, Strafbarkeit des Verteidigers und auch Haftungsfragen werden hier erörtert oder zumindest unter Angabe weiterer Fundstellen angeschnitten. Im Weiteren widmen sich die Autoren auf fast 600 Seiten den einzelnen Verfahrensstadien vom Ermittlungsverfahren über die 1. Instanz, Berufung und Revision bis hin zur Wiederaufnahme und dem Vollstreckungsverfahren. Bereits der Seitenumfang zeigt, dass die Darstellungen mehr sind als die Skizze eines bloßen Verteidigergrundgerüstes. Sodann finden sich 400 Seiten zu einzelnen typischen materiell-rechtlichen Schwerpunktgebieten des Strafrechts, so etwa BtM-Recht, Verkehrsrecht und Wirtschaftsstrafrecht. Dargestellt werden in diesem Zusammenhang dann nicht nur jeweils die einschlägigen Normen des StGB oder des Nebenstrafrechts, sondern auch die im jeweiligen Rechtsgebiet wichtigen prozessualen und tatsächlichen Fragen. Gerade Gelegenheitsverteidiger werden über solche eine fundierte und verzahnte Zusammenstellung froh sein.
Einen deutlich kleineren Anteil des Buches nehmen die Probleme rund um die Interessenvertretung von Geschädigten ein, einschließlich Erörterungen zum Klageerzwingungsverfahren. Selbst zum ungeliebten Adhäsionsverfahren finden sich hier hilfreiche Ausführungen. Schließlich werden in drei Buchteilen gen Ende des Werkes wichtige Einzelfragen beleuchtet, die nicht sinnvoll in die anderen Darstellungen hätten untergebracht werden können. Hier finden sich dann etwa von Satzger Erörterungen zur Verständigung, von Detter Darstellungen zur Strafzumessung und von Hohmann Ausführungen zum StrEG. Dem Sachverständigen ist ebenso ein eigenes Kapitel gewidmet.
Für (vor allem junge) Verteidiger besonders hilfreich ist dann der knapp 100-seitige Abschnitt zur Anwaltsvergütung. Kurze Musterschreiben, Schemata und Berechnungsbeispiele sind ebenfalls aufgenommen. Im Einzelfall muss natürlich bei Problemen trotzdem ein RVG-Kommentar hinzugezogen werden – die praktische Umsetzung des Kommentarwissens ist mit „dem Bockemühl“ dann leicht.
Bei solch einem umfassenden Werk ist natürlich eine inhaltliche Überprüfung auf Richtigkeit, richtige Schwerpunktsetzung und Verständlichkeit nur bedingt möglich. Stichpunktartige Überprüfungen etwa im Bereich des Klageerzwingungsverfahrens, des Wirtschafts- und Verkehrsstrafrechts haben aber gezeigt, dass hier der aktuelle Stand der Rechtsprechung und Literatur wiedergegeben wird. Bei einer 5. Auflage eines Werkes ist dies freilich auch zu erwarten. Hervorzuheben ist der von Detter bearbeitete Abschnitt zum Revisionsrecht – zunächst werden hier allgemeine Grundsätze dargestellt, inklusive einiger Muster zur Einlegung und Begründung der Revision (vgl. etwa S. 477 zur Begründung einer Verfahrensrüge). Dies ist natürlich Standard und darf von einem solchen Handbuch auch erwartet werden. Dem schließt sich aber ein wahrlich großartiger Teil (S. 492-557) an, in dem Detter zahlreiche Standardverfahrensrügen strukturiert und mit Beispielen versehen so darstellt, dass auch der blutige Anfänger es eigentlich schaffen müsste, eine Verfahrensrüge ordnungsgemäß zu begründen. Natürlich ist dies noch immer keine Garantie für eine erfolgreiche Revision. Immerhin werden die Chancen mehr als deutlich erhöht, wenn man etwa nachlesen kann, welche Anforderungen an die Darstellungen im Rahmen der Rüge der Abwesenheit des Verteidigers, der nicht ordnungsgemäßen Beschuldigtenbelehrung oder der Nichtgewährung des letzten Wortes gestellt werden.
Besonders gut gefällt mir weiterhin die optische Aufarbeitung des Buches: Aussagekräftige Überschriften, klare Gliederung, sparsame aber treffende Fettungen im Text, durch seitliche graue Balken mit Pfeil hervorgehobene Hinweise und Warnungen und schließlich in kräftigem Grau unterlegte Schriftsatzmuster machen das Buch sehr übersichtlich, und schnell les-/erfassbar.
Fazit: Durchaus ein empfehlenswertes Buch für alle, die sich auf Strafverteidigungen spezialisiert haben oder dies noch tun wollen.