Quantcast
Channel: Die Rezensenten
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717

Rezension: Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien

$
0
0
Minkner, Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien – Demokratische versus technische Legitimation, 1. Auflage, Mohr Siebeck 2015

Von Ref. iur. Saskia Michel, Münster



Das von Martin Minkner verfasste Buch „Die Gerichtsverwaltung in Deutschland und Italien“ wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster als Dissertation angenommen. Das insgesamt 845 Seiten starke Werk erschien 2015 im Mohr Siebeck Verlag in der Schriftenreihe Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung und wurde im gleichen Jahr mit dem Harry-Westermann-Preis der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster ausgezeichnet. Es ist für rund 120 Euro im Handel erhältlich.

Minkner, geboren am 5. Juli 1983, fertigte die vorliegende Doktorarbeit nach seinem rechtswissenschaftlichen Studium an den Universitäten Heidelberg, Ferrara und Münster zwischen 2011 und 2014 als Stipendiat des Cusanuswerks an. Als Doktorvater stand ihm hierbei Herr Professor Dr. Fabian Wittreck zu Seite, der an der Juristischen Fakultät der Universität Münster das Institut für Öffentliches Recht und Politik (Professur für Öffentliches Rechts, Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie) leitet. Wittreck selber habilitierte sich 2006 mit einem Buch zum Thema „Verwaltung der Dritten Gewalt“ und kann daher als unmittelbarer Ideengeber und Förderer für das hier rezensierte Werk angesehen werden.

Die Gerichtsverwaltung ist ein komplexer Bereich im Gefüge der Justizwissenschaft. Im Hinblick auf Bestrebungen, die Verwaltung der Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland zu professionalisieren, hat dieser Rechtsbereich bisher lediglich vereinzelt Beachtung in der Forschung gefunden. Die deutschen Reformtendenzen zur Gerichtsverwaltung stecken gleichermaßen in den Kinderschuhen. Einen wesentlichen Aspekt bildet dabei die Forderung nach einer sich selbstverwaltenden Richterschaft. Eine solche Selbstverwaltung der Gerichte, die losgelöst ist von den gerichtsverwaltungstechnischen Vorgaben der Exekutive, wird in erster Linie von den hiesigen Richterverbänden gefordert. Minkner vergleicht vor diesem Hintergrund die Gerichtsverwaltung in Deutschland mit der italienischen Selbstverwaltung der Justiz und verfolgt dabei die Beantwortung der Frage nach einer Vorbildfunktion des italienischen Modells für die in Deutschland geführte Selbstverwaltungsdebatte.

Die Arbeit ist im Wesentlichen dreigliedrig aufgebaut: Es wird die deutsche vor der italienischen Gerichtsverwaltung vorgestellt, bevor ein Systemvergleich mit Bewertung und Auswertung der Modelle erfolgt. Allem vorangestellt ist eine prägnante Einleitung, die knapp Ziel, Gegenstand, Methode und Gang der Untersuchung darstellt. Es handelt sich vorliegend um einen klassischen Rechtsvergleich zweier Rechtsordnungen – Deutschland und Italien –, der allerdings nicht inhaltlich-thematisch, sondern ausgehend von den zwei Rechtsordnungen angegangen wird, die zunächst unabhängig voneinander dargestellt werden. Dies schmälert auf der einen Seite im Ergebnis die Vergleichbarkeit einzelner Teilbereiche der Gerichtsverwaltung beider Länder, führt auf der anderen Seite allerdings im positiven Sinne zu einem erhöhten Lesefluss für denjenigen, der sich allein mit der Thematik insgesamt in einer der beiden Rechtsordnungen befassen möchte.

Das erste Kapitel stellt ausführlich und unter ausschöpfender Auswertung der Literatur sowie Rechtsprechung die deutsche Gerichtsverwaltung dar. Minkner geht nach einer kurzen Skizzierung der historischen Entwicklung der deutschen Verwaltung der Dritten Gewalt auf internationale und verfassungsrechtliche Vorgaben für die Gerichtsverwaltung ein. Dabei nehmen die materiellen Vorgaben des Grundgesetzes – neben knappen Ausführungen zu Vorgaben des Völker- und Unionsrechts sowie den formalen Vorgaben des Grundgesetzes – einen bedeutenden Stellenwert ein. Insbesondere die Ausführungen zum Demokratieprinzip sowie zur demokratischen Legitimation verdienen Anerkennung. Die Ausführungen zum Grundsatz der Gewaltenteilung und zur richterlichen Unabhängigkeit, der im Gefüge der Gerichtsverwaltung eine hervorzuhebende Bedeutung zukommt, bleiben im Vergleich hierzu fast ein wenig blass, wenngleich man Minkner auch insofern eine differenzierte und hervorragend ausrecherchierte Vorgehensweise attestieren muss. In Bezug auf die demokratische Legitimation der Dritten Gewalt begnügt sich Minkner nicht mit dem Versuch der Einordnung in gängige juristische Legitimationsmodelle (der bei zur Richterbestellung teils bemühten Kollegialorganen ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre), sondern greift auf politik- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zurück, um schließlich – auf insgesamt nahezu 150 Seiten – ein eigenes organisatorisch-technisches Modell demokratischer Legitimation zu entwickeln. Damit betritt Minkner in der Tat verfassungsrechtliches Neuland und mischt eine seit jeher erbittert geführte Diskussion in juristisch fundierter Weise auf.

An die verfassungsrechtliche Wegbereitung schließt sich im ersten Kapitel die Bestandsaufnahme der Gerichtsverwaltung in der Bundesrepublik Deutschland an. Der Aufbau dieses Teils orientiert sich stark an den Vorgaben von Minkners Doktorvater Wittreck in dessen Habilitationsschrift. Auf knapp 100 Seiten werden die Verwaltungsstrukturen der Bundes- sowie Landesgerichte in sämtlichen Einzelheiten und mit allen Facetten unter Berücksichtigung der klassischen Tätigkeitsfelder der Gerichtsverwaltung dargestellt. Das Hauptaugenmerk liegt hier nachvollziehbarerweise jeweils auf der Richterbestellung, die wohl als kontroversestes Feld der Gerichtsverwaltung angesehen werden kann. Auch die Selbstverwaltungsmodelle der Neuen Richtervereinigung und des Deutschen Richterbundes werden rechtlich bewertet. In Anbetracht der Tatsache, dass eben diese Modelle als Grundlage der „Selbstverwaltunsgdebatte“ in Deutschland angeführt werden und somit die italienische Gerichtsverwaltung in diesem Punkt eine unmittelbare Vorbildfunktion haben könnte, erscheint dieser Punkt mit seinen knapp 20 Seiten fast ein wenig schmal. Insgesamt jedoch zeichnet Minkner ein umfassendes, detailliertes und juristisch hochgradig anspruchsvolles Bild der deutschen Gerichtsverwaltung, welches es in seiner Gänze so bisher vermutlich lediglich bei Wittreck zu sehen gab und lediglich in Fragmenten von anderen wissenschaftlichen Projekten erbracht worden ist.

Das zweite Kapitel widmet sich ab S. 336 sodann der italienischen Gerichtsverwaltung. Der Aufbau gleicht dem der deutschen Gerichtsverwaltung, was einer Vergleichbarkeit beider Rechtsordnungen zumindest förderlich ist. Nach einigen begrifflichen Erläuterungen, die im Rahmen eines Rechtsvergleichs angetan sind, folgt die Darstellung der historischen Entwicklung der italienischen Gerichtsverwaltung „von der Kette des Justizministers zur Unabhängigkeit der Dritten Gewalt“. Minkner stellt den geschichtlichen Werdegang der Gerichtsverwaltung in Italien seit dem 19. Jahrhundert fundiert dar und gibt im Rahmen seiner Ausführungen vor allem in stringenter Weise Aufschluss über die Entwicklung der Selbstverwaltung als autonomes und hierarchisches Subsystem. Historische Meilensteine, nationale Eckpfeiler der Geschichte und aktuelle Tendenzen werden hier gekonnt miteinander verwoben. Anschließend geht Minkner auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben der Gerichtsverwaltung ein:  Formale und materielle Vorgaben (Demokratische Legitimation der Rechtsprechung und der Gerichtsverwaltung, Gewaltenteilungsgrundsatz, Garantie der richterlichen Unabhängigkeit, Verfassungsgrundsatz der Autonomie sowie das Prinzip der autonomen Gerichtsverwaltung) werden auf knapp 140 Seiten beschrieben. Schwerpunktmäßig konzentriert sich der Autor auf die demokratische Legitimation sowie die richterliche Unabhängigkeitsgarantie. Insbesondere Letztere wird ausgiebig und mit praktischem Bezug beleuchtet.

Die Bestandsaufnahme der Gerichtsverwaltung in Italien folgt anschließend auf guten 110 Seiten. Die Darstellung der gerichtsverwaltenden Tätigkeiten orientiert sich an der Gliederung des deutschen Teils, ist allerdings sinnvollerweise insofern verschoben, als dass in Italien – im Gegensatz zu Deutschland – die Judikative zuvorderst mit Aufgaben der Gerichtsverwaltung betraut ist und hier daher nicht mit der Aufgabenwahrnehmung durch die Exekutive begonnen wird. Die Gerichtsverwaltung durch die Exekutive gilt nicht umsonst als „deutscher Sonderweg“. Dies ist hier bereits unter systematischen Gesichtspunkten gekonnt angedeutet. Dieser überwiegend deskriptive Teil des vorliegenden Buches überzeugt durch eine strukturierte Darstellung und eine umfassende Ausschöpfung der vorgefundenen Quellen. Auch die italienischen Reformtendenzen finden ausreichend Berücksichtigung.

Im dritten Kapitel befasst sich Minkner auf rund 70 Seiten mit dem abschließenden Systemvergleich, der Bewertung der italienischen Erfahrungen und den Perspektiven einer selbstverwalteten Justiz in Deutschland. Es handelt sich hierbei um das Kernstück im Rahmen eines Rechtsvergleichs, in dem die gesammelten Erkenntnisse zusammengefügt und ausgewertet werden. Verglichen werden nicht nur der historische Kontext und die verfassungsrechtlichen Vorgaben, sondern auch das politische Umfeld in beiden Rechtsordnungen, der Gerichtsverwaltungsaufbau und die Umsetzung. Letztere fällt durchaus recht knapp aus, wobei sicherlich bezweifelt werden kann, dass der Rechtsvergleich an dieser Stelle deutlich mehr hätte hergeben können. Die anschließende Bewertung des italienischen Selbstverwaltungsmodells fällt kritisch aus; zentrale Schwächen, die sich einem nahezu aufdrängen, werden gekonnt aufgezeigt, weswegen es nicht verwundert, dass auch die mögliche Vorbildfunktion des italienischen Modells für Deutschland eher pessimistisch ausfällt. Das Fazit scheint sodann auch eher ein Kompromiss zu sein: Ausbau der Mitwirkungsrechte statt reiner Selbstverwaltung.

In seinem Gesamtfazit stellt Minkner seiner Ergebnisse nachvollziehbar dar. Die Entwicklung seiner Meinung ist stringent und in den vorangegangenen Ausführungen angelegt. Sicherlich ist die Ablehnung der Vorbildfunktion der Selbstverwaltung in Italien für Deutschland nicht kontrovers und recht konform mit der weithin geläufigen Meinung in der Forschung zur Selbstverwaltung der Justiz in Deutschland. In argumentativer Hinsicht ist sein Ergebnis allerdings rechts-, sozial- und politikwissenschaftlich äußerst konsequent.


Minknerlegt mit seiner Dissertation eine in der Tat beeindruckende sowie umfassende Analyse der italienischen Gerichtsverwaltung vor. Rhetorisch bewegt er sich durchgehend auf einem äußerst hohen Niveau. Das Buch ist nicht an allen Stellen stets leicht lesbar, dies mag allerdings dem komplexen Stoff geschuldet sein sowie der Tatsache, dass sich die Arbeit unter juristischen Gesichtspunkten als komplex entpuppt. Während ein Rechtsvergleich häufig in erster Linie deskriptive Arbeit leistet, dringt Minknertief in die Materie ein und analysiert scharfsinnig und kritisch vorgefundene Strukturen in Deutschland und Italien. Die Arbeit kann als juristisch äußerst fundiert beschrieben werden. Der Fußnotenapparat sowie die Quellenauslastung sind durchgehend umfangreich und entsprechen höchsten wissenschaftlichen Standards. Es macht sich im positiven Sinne bemerkbar, dass Minkner nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien umfassende und fruchtbare Recherche betrieben hat, die einhergeht mit einer beeindruckenden Rezeption von Primär- und Sekundärquellen. Dem wissenschaftlichen Anspruch genügt Minkner mit der Darbringung einer Analyse der italienischen Gerichtsverwaltung, die bisher so nicht im deutschsprachigen Raum existiert. Seine Ausführungen sind an einigen Stellen zweifelsohne recht ausschweifend, für den an der Gerichtsverwaltung (nicht nur von Italien, sondern auch von Deutschland) interessierten Leser und für die Forschung zu diesem Thema ist diese Arbeit dennoch nahezu ein Muss.

Viewing all articles
Browse latest Browse all 2717